Gunter Weißgerber / 09.01.2019 / 17:00 / 11 / Seite ausdrucken

Andersdenkende hautnah?

Am 12. Dezember 1989 titelte die "Leipziger Volkszeitung" über die "Montagsdemonstration“ vom Vorabend "Andersdenkende waren hautnah beieinander" und schrieb weiter "… Auch wenn die Redner teilweise durch Pfiffe und Buh-Rufe unterbrochen wurden, war die Bereitschaft zum Zuhören deutlich. …"
Als einer der damaligen Redner kann ich das nur bestätigen. Dreißig Jahre später liest sich das wie aus einer fernen Welt.

Demonstrierten 1989/90 Montag für Montag für Freiheit und Einheit Hunderttausende entgegen des Uhrzeigersinns um den Leipziger Innenstadtring und liefen gleichzeitig mehrere hundert vorwiegend junge Leute im Uhrzeigersinn völlig gefahrlos dem Wunsch der tausendfachen Übermacht entgegen, so ist das heute alles nicht mehr möglich. Die 1989 gewonnene Demonstrations- und Redefreiheit zerrinnt in täglichen Exzessen.

Seit längerem schwant mir, wären es damals umgekehrte Demonstrationszahlen gewesen, die in dem Fall an Zahl viel kleineren Freiheits- und Einheitsbefürworter hätten ihren Marsch gegen den Anti-Freiheits- und Einheitswunsch der dann tausendfachen Überzahl nicht ohne größte Gefahr für Leib und Leben überlebt. Zum Glück waren wir tausende Male mehr als viele der damaligen Gegenläufer.

Noch etwas anderes war 1989/90 ff. undenkbar. Die SED als Partei der Diktatur war Hauptgegner, deren Demonstrationen und Aktivitäten wurden jedoch nicht behindert oder gar unmöglich gemacht. Niemand aus der riesigen Mehrheit wäre der undemokratischen Idee verfallen, SED-Demonstrationen zu behindern oder SED-Mitglieder zu verprügeln.

Was sich beispielsweise das „Aktionsnetzwerk Leipzig nimmt Platz“ seit Jahren anmaßt und was vor allem durch eine fahrlässig handelnde Politik gefühlt unterstützt wird, nämlich das Behindern von Demonstrationen von tatsächlichen oder vermeintlichen Gegnern der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, wäre vor dreißig Jahren öffentlich nicht goutiert worden. Damals galt, was auch heute noch gelten sollte: Das Behindern von (genehmigten!) Demonstrationen ist eine erste Stufe der Eskalation, einer Eskalation, die irgendwann bei der Lynchjustiz ankommen kann.

Farbe bekennen!

Friedliche Gegendemonstrationen ohne Behinderung anderer Demonstrationen gehören dagegen selbstverständlich zum demokratischen Instrumentarium und müssen ebenfalls immer möglich sein. Das gehört zur Diskursfähigkeit in einer Gesellschaft.

Für das Grundrecht auf Meinungs- und Demonstrationsfreiheit gingen Millionen Ostdeutsche auf die Straße. Niemand hat das Recht, dieses Grundrecht willkürlich einzuschränken! Hier ist der demokratische Rechtsstaat, sind die demokratischen Parteien der Bundesrepublik gefordert, Farbe zu bekennen! Wer Anderen dieses Grundrecht vorenthält, der wird es später auch selbst verlieren. Weil er/sie das Fundament von Freiheit und Demokratie zerstört.

Hier müsste auch Andrea Nahles für die SPD Flagge zeigen! Stattdessen forderte ihre offizielle Mitarbeiterin Angela Marquardt im September 2018 mit dem Artikel „Im Kampf gegen rechts braucht die SPD auch die Antifa die Kooperation mit Linksextremisten.

Andrea Nahles fiel der Antifa-Freundin Marquardt (erwartungsgemäß?) leider keineswegs in die Arme, rettete nicht das Ansehen der SPD. Spätestens seitdem ist klar: Die Nahles-SPD scheint bereit, sich mit Feinden der Freiheit zu verbünden. Ist noch tieferes Sinken möglich?

Am 7. Januar 2019 fiel der AfD-Abgeordnete Frank Magnitz einem brutalen Überfall zum Opfer, der zum Tode des Mannes hätte führen können. „RP-online“ schreibt dazu am 08.01.2019 „...Wenn es nicht endlich gelingt, dieser sich aufheizenden Stimmung Einhalt zu gebieten, könnten uns Szenen auf den Straßen drohen, die sich auch in der Weimarer Republik abspielten. Gegen politischen gewaltbereiten Extremismus – von links wie von rechts – muss sich die Demokratie wehrhaft zeigen. Das war die wichtigste Lehre aus dem Scheitern der Weimarer Republik. Wehret den Anfängen – lautet der Lehrsatz. Die Anfänge aber sind längst schon zu besichtigen. …“

Die schwere Distanz zur Antifa

Sollten die Vermutungen zutreffen, dass der AfD-Mann einem politisch motivierten Anschlag zum Opfer fiel, dann ist auch Andrea Nahles gefordert! Ihre Mitarbeiterin Angela Marquardt machte mit der „Antifa“ den Linksextremismus im „Vorwärts“ endgültig für die SPD salonfähig. Deshalb muss sich Andrea Nahles für die SPD sofort von jeglichem Extremismus distanzieren, sowohl vom rechten als auch vom linken! Und sie muss Angela Marquardts Ansinnen einer Zusammenarbeit mit der „Antifa“ öffentlich entgegentreten!

