Antje Sievers / 13.03.2013 / 16:19 / 0 / Seite ausdrucken

Beleidigte Floristin

Tuvia Tenenbom las im März in Hamburg gleich an zwei Abenden in Folge aus seinem aufschlussreichen Buch „Allein unter Deutschen”. Er begegnete den Deutschen vorurteilsfrei und mit Sympathie – und findet zu seinem Schrecken Antisemiten ohne Ende. Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen.

Die erste Lesung steigt im Golem, einer gepflegten Bar gegenüber der ehemaligen Fischauktionshalle. Tenenbom, der Theatermann, hat naturgemäß viel Sinn für Dramatik und spannenden Vortrag. Seine Stimme erinnert ein wenig an Marlon Brando in seiner Glanzrolle als Don Vito Corleone in Der Pate. Manch einer hält ihn sogar für genau so gefährlich. Der Rowohlt-Verleger Alexander Fest ist so ein Mensch. Tenenbom erzählt, wie es dazu kam, dass sein Buch im Suhrkamp Verlag anstatt, wie geplant, bei Rowohlt erschienen ist. Die Einsichten über die Deutschen, die Tenenbom für sein Buch gesammelt hat, passten dem Verleger nun mal nicht in seine beschränkte Weltsicht. Und so erlaubte Fest sich Änderungen, die, wie Tenenbom betont, im Iran unter den Ayatollahs vermutlich als Verlagsarbeit durchgehen würden, aber in Deutschland nur üble Zensur genannt werden könnten. Das Kapitel, in dem Tenenbom einen Neonazi-Club besucht, sollte ganz verschwinden, und zwar mit der abstrusen Begründung, dass sich die Deutschen nicht für Neonazis interessierten. Wenn im Buch gesagt wurde, man möge keine Juden, wollte Fest daraus machen, man hätte was gegen Israel. Und so weiter und so fort. Es kam zum Streit zwischen Autor und Verleger, der darin gipfelte, dass Fest nicht nur den Vertrag brechen, sondern obendrein einen Teil des Vorschusses wiederhaben wollte.

Doch der Autor hat allein unter Deutschen dazugelernt. Und so machte Don Tenenbom dem Verleger ein Angebot, das dieser nicht ablehnen konnte: Wenn Fest wirklich vertragsbrüchig werden sollte, dann würde er seine Anwälte einschalten. Und zwar jüdische. Jüdische Anwälte aus New York. Und die würden ihn verklagen, auf Abermillionen von Schadensersatz. Er gebe ihm fünf Minuten, sich die Sache reiflich zu überlegen. Nach vier Minuten klingelte das Telefon, und Fest lenkte ein. Dass sei eben die gute Seite am Antisemitismus der Deutschen, stellt Tenenbom unter dem dröhnenden Gelächter des Publikums fest. Man könne sich hundertprozentig auf ihn verlassen. Und dann war da noch die Sache mit der Buchhandlung Thalia, die, als die ersten Exemplare des Buches ausverkauft waren, beim Verlag keine Nachbestellung ordern wollte. Stattdessen, man höre und staune, stand auf dem Platz auf der Spiegel-Bestsellerliste, der für Tenenboms Werk vorgesehen war, tatsächlich ein Buch von Peter „Kinn Laden“ Scholl-Latour. Tenenbom versprach, mit einem Kamerateam anzurücken, damit der Skandal publik gemacht würde.
Und von da ab ging’s.

Ich gebe zu, dass ich beim Lesen einige Male gedacht habe, nein, es kann nicht sein, dass der Autor wirklich so überrascht über den tief verwurzelten Antisemitismus der Deutschen war. Aber das war er. So sehr, dass er die ersten antisemitischen Äußerungen, die er zu hören bekam, nicht einmal notierte, da er noch dachte, Naja, Idioten gibt’s überall. Aber sie hörten gar nicht mehr auf. Und hörten nicht auf. Und hörten nicht auf. Sein Entsetzen darüber ist authentisch: This has to be stopped! It’s got to be stopped! Ruft er eindringlich ins Publikum. Wie ist es bloß möglich, dass man ihn hier, heute, im Süddeutschen Beobachter als „den Juden Tenenbom” vorstellt? Wie ist es möglich, dass man ihn im Rowohlt Verlag als „typisch jüdischen Hysteriker“ beleidigt? Eine sehr gelungene Lesung vor einem durch und durch wohlwollenden Publikum geht nach über zwei Stunden zu Ende.

