Gastautor / 22.03.2011 / 00:13 / 0 / Seite ausdrucken

Atomkuchen in Kreuzberg

Von Christoph Spielberger

An einem sonnigen Sonntag- Nachmittag in Berlin Kreuzberg, auf der Admiralbrücke:

Ein kleines Mädchen, vielleicht sechs Jahre alt, verkauft „Atomkuchen“. Das sind Muffins, marmorkuchenartig mit zweifarbigem Teig gebacken, dass sich auf der Oberseite ein Radioaktivitätszeichen abzeichnet. Das Kind trägt bunte Ethnokleidung, einen langen Patchworkmantel, an dessen linkem Revers der anti- Atomkraftbutton prangt. Neue, teuere Ökoschuhe verraten seine Zugehörigkeit zur aufgeklärten Klasse. Ein vom Atomkind vermeintlich selbstgeschrienes Plakat mit lustigen Schreibfehlern sagt: „biologische Zutaten, Eier aus Freilandhaltung, 100% mit Ökostrom gebacken.“ Ein Atomkuchen kostet einen Euro.

Es bildet sich eine Menschentraube um den kleinen Atomkuchenstand. Die Kreuzbergerinnen und Kreuzberger sind ganz gerührt und amüsiert, das Atomkind reagiert schüchtern bis unsicher. Die liebe Mutti, die sich diesen Spaß ausgedacht hat, trägt einen ähnlichen Patchworkmantel wie ihr Kind und steht in sicherer Entfernung. Sie genießt sichtlich den Zuspruch, den ihr Atomkuchen-mit-Kind erfährt und beantwortet auch Zwischenfragen aus dem Publikum.

Der Zeitpunkt der Verkaufsaktion ist gut gesetzt, doch es wird nicht bekannt, ob die beiden ihre Atomkuchen ohne den Einsatz japanischer Haushaltsgeräte gebacken haben. Es wird auch nicht klar, ob die Atommutti ein kreatives Zeichen setzen oder ihr Hartz IV aufbessern will.

In Kreuzberg ist es oft dasselbe, gerade auf der Admiralbrücke. Sie markiert den sanften Übergang vom sozialen Elend am Kottbusser Tor zum alteingesessenen Szeneitaliener. Ein Übergang, der in beide Richtungen funktioniert. Auf der Brücke hat sich vor Jahren eine Wohlfühl- Gesinnungskultur etabliert, cannabische sit-ins und alkoholische drop-outs, mit allerlei Gitarren und Trommelklängen. Der Ort hat multikulturellen Charme, Dealer kämpften schon damals um das Terrain, Pfandflaschensammler machen sich heute friedlichere Konkurrenz. Inzwischen ist er eine Touristenattraktion geworden. Jeder kann teilnehmen, so irgendwie. Bunt gemischte Gruppen sitzen auf einheitlich nacktem Kopfsteinpflaster, sie kiffen, trinken Bier, Wein und Schnaps, nur aus Flaschen, sie glotzen und werden beglotzt, sie hängen ab und sind abgehängt. Und die Musik spielt dazu. Ein Marthalerscher Warteraum im Freien. An Wochenenden sind es manchmal mehrere Hundert Menschen, die im beruhigten Autoverkehr quasi mitten auf der Straße sitzen und ihren Müll, wie zum Beispiel zerbrochene Flaschen, gerne zurücklassen. Die Politik fördert dies alles, denn „das Flair auf der Brücke ist charakteristisch für den Bezirk“, sagt die Umweltstadträtin von Friedrichshain-Kreuzberg, als es zu Klagen der Anwohner kommt.

Die Admiralbrücke ist ein Sammelplatz der gepriesenen „ganz vielfältigen Lebensentwürfe“, ein Soziotop, in dem Verwirrung zum Lebensstil gehört. Hier verkaufen Menschen ein Produkt, dessen Äußeres -Vorsicht Radioaktivität - das genaue Gegenteil vom behaupteten Inhalt – hurra, alles bio – sagt. Dieser Widerspruch ist egal, weil die Gesinnung stimmt. Denn wer Angst hat vor’m Atom, darf alles durcheinanderrühren. Waren die Kuchen der Mütter der Dr. Oetker- Generation noch “mit Liebe gebacken“, sind es die Kuchen der verpatchworkten Kreuzberger Antimuttis nur noch mit Angst. Und weil die Gesinnung stimmt, erhebt auch niemand Einspruch gegen diesen bizarren Atomangst- Kindesmissbrauch. Die anti- Atombewegung hat eine lange und gut dokumentierte Tradition diesbezüglich. Wie jede gut funktionierende Ideologie weiß sie, dass man bei den Kindern anfangen muss.

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