Gastautor / 27.10.2013 / 04:33 / 0 / Seite ausdrucken

Alles fließt in Italien

Reinhard Dinkelmeyer

Der griechische Philosoph Heraklit hat mit seinem berühmten Spruch (Panta rhei/alles fließt) vor gut 2500 Jahren etwas Positives gemeint: Alles bleibt in Bewegung, nichts stagniert. Aber in Italien findet gerade beides gleichzeitig statt: Alles fließt wie ein Wildbach, aber nirgends hin, sondern stagniert in der eigenen Soße.

In der größten Suppenküche Europas, dem italienischen Parlament, sind seit den letzten Wahlen am 24./25. Februar 2013 hauptsächlich drei äußerst unterschiedliche Abgeordnetengruppierungen am köcheln, die gemeinsam den Brei verderben.

Deren politische Standpunkte lösen sich auf, ohne dass eine neue, Richtung weisende Strömung zu erkennen wäre.

Die Partei Berlusconis, die unter wechselnden Namen die italienische Politik bestimmte, galt zwanzig Jahre lang als kompaktes und gehorsames Werkzeug für alle Machenschaften des “Sultans”. Sie firmiert als konservativ, aber sie war und ist absolut ideologiefrei, einziges Parteiprogramm ist der Machterhalt des Cavaliere und die Förderung seiner Familienunternehmungen.

Diese Idylle wurde dadurch unterbrochen, dass Berlusconi endlich in einem der zahlreichen gegen ihn laufenden Prozesse in sämtlichen Instanzen bis zum Obersten Berufungsgericht Italiens rechtskräftig zu 4 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Die Verurteilung hat auch die Aberkennung der Senatorenwürde und damit den Verlust der Immunität zur Folge. In einer Art Götterdämmerungsinszenierung befahl der Parteiführer den 5 Ministern seiner Partei, die in der Koalitionsregierung mit dem Partito Democratico vertreten waren, zurückzutreten. Die Abgeordneten seiner Partei in Parlament und Senat reichten schon freiwillig blanco Rücktrittserklärungen beim Parteivorsitzenden ein.

Angesichts der nun drohenden Regierungskrise dämmerte wohl endlich einigen seiner Gefolgsleute, dass sie sich auf einem sinkenden Schiff befanden, sie stimmten bei der Vertrauensfrage für die Regierung Letta und gegen die Weisung ihres Häuptlings. Was mit den Rücktrittszetteln der Abgeordneten geschah, weiß man nicht. Die Berlusconi- Partei kam damit nicht ins Fließen, sondern ins Zerfließen. Wenn der Leithammel im Gefängnis sitzt, ist die Arena endlich frei für die Diadochenkämpfe zwischen seinen Getreuesten. Darunter finden sich auch Vertreter der alten Faschistenpartei, die vom Sultan mit Ministerposten und anderen Zuwendungen wieder salonfähig gemacht wurden. Alle fühlen sich berufen, sein Erbe anzutreten, bevor er noch richtig abgetreten ist. Wofür sie künftig eintreten wollen, hat noch keiner gesagt.

Seit den letzten Wahlen hat in Italien noch ein zweiter Häuptling Aufsehen erregt. Der frühere Kabarettist Beppe Grillo mischte die Politszene tüchtig auf. Im Wahlkampf kündigte er an, die ganze alte, mit sich selbst beschäftigte Politikerkaste nach Hause zu schicken. Das war vielen Italienern aus dem Herzen gesprochen, die von allen Parteien schon viel zu oft enttäuscht und betrogen worden waren. Viele junge Wähler erhofften sich von dem wortgewaltigen Wirbelwind frischen Wind für die abgewirtschaftete italienische Politik und wählten das “Movimento 5 Stelle” (die fünf Sterne Bewegung). Ganz bewußt sollte die neue Bewegung über dem alten Parteienfilz von rechts und links angesiedelt sein. Beppe Grillo zitierte zwar nicht Heraklit, aber er durchschwamm als Wahlkampfgag die Meeresenge von Messina, worauf er in Sizilien prompt die Mehrheit gewann. Auch damit schlug er einige Wellen.

