Ich habe Darren Aronofskys Film “Black Swan” bislang nur in Ausschnitten gesehen, werde das aber schleunigst ändern, und zwar aus zwei Gründen:
Erstens weil mir jeder Film recht ist, in dem die hinreißende Natalie Portman spielt; zweitens weil er gerade von Tanzexperten total verrissen wird. Dann muss er gut sein.
Das Hamburger Abendblatt zieht natürlich John Neumeier zu Rate; Tänzer, Choreograph und seit gefühlten 150 Jahren Direktor des Hamburg Balletts.
http://www.abendblatt.de/kultur-live/article1762460/Primaballerina-Natalie-Portman-Der-Schwan-im-Wahn.html
Warum gerade Neumeier? Black Swan ist ein Psychothriller, keine Tanzdoku. Fragt man etwa einen Anglisten, was er von Neumeiers Sommernachtstraum hält?
Nun ist die Ballettwelt ein Mikrokosmos, in dem man ständig um sich selbst rotiert, so wie Odile bei ihren 32 Fouettés im Schwanensee. In dieser Welt mag man es nicht, wenn sich Außenstehende einmischen. Vielleicht reagieren die Tanzschaffenden auch so zickig auf den Film,weil Ballett auf dem absteigenden Ast ist. Diejenigen im Bekanntenkreis, die schon mal in einer Ballettaufführung waren, kann man meist an einer Hand abzählen. Den Bühnen werden die Subventionen gestrichen und immer mehr Opernhäuser müssen auf eigene Ballettensembles verzichten. Niemand bedauert das mehr als ich, denn ich bin eine Ballettomanin alten Zuschnitts.
Ich weiß nicht, wie viel Meter Tanzliteratur ich schon gelesen habe. Aber die meisten Biografien von Tänzern zeigen, dass Neumeiers Vorstellung von der schönen heilen Ballettwelt auf reinem Wunschdenken beruht.
Tänzer ist einer der härtesten Ausbildungsberufe; dazu einer, der bereits im Alter von zehn oder zwölf Jahren beginnt und selbst unter den besten Bedingungen schon mit fünfunddreißig Jahren endet. Tänzer wird nur, wer körperlich optimal geeignet, tänzerisch hochbegabt und psychisch und physisch extrem belastbar ist.
Von den zwanzig oder dreißig Kindern einer Ausbildungsklasse schaffen es vielleicht ein oder zwei zur Bühnenprüfung. Bekommt man überhaupt ein Engagement, dann ist jeder Tag ein Kampf mit blutigen Zehen, gezerrten Sehnen, überforderten Muskeln, knallharter Konkurrenz, Lampenfieber und eiserner Disziplin. Erschwerend kommt hinzu, dass eine Ballerina um die fünfzig Kilo wiegen sollte. Sowohl aus amerikanischen wie russischen Kompanien sind Magerexzesse bekannt. Die Tänzerin Gelsey Kirkland wusste zu berichten, dass ihr Choreograph, der in den USA wie ein Gott verehrte George Balanchine, seinen Tänzerinnen gern riet, wenig bis gar nichts zu essen, damit man ihre Knochen sehen könnte. Skurril wird es aber, wenn Neumeier behauptet, es gäbe beim Ballett keinen Sex mit Abhängigen, so wie im Film:
„Da kommt ein Choreograph und küsst die Tänzerin. So etwas gibt es nicht. Das ist völliger Irrsinn.“
Exballerina Suzanne Farrell schildert anschaulich, wie Balanchine sich obsessiv in sie verliebte, als sie ein blutjunges Mädchen und er schon ein alter Nussknacker war. Und wie die Kompanie des New York City Ballets sie unverhohlen dazu aufforderte, doch endlich mal zu dem alten Mann ins Bett zu springen, damit man wieder halbwegs vernünftig mit ihm arbeiten könne. Margot Werner durfte an der Münchner Staatsoper erleben, wie der Choreograph John Cranko versuchte, ihren absolut heterosexuellen Freund Heinz Bosl von ihr loszueisen.
Dass Neumeier es für völligen Irrsinn hält, eine Tänzerin zu küssen, darf aus nahe liegenden Gründen nicht verwundern. Seine weiblichen Rollenkreationen bestechen durch völlige Asexualität und zeigen selten etwas anderes als naive Jungfrauen oder würdige Matronen.
Dafür schickte das Hamburger Ballettzentrum mal einen zarten griechischen Epheben auf einen internationalen Wettbewerb für junge Tänzer, der offenbar nicht mal eine klassische Variation tanzen konnte. Was soviel heißt, wie dass er überhaupt nicht tanzen konnte.
Aber ich will niemandem was in die Ballettschuhe schieben. Für diese Auswahl gab es sicher eine ganz einfache Erklärung, zum Beispiel, dass sämtliche beteiligten Pädagogen nach einer Fördermittelkürzung an vorübergehender geistiger Umnachtung litten.
Aronofsky hat sein Psychodrama schon im richtigen Milieu angesiedelt. Die Welt des Balletts ist zwar vieles, aber eines ist sie mit Sicherheit nicht: Ein Waldorfkindergarten.