Rainer Bonhorst / 21.10.2019 / 10:00 / 13 / Seite ausdrucken

Beim Brexit geht es jetzt um das No-Bra-Problem

Die britische Demokratie hat wieder mal zugeschlagen. Wieder hat sich das Unterhaus mehrheitlich, wenn auch nur vorläufig, gegen die Verabschiedung eines Bye-Bye-Vertrags mit Brüssel entschieden. Da kann man doch nur den Kopf schütteln. Stimmt. Kann man. Muss man aber nicht. Das Problem mit einer richtigen Demokratie ist nun mal, dass sich eine Regierung an ihr schon mal die Zähne ausbeißen kann. Im aktuellen britischen Fall sind es sogar zwei Regierungen. Die von Theresa May und die von Boris Johnson. Nicht umsonst hat die frühere Premierministerin (süffisant?) im Unterhaus von einem „Déjà-Vu-Erlebnis“ gesprochen.

Allerdings ist Boris Johnson noch nicht am Ende der Fahnenstange angelangt. Sobald die Vertrags-Details vorliegen, kommt die zweite Halbzeit des Brexit-Spiels, das nun schon sehr viel länger dauert als das längste Cricket-Spiel der Geschichte. Das dauerte vergleichsweise kompakte neun Tage und fand in Durban statt. England und Südafrika trennten sich unentschieden.

Kann auch das inzwischen fast vier Jahre andauernde Brexit-Spiel unentschieden ausgehen? Man könnte Neuwahlen als eine Art Unentschieden bezeichnen. Dann würde es heißen: neues Spiel, neues Glück. Auch ein neues Referendum steht im Raum. Darauf ist inzwischen die Labour-Opposition eingeschworen. Gewählt werden muss über kurz oder lang ohnehin. Die konservative Regierung ist inzwischen meilenweit von einer Mehrheit entfernt und unabhängig vom Brexit kaum noch regierungsfähig.

Wie konnte das alles nur passieren. Tja, ich sag es noch mal: Demokratie ist ein mühsames Geschäft. Und England hat nun mal eine der ältesten Demokratien Europas. Die ist gewachsen, gewuchert und verschlungen. Und die Abgeordneten, allesamt direkt gewählt, blicken nicht nur treu in die Augen der Obrigkeit sondern ebenso heftig auf ihre Wähler daheim. Das macht die Koalitionsdisziplin etwas mühsamer als bei der Hälfte unserer deutschen Abgeordneten, die indirekt über die Landeslisten ins parlamentarische Paradies gelangen. Durchregieren – das Ideal aller Regierungschefs – ist auf der Insel nicht ganz so leicht.

Die kleine Drei-Briefe-Flut

Man kann natürlich alles übertreiben. Dass das zur Zeit in Britannien geschieht, hat damit zu tun, dass nicht nur das Parlament und nicht nur die großen Parteien in der Brexit-Frage in der Mitte gespalten sind, sondern dass diese Teilung auch mitten durch das ganze Land geht. Und dass sie die Generationen in jung (remain) und alt (Brexit) trennt. Das kann die schönste Demokratie ins Schleudern bringen.

Und die europäische Union wird mit geschleudert. Mehr oder weniger murrend. Brüssel will, wie die Mehrheit der britischen Parlamentarier, einen Brexit ohne Abkommen aus guten Gründen des Eigennutzes vermeiden. Europa würde selber Schaden nehmen, nicht nur die Briten. Also nimmt man die kleine Drei-Briefe-Flut vergleichsweise ergeben entgegen, die nun aus London ankam. Die Flut enthält die von Johnson nicht unterschriebene Pflicht-Bitte, den Austritts-Termin über den 31. Oktober hinaus zu verlängern, und den persönlichen Hinweis des Premierministers, dass er selber das ganze Theater nicht nochmal hinausschieben will.

Also was? Hinausschieben oder nicht hinausschieben? Und wenn, warum eigentlich? Jetzt geht es um ein neues, hauchdünnes Problem, das ich das No-Bra-Problem nennen möchte. Die Erfindung des No-Bra glich seinerzeit schon der Quadratur des Kreises. Dieser BH sollte den Eindruck erwecken, als sei da gar nichts vorhanden, aber gleichzeitig für ein Minimum an Sicherheit sorgen. Genauso sieht Johnsons Lösung der Nordirland-Frage aus. Zwischen der Hauptinsel des Königreichs und dem mit ihr vereinigten Nordirland soll eine fast unsichtbare Grenze entstehen. Sie soll so tun, als sei sie gar keine Grenze, wäre aber doch eine, wenn auch eine hauchdünne. 