Mit weitaus weniger Verständnis begegnet man Tenenbom anderntags in der Roten Flora, dem autonomen besetzten Kulturzentrum am Schulterblatt. Für diesen Abend werden andere Kapitel ausgewählt; selbstverständlich zuerst das, wo Tenenbom seinen ersten Aufenthalt eben dort beschreibt und die Rote-Flora-Aktivisten als das erscheinen lässt was sie sind, nämlich totale Deppen. Eine Frau im Publikum, die nicht klatscht und nie lacht, weil sie ja nun absolut anderer Meinung ist, wird, dass weiß ich jetzt schon, nachher ihrer Entrüstung über den Autor Ausdruck verleihen. Und genauso geschieht es tatsächlich. Die Floristen fühlen sich beleidigt, weil sie vorgeführt und obendrein mit den Nazis verglichen werden, die sie angeblich ständig bekämpfen. Wie alle Hamburger wissen, müssen die Nazis und natürlich die Kapitalistenschweine gleich in unmittelbarer Nachbarschaft bekämpft werden, nach der ständigen Randale und dem Vandalismus im Schanzenviertel zu schließen. Schnarch.

Ich war noch nie in der Roten Flora. Der Typ, der mit auf dem Podium sitzt und von allen nur Der Andreas genannt wird, erzählt mir stolz, dass er schon seit rund vierundzwanzig Jahren für die Rote Flora aktiv ist. Das heißt, dass sich hier bereits die zweite Generation von sorgenfreien Bürgerkindern als Revoluzzer betätigt, bevor sie sich nach vollendetem Bachelor in Kulturwissenschaften und angewandtem Antisemitismus mit ihrem Volvo in ihr Passivhaus nach Volksdorf verpisst. Das autonome besetzte Kulturzentrum Rote Flora ist eine teilweise verbrannte, verkommene, versiffte Bauruine. Im ehemaligen, nun verschlossenen Portalbereich liegen schimmlige Matratzen, auf denen Obdachlose, Alkoholiker und Fixer lagern. Drinnen ist es von oben bis unten mit Farbe voll gesprüht. Es ist saukalt und dreckig, schlecht belüftet und ungemütlich. Beim Warten auf den Beginn der Lesung erfriere ich fast. Ich wanke zum Ausschank:

Gibt es auch was Warmes? In diesem Saustall? Irgendwas?

Nein. Aber ich könnte ein kaltes Bier haben.

Und das sind die Eindrücke, noch bevor ich die Toiletten gesehen habe. Ich bin auf der Welt schon viel herumgekommen, aber das, was im autonomen besetzten Kulturzentrum Rote Flora als Toilette bezeichnet wird, übersteigt alles, was ich je gesehen habe. Ich bin ganz verzagt: Kalt, kalt, kalt, und jetzt noch mit voller Blase. Ich überlege einen Moment, ob ich nicht von außen an das Gebäude pinkele, so wie alle anderen auch. Und am besten gleich daneben kotzen. Naturgemäß bin ich bei dieser zweiten Lesung nicht so sehr bei der Sache wie am Abend zuvor. Bitterkeit steigt in mir auf: In etwa zwei Kilometern Luftlinie von hier hatte ich siebzehn Jahre lang mein Tanzstudio. Während eines Wochenendworkshops ließ einer versehentlich ein Fenster offen, so dass laute Musik nach außen drang. Von da an hatte ich das Bauamt Altona auf dem Hals. Dasselbe Bauamt, das auch für das autonome besetzte Kulturzentrum Rote Flora zuständig ist, befand mein sauberes, heizbares, gut belüftetes und hygienisch einwandfreies Studio für nicht zumutbar für die öffentliche Nutzung. Ich musste einen Bauantrag für die Errichtung eines Tanzstudios stellen, dass seit dreizehn Jahren existierte. Das ist wirklich wahr. Eine Architektin fertigte Grundrisse, Liegenschaftspläne und Gutachten an. Es kostete viel Zeit, Geld und Nerven. Der Antrag war so gut wie abgeschlossen, als dem Beamten auf dem Bauamt des Stadtstaates Hamburg, Bezirk Altona, das, ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe, auch für Bauten wie das autonome besetzte Kulturzentrum Rote Flora zuständig ist, auffiel, dass bei meinem Geschäft noch die vorgeschriebenen drei Fahrradstellplätze fehlten. Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs! Ich rief meine Architektin an und flehte abermals um Hilfe. Sie reagierte recht unfroh:

Oh Gott! Sag den verdammten Arschlöchern vom Bauamt, sie sollen sich ins Knie ficken!

Würde ich ja gern, aber dadurch ist das Problem noch nicht gelöst.