Es genügt nicht, dass sich mit Katarina Barley, Heiko Maas und Johannes Kahrs sofort SPD-Politiker gegen politisch motivierte Gewalt äußerten. Die Parteivorsitzende ließ den Eindruck SPD-sakrosankten Wirkens der „Antifa“ entstehen. Es ist an ihr, das öffentlich und glaubhaft zu korrigieren! Damit niemand sagen kann, die Opfer linker Gewalt seien auch die Opfer von Andrea Nahles und damit der SPD!

Wenn sich Andrea Nahles nicht besinnt, macht sie genau das kaputt, was Willy Brandt mit dem "Radikalenerlass" und Helmut Schmidt mit seinem Standhalten gegen den Terror der RAF an Vertrauen in die deutsche Sozialdemokratie schufen.

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Leserpost

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Martin Lederer / 09.01.2019

@Angela Maaz / 09.01.2019 Erinnert fast an die Aufruf der heutigen TU Dresden gegen PEGIDA. Es hat sich also nichts geändert.

Karsten Kaden / 09.01.2019

Es gibt nicht DIE “Antifa”. Unter der Marke agiert eine Vielzahl verschiedener Gruppen. Nicht alle sind gewaltbereit. Manche klopfen nur Sprüche, andere blockieren Demos oder betreiben leichtere Sachbeschädigungen wie das Sprühen von Parolen. Aber ein gewisser Kern schreckt auch vor schweren Anschlägen auf Sachwerte (remember G20 Hamburg) und massiver körperlicher Gewalt nicht zurück. Eine solche Gruppierung, die sich “Antifaschistischer Frühling Bremen” nennt, bekannte sich heute Abend 18:00 Uhr auf der Plattform indymedia.org zu dem Anschlag auf den AfD-Politiker Magnitz. Das Posting wurde noch vor 20 Uhr wieder aus der Übersicht entfernt und der Link läßt sich nicht mehr öffnen (Zugriff verweigert). Ich besitze jedoch einen Screenshot und zitiere hiermit den Text (incl. Rechtschreibfehler): “Der Antifaschistische Frühling Bremen gibt bekannt, dass wir den AfD-Politiker F. Magnitz am Montag gegen 18.00 Uhr Ortszeit von seinem faschistischen Gedankengut befreien wollten. Magnitz, der gute Kontakte in die rechtsextreme und faschistische Szene hält und des öfteren mit rassischtischen Äußerungen in Erscheinung tritt, darf in Bremen und anderswo keinen Fuß mehr fassen und gehört wie jeder andere Nazimundtot gemacht. Wir dulden keinen Nazi-Abschaum in unserer Gegend! Der Antifaschistische Frühling wird kommen! Macht euch bereit!”

Karl-Heinz Vonderstein / 09.01.2019

Ich erinnere mich noch an Sommer 2017, als der G-20 Gipfel in Hamburg stattfand und hunderte Linksextremisten durch die Straßen zogen, Gewalt gegen die Polizei und unschuldige Passanten ausübten und Autos und Läden in Brand setzten. Vertreter von der Linken, SPD und Grünen störten sich dann daran, dass die Medien hierzulande von Linsextremisten oder Linksautonomen sprachen und meinten, dass seien keine Linken gewesen.Links sei nicht extrem oder Links und Gewalt schließe sich aus.  

Petra Wilhelmi / 09.01.2019

Zum 12.12.89 muss man aber auch wissen, dass da die Montagsdemos im Grund schon - mal ganz deftig formuliert - tot waren. Sie waren nicht dazu gedacht, dass Redner sprachen. Sie waren Willenskundgebungen von Demonstranten an den Staat. An diesem 12.12. gab es erstmals eine Kundgebung und dort wurde das Neue Forum, dass uns alle zusammengebracht hatte, erstmals ausgepfiffen. Seit diesem Dezember damals machten alle westlichen Parteien am Rande der Kundgebung/Demo massiv Werbung für ihre Parteien und ihre Ziele. Da hieß es nicht mehr “Wir sind das Volk”, sondern “Wir sind ein Volk”. Zu dieser Zeit gab es die großen Diskussionsrunden in den Betrieben, wo sich das Leitungspersonal verantworten musste, oder im Leipziger Gewandhaus. Die Montagsdemo des Durchbruches vom 9. Oktober 1989 war zwar friedlich, aber das war nicht voraus zu sehen. Die Staatsmacht hatte ihre kasernierte Volkspolizei aufgefahren. Die Innenstadt war voll von Lastautos mit dieser Polizei und ihren Hunden. Alle Leipziger wurden aufgefordert, nachmittags die Innenstadt zu verlassen. Zwar wurde später dementiert, dass die Krankenhäuser keine Bereitschaft hätten, aber ein guter Bekannter von mir, Arzt, hatte Bereitschaft und sie wurden auf Schusswunden vorbereitet. Des Weiteren waren auch Lager vorbereitet. Es kam Gottseidank anders, weil 3 Herr Wötzel von der SED, Bernd-Lutz Lange, der Kabarettist, und der Dirigent Kurt Masur einen Aufruf zur Gewaltlosigkeit starteten. So eine Gemeinsamkeit von der damals führenden Partei und 2 Künstlern gegen Gewalt und für das Anhören der Demonstranten würde es heute nicht mehr geben. Heute werden Andersdenkende niedergeschrieen und diffamiert, auch von Künstlern, die sich bei ihren Konzerten nicht entblöden, diejenigen, die sie bezahlt haben, zu beschimpfen. Es ist traurig, was hier und heute passiert.