Seine fünf Sterne kamen nach den Wahlen als drittstärkste Kraft ins Parlament. Weil der sendungsbewußte Grillo sich weder mit der Berlusconi-Partei noch mit dem Partito Democratico verbünden, sondern allein herrschen wollte, verursachte er durch seine Verweigerung eine von Anfang an krisenanfällige, eigentlich unmögliche Koalitionsregierung der Demokraten mit Berlusconi. Über deren zunehmende Handlungsunfähigkeit angesichts von ständig steigenden Arbeitslosenzahlen und dringend nötigen Reformen schüttete Grillo gerne Spott und Hohn aus, lehnte aber eine konstruktive Zusammenarbeit entschieden ab.

Seine populären Ankündigungen, die höchsten Abgeordnetendiäten in der europäischen Union für Italiens Abgeordnete zu halbieren und die Zahl der Abgeordneten ebenfalls, wurden bis heute nicht verwirklicht. Erst sollte alles in Scherben gehen, bevor seine Fünf-Sterne-Bewegung nicht nur Italien, sondern alle Freunde der globalen Netzgemeinschaft der Weltherrschaft “Gaia” entgegenführen würde. So jedenfalls werden die überirdischen Vorstellungen seines Guru und Ideengebers Gianroberto Casaleggio in einem Video dargestellt.

Nicht alle Protestwähler möchten ihn auf diesem Weg begleiten. Mehr Diskussion, mehr Mitsprache wird von seinen Abgeordneten angemahnt, Realos und Fundamentalisten befehden sich immer unversöhnlicher. Beppe Grillo, der wegen eines von ihm verschuldeten Verkehrsunfalls mit mehreren Toten keine öffentlichen oder parlamentarischen Ehrenämter mehr bekleiden darf, versucht aus dem Hintergrund des Internets seine Jünger auf seiner stellaren Linie zu halten, aber es ist unverkennbar, dass unter seiner Anhängerschar manches in ein unjalkuliertes Fließen gekommen ist. 

Schließlich gibt es noch die “Partito Democratico”, die mit knapper Mehrheit die letzten Wahlen gewonnen hat und in der neuen Parlamentsperiode mit Ministerpräsident Enrico Letta die neue Regierung anführt. Diese Mitte-Links Partei ist der klassische Versuch, Unmögliches möglich zu machen. Sie entstand als ein Sammelbecken aus den Resten des links-katholischen Flügels der alten “Democrazia Christiana” und den gemäßigten Sozialisten und Kommunisten aus der aufgelösten kommunistischen Partei Italiens.

Die begrenzten Gemeinsamkeiten dieser Partei haben einen unlösbaren Webfehler. Grundsätzlich lassen sich im Schatten des Vatikans laizistische und christkatholische Gesinnungen nicht unter einen Hut bringen. Letta entstammt einer traditionell christ-demokratischen Politikerfamilie, sein heftigster Herausforderer Matteo Renzi ebenfalls, aber die immer noch einflussreichen Gewerkschaftsführer und laizistischen Sozialisten lassen sich nicht gern in den Hintergrund drängen. So erschöpft sich die Partei in endlosen Grundsatzdebatten, Flügelkämpfen und basisdemokratischer Zermürbung.

Selbst wenn es mit dem gefürchteten Caiman jetzt doch endlich zu Ende geht, ist bei dem gegenwärtigen Zustand der drei größten Parteien des Landes noch keine klare politische Richtung und keine gesicherte Mehrheit garantiert. Vielleicht schmiedet die immer noch drohende Krise eine neue Koalition zusammen, vielleicht gibt die vielgeschmähte europäische Union dem Land eine Orientierung und Stabilität, die es in sich selbst gerade nicht finden kann. In sicheren Gewässern befindet sich das Land keineswegs.

Noch ist ungewiss, ob eine innovative Linke mit Heraklits fortschrittlichem “alles fließt” Recht behält, oder ob die frommen Konservativen sich an das nicht weniger berühmte Zitat des Tancredi in Tommaso di Lampedusas Roman “Der Leopard” halten: “Wenn wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist, muss sich alles verändern.”  (“Se volgliamo che tutto rimanga com’è, bisogna che tutto cambi.”)

So oder so: Die italienischen Wähler sind nicht zu beneiden.

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