Richard Wagner / 16.03.2009 / 07:40 / 0 / Seite ausdrucken

Auf dem Balkon in Delmenhorst

Bedrohen die Pullover von „Thor Steinar“ Deutschland? Nicht mehr als die Che-T-Shirts, könnte man meinen. Aber schon klingt es unvermeidlich im Ohr: Wehret den Anfängen! Soll das nun heißen, alles könnte mit einem Pullover beginnen? Welch ein Trost für unsere trostlose Rechte!

Der Feind steht rechts, ruft der Mann im Ohr jetzt nicht ganz unerwartet, und auch das hat viele Facetten. Bereits 1987 veröffentlichte der Politikwissenschaftler Claus Leggewie ein Buch mit dem Titel: „Der Geist steht rechts!“. Darin wurde praktisch alles angeprangert, was etwa die „Frankfurter Rundschau“ nicht rezensierte, von Günter Rohrmoser bis Gerd-Klaus Kaltenbrunner.

Um es gleich zu sagen: Nichts von dem, was Verlag und Autor damals befürchteten, ist eingetreten. Leggewie ist heute Leiter eines Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen, zu seinen laufenden Forschungsprojekten gehören „Erinnerungskulturen“ und eine „Europäische Ikonographie“. Bei Rotbuch aber ist gerade ein Essay von Wolfgang Wippermann erschienen. Titel: „Dämonisierung durch Vergleich: DDR und Drittes Reich“. Aha.

Der Verlag ist mittlerweile Teil einer Verlagsgruppe, die sich „Eulenspiegel“ nennt und zu ihren Labels auch die „edition ost“ zählt, in der sich zahlreiche Ehemalige an ihre bewegende Zeit bei der Stasi erinnern. Eine Bedrohung für Deutschland? Auch die nicht?

Bei den meisten Warnungen, die in unsere Öffentlichkeit vordringen, kann man getrost sagen: Gruseln erlaubt! Schließlich leben wir in einem Land, dessen Verfassung die Meinungsfreiheit ausdrücklich vorsieht. Dazu gehört letzten Endes auch das Recht, sich öffentlich zu irren.

Dieses Recht auf den öffentlichen Irrtum aber ist weitgehend zum Ritual geworden. Als habe der Irrtum die Eigenschaft durch Wiederholung zur Wahrheit zu gerinnen. Zur Wahrheit einer Gesellschaft, die es sich allzu bequem eingerichtet hat, in Staatsverschuldung und faulen Krediten. Wer dermaßen über seine Verhältnisse lebt, braucht dringend Schuldige.

Wenn er frühmorgens auf seinen Balkon in Delmenhorst tritt, muss er die Schuldigen benennen können. Er muss sagen können, wer es zu verantworten hat, dass der Zug jetzt nicht mehr in Diepholz hält, und warum es richtig ist, dass Deutschland am Atomausstieg festhält, als demnächst einziges Land auf dem gesamten Planeten.

In Delmenhorst hat es noch nie eine Revolution gegeben, es herrscht aber bis heute eine klare Vorstellung von den revolutionären Ereignissen, den neueren und den älteren. Das Allerwichtigste aber ist: Die Schlacht bei Delmenhorst wird nicht mit Waffen geführt, sondern mit Worten. Man sieht sich!

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