Michael Scheffler / 09.01.2019

Liebe Frau Maaz, in Dresden hat die Polizei Anfang Obtober 89 bei der Durchfahrt der Züge auch Gewalt eingesetzt. Ich habe im Dresdner Hauptbahnhof gesehen, wie Menschen verprügelt wurden und z.B. ein überall blutender Demonstrant an den Haaren durch die Vorhalle des Haptbahnhofes zezogen wurde, eine Blutspur hinter sich. Dann wollte man Wasserwerfer einsetzen, aber schon damals war das MINT-Potential der Herrschenden bescheiden: Wasserwerfer und Straßenbahnoberleitungen bildeten auch damals einen unversöhnlichen Antagonismus. Irgendwann schaffte man es dann, den Hautbahnhof zu räumen und zog einen immer größeren Kreis. Ein Polizeifahrzeug ging dabei in Flammen auf, die Glastüren und einige Scheiben des Bahnhofs wurden eingeschlagen oder eingeworfen. Doch dann wurde man seitens der Einsatzleitung schlauer, die Stasi übernahm Aus der Menge der Polizisten lösten sich kleine Gruppen ziviler Greifer, die sich dann immer einen von uns griffen, ihn kurzfristig kampfunfähig machten und an seinen Extremitäten in den Polizeikordon zogen, wo er dann in die Stasi-Zentrale kam, wie wir heute wissen. An der TU gab es damals Leute, die dieses Vorgehen mutig kommentierten und wie z.B. mein Sportlehrer das Parteibuch zurückgaben. Es gab aber auch die Anderen - und - die kamen sehr gut im neuen System unter.

Wolfgang Richter / 09.01.2019

Sehr geehrter Herr Weißgerber, als NRWler habe ich gerade die “Aktuelle Stunde” genossen, unter mentalem Schmerz. Dort wurde zu dem Bremer Überfall auf Herrn Magnitz von der Redakteurin ein Bonner “Polit-Experte”? interviewt, Grundtenor der auch schon von “Annalena” in etwa gesprochene Satz “Wer Haß säht, muß sich nicht wundern, wenn er Haß erntet”, also nach meinem Verständnis “selbst schuld”, auch wenn natürlich nach der üblichen Betroffenheitsrhetorik darauf hingewiesen wird, daß Gewalt abzulehnen ist, gegen alle. Sicher ist dieser Berichtsblock noch in der Mediathek abrufbar, je nach politischer Ausrichtung wird mentale Schmerzfreiheit empfohlen.

R. Nicolaisen / 09.01.2019

Herr Weißgerber, nun verteidigen Sie mal nicht den “Radikalenerlaß” (alias Regelanfrage beim “Verfassungsschutz” (=Staatssicherheit West- denn eine Verfassung kann nicht von einem Geheimdienst geschützt werden )) - initiiert von “Friedensengelchen Brandt” und Klose. Denn der hat das politische Klima in der BRD extrem gestört, viele Menschen sehr verstört und aller offenen Diskussion sehr geschadet. Und alles nur wegen ein paar Handvoll von Leuten: Die Ausbeute des Verfahrens war wahrlich sehr gering. Weswegen es dann irgendwann eingestellt wurde. Aber da war der Schaden schon geschehen, der Obrigkeitsstaat wieder verfestigt. Also hören Sie auf mit d e m Unfug.

Andreas Bitz / 09.01.2019

Es geht keineswegs nur um Frau Nahles, die durch ihr Verhalten der Antifa nicht entgegentritt. Die Nähe der SPD zur Antifa ist nicht nur den Jusos, Kindern von SPD-Repräsentanten (Stegner, Dulig…) eigen und bis in höhere Regierungsstellen verbreitet. “Ein Wort zur Antifa. Irgendwer muss die Drecksarbeit ja machen”, so ein Combo-Sprecher bei der von der SPD mitorganisierten “Kandel ist bunt”-Veranstaltung, unwidersprochen von MP/stellv. SPD-Vorsitzenden Dreyer und Innenminister/SPD-Landesvorsitzender RLP.  Kurze Zeit später werfen schwarzvermummte Antifablock-Marschierer Sprengkörper auf Polizisten.

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