Ich sage dir was, ich schreibe denen, dass die Fahrradplätze errichtet wurden, und Friede sei mit ihnen. Antje, vertrau mir. Eh die ihren Arsch aus ihrer Behörde rühren, um zu gucken ob das stimmt, fällt noch eher der Michel um.

Viel verdient habe ich in den siebzehn Jahren nicht. Es reichte knapp so zum Leben. Dafür habe ich der Stadt einen eindrucksvollen, fünfstelligen Betrag an Einkommen- und Umsatzsteuer gezahlt. Aber selbst der von mir erwirtschaftete Gesamtertrag an Steuereinnahmen würde nicht ausreichen, um die Polizeipräsenz im Schanzenviertel um das autonome besetzte Kulturzentrum Rote Flora an nur einem einzigen Wochenende abzudecken.

Ääh … wie kam ich nur darauf? Ach richtig, ich bin ja wieder in der Lesung von Tuvia Tenenbom. Extra, weil ich mir auch noch die englische Ausgabe seines Buches kaufen will. Solchen deutschen Irrsinnigkeiten begegnet Tenenbom nämlich ebenfalls massenhaft. Er ist nur noch nicht derartig an sie gewöhnt wie unsereins. Uff, gerade noch mal die Kurve gekriegt. Bestellen Sie noch heute und zwar am besten die englische Ausgabe I sleep in Hitler’s Room mit den noch nicht gestrichenen Erzählungen der Gabriele Gysi. Enjoy.

http://www.amazon.de/Allein-unter-Deutschen-Entdeckungsreise-taschenbuch/dp/3518463748/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1363181688&sr=1-1

http://www.amazon.de/Sleep-Hitlers-Room-American-Germany/dp/098393990X/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1363181775&sr=8-1

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Antje Sievers / 22.10.2019 / 17:00 / 2

Die Künstlerin, die die Trauer lehrt

Gabriele von Lutzau: Mutter zweier Kinder. Ehefrau. Katzenliebhaberin. Trägerin des Bundesverdienstkreuzes. Der größte Rolling-Stones-Fan des Odenwaldes. Ehemalige Flugbegleiterin. Und heute vor allem Bildhauerin. Ihre Ausstellung…/ mehr

Antje Sievers / 06.08.2019 / 06:10 / 133

Das Psychogramm hinter den Schreckenstaten

Ein Afghane tötet seine Ex-Freundin mit nicht weniger als siebzig Messerstichen. In einem harmlosen Stuttgarter Wohnviertel wird ein Mann mit einem japanischen Schwert von seinem Mitbewohner regelrecht gemetzelt. In Hamburg wird…/ mehr

Antje Sievers / 12.07.2019 / 06:10 / 157

Vergewaltigungs-Kultur

Am 1. Juli wird in Hamburg eine junge Frau am U-Bahnhof Hagenbecks Tierpark von drei Männern attackiert. Es gelingt ihr, sich durch gekonnte Gegenwehr zu verteidigen und…/ mehr

Antje Sievers / 26.02.2019 / 16:15 / 17

Die Zwangstaufe von Barmbek

Es muss in der sechsten Klasse gewesen sein. Im Religionsunterricht, in dem man zwar wenig über Religion, aber stets viel über den Lehrer lernen konnte.…/ mehr

Antje Sievers / 07.02.2019 / 15:00 / 19

Hanseatischer Antisemitismus

„In Hamburg sah ich die erschreckendsten, bedrückendsten Dinge, die ich je zu Gesicht bekommen hatte – mit Davidsternen und dem Wort „Jude“ bemalte Geschäfte, hinter halbleeren…/ mehr

Antje Sievers / 26.01.2019 / 14:00 / 35

Stellen Sie sich vor, Sie wären eine Frau

Niemand würde es Ihnen wünschen, aber stellen Sie sich mal Folgendes vor: Sie sind eine Frau und kommen im Morgengrauen nach Hause. Ihr Lebensgefährte reißt…/ mehr

Antje Sievers / 01.12.2018 / 17:00 / 15

Laila Mirzo: „Nur ein schlechter Muslim ist ein guter Muslim”

Dieser Tage sandte ich mein Buch „Tanz im Orientexpress – eine feministische Islamkritik“ an Laila Mirzo nach Linz in Österreich und es kam sogleich ein Buch zurück: Mirzos „Nur ein…/ mehr

Antje Sievers / 22.10.2018 / 17:00 / 6

Bunt ist es da, wo Frauen verschleiert werden

Der Wandsbeker Markt ist das Einkaufsparadies des Hamburger Ostens, des traditonellen Wohngebietes des Proletariats, während in den Villengebieten des Westens, in Blankenese und Othmarschen Unternehmer,…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com