Tja, um diese hauchdünne Sache geht es nun. Und noch kann man über den Streit um dieses beinahe, aber eben doch nicht ganz unsichtbare Grenzproblem weiter den Kopf schütteln. Mann kann auch mit Asterix denken: Die spinnen, die Engländer. Andererseits: Ein großes Volk, das es sich einfach mal leistet zu spinnen, und sei es wegen eines No-Bra-Problems, kann unserem müden, und ein bisschen feigen Europa nur gut tun. Und sei es auch nur als munterer und selbstbewusster Nachbar.

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Hans-Peter Dollhopf / 21.10.2019

Will Es mich für dumm verkaufen? Oder denkt Es im Autor inzwischen tatsächlich so vollkommen entkernt von jeglichem intellektuellen Anspruch, wie er es dann niederschreibt? Zur Erklärung meiner Kritik: Nur zufällig ist eine der vielen am BREXIT beteiligten Komponenten die aktuell noch vorzufindende Demokratie im Vereinigten Königreich. Das Gros der Beteiligten befindet sich weder in der Downing Street noch in Westminster, sondern ist global verteilt, hauptsächlich in Europa zu finden und dort massiert, oft als in der Öffentlichkeit gar nicht bekannten Gestalten, im Brüsseler Apparat. Schilderungen von Separationsbestrebungen, ihrer Abläufe und ihrer Ausgänge, sind uns aus der Geschichte hinlänglich bekannt als eine Gipfelung von Lügen, Intrigen, Meuchelmorden und Massakern. Bereits im Alten Testament sagte sich Juda in einem Bürgerkrieg vom Königreich Israel los. Und als Melos sich von Athens Seebund trennte, wurde es restlos ausgetilgt. Britannien könnte genauso gut eine absolutistische Monarchie sein und Europa ein von Faschistenführern gegründeter Bund, nirgends ein Parlament. Dann wären die Zutaten dieser Separationsbestrebung aka BREXIT immer noch dieselben, die offenzulegen die Aufgabe des Autors gewesen wäre. Der Rote Faden durch die Interaktionen aller Beteiligten des Spektakels ist die praktizierte Hinterhältigkeit. An diesem Faden findet sich aufgreiht alles wirklich zum Verständnis Notwendige. Nur, unser Autor ist offensichtlich farbenblind! Und das wäre noch die schmeichelnste Erklärung.

Roland Stolla-Besta / 21.10.2019

Die britische Demokratie funktioniert, wie man am Brexit-Beispiel erkennen kann, da finden noch richtige Auseinandersetzungen statt. In der Berliner Republik entscheidet die Kanzlerin, was getan wird (Atomausstieg, Eurorettung, „Flüchtlinge“) . Auffallend auch, daß in den Nachrichtensendungen das Unterhaus meist fast gänzlich gefüllt ist, anders als das Berliner Parlament, in dem gerade mal die vorderen Plätze von einem Fähnlein der Aufrechten besetzt sind, die übrigen, fehlenden Hanseln haben wohl alle Wichtigeres oder Besseres zu tun. Na ja, da muß dann halt unsere Omi alleine handeln.

Thomas Weidner / 21.10.2019

“Das Problem mit einer richtigen Demokratie ist” dasjenige, welches sich aus Volksentscheiden ergibt: Sind die Ergebnisse der Volksentscheide im Sinne der Eliten - ist alles gut. Passen die Ergebnisse den Eliten nicht - heißt es, die Bürger - vulgo “der Souverän” sei zu dumm. Im Fall von UK ist das Parlament das Problem, welches sich weigert, den Willen des Souveräns umzusetzten. Nüchtern betrachtet ist die EU nämlich nur eines: Ein Krake, welcher mit allen Mitteln die Diktatur anstrebt. Und die schlicht und einfach nicht reformierbar ist - weil die EU-Entscheidungsträger verstanden haben, dass EU-Europa einfach zu heterogen ist, um demokratisch auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Also muss man das diktatorisch durchziehen. Blöde ist nur, wenn Teile des Souveräns, also im Fall UK eine (sicher knappe) Mehrheit der Bürger, das erkannt haben - und die Notbremse ziehen. Wären die Eliten ehrlich, würden sie die Bürger fragen, ob diese lieber in einer sozialistischen Diktatur (der EU) oder lieber in einem demokratischen (hier ein politisch unabhängiges UK) Staat leben wollen. Diese Frage wäre die richtige Frage in der Bürgerbefragung gewesen. Und ich bin überzeugt, dass eine große Mehrheit die EU-Diktatur ablehnen würde.

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