Burkhard Müller-Ullrich / 20.10.2011 / 22:30 / 0 / Seite ausdrucken

Am Geld-Hebel

Nie waren die alchemistischen Grundlagen und Bezüge der Finanzwirtschaft deutlicher als in der gegenwärtigen Krise, bei der es um das Scheitern einer menschheitsalten Phantasie geht: die Vermehrung von Reichtum durch reine Zauberkraft. Eine traditionsreiche Methode ist die Verwandlung von Dreck in Gold, aber es gibt auch viele andere Ansätze, darunter jene, deren üble Folgen wir demnächst auszubaden haben, nämlich das schnelle Zirkulierenlassen von Beträgen, bis der Unterschied zwischen Geld und Versprechen, zwischen Guthaben und Kredit verschwimmt. Auf diese Weise nimmt die Geldmenge zu, ohne daß irgendwo mehr gearbeitet oder produziert worden wäre, ohne daß sich irgendein realer Wert erhöht hätte.

Die Verfahren der magischen Geldvermehrung sind tief in unser kollektives Unterbewußtsein eingedrungen, viele Märchen handeln davon, Sprachbilder sind davon geprägt, und das Handeln von Regenten und Regierungen beruht seit alters auf dieser Vorstellungswelt. Sehr verbreitet ist die Flüssigkeitsmetaphorik; Geld wird als Liquidität gedacht, man kann darin schwimmen, Gewinne kann man abschöpfen, und wenn sie ausbleiben, sitzt man auf dem Trockenen. Aus dieser Perspektive betrachtet, handelt es sich bei den gegenwärtigen Maßnahmen zur Vergrößerung des sogenannten Rettungsschirms darum, Geld in eine Art Rückhaltebecken zu pumpen oder gar ausgedörrte Felder damit zu fluten.

Als Symbol dient aber nicht die Pumpe, sondern der Hebel. Der Hebel stammt aus einem anderen Bildspeicher, er gehört nicht zur Strömungs- sondern zur Festkörperphysik. ‚Kraft mal Kraftarm ist gleich Last mal Lastarm‘, lautet das Hebelgesetz, dessen Wirkungsweise für die menschliche Seele außerordentlich beglückend ist. Mit Hilfe des Hebels kann man stärker sein als von der eigenen Muskelkraft gewohnt. Der Hebel ist eine Vorrichtung, mit der man Kraft auf Kosten des Weges einspart– oder umgekehrt. Jedes Kind kennt das Prinzip von der Wippe, vom Nußknacker und vom Rudern.

Damit also soll jetzt die alchemistische Geldvermehrung stattfinden? Die Regierungen rudern, sie wollen goldene Nüsse knacken und uns auf der Wippe verschaukeln. Der Hebel suggeriert solide Mechanik; würde man vom Aufblasen eines Geldballons sprechen, stellten sich ganz andere Assoziationen ein. Etymologisch hat der Hebel mit Heben zu tun, deutet also eine Aufwärtsbewegung an. Allerding wissen auch Halunken mit dem Brecheisen den Hebel anzusetzen. Der Hebel ist das einfachste Werkzeug zur Verwirklichung eines Machttraums: man transzendiert damit das eigene Vermögen.

Deswegen setzen die EU-Regierungen jetzt alle Hebel in Bewegung. Am Wochenende wollen sie unvorstellbare Geldmengen aus unseren maroden Volkswirtschaften hebeln, so wie wir Banknoten aus Geldscheinautomaten mit Hilfe überzogener Kreditkarten. Noch ist offen, wer am längeren Hebel sitzt, Merkel oder Sarkozy, Bank oder Not, Geld oder Schein, aber weh und leid wird es noch vielen tun, denn wo gehebelt wird, da fallen Späne. 

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