Gastautor / 25.05.2024 / 10:00 / Foto: Khamenei.ir / 10 / Seite ausdrucken

​​​​​​​Weitere Kandidaten für „harte Landungen“ in Nahost

Von Michael Rubin.

Das plötzliche und unerwartete Hinscheiden des iranischen Präsidenten wirft eine Frage auf: Worauf muss sich Amerika einstellen, wenn andere Führungspersönlichkeiten in Nahost das Zeitliche segnen?

Der iranische Präsident Ebrahim Raisi kam bei dem, was iranische Medien zunächst als „harte Landung“ bezeichneten, ums Leben. Dass die Iraner in Raisis Heimatstadt Mashhad mit einem Feuerwerk feierten, zeigt den Hass, mit dem die Iraner das Regime betrachten, das sie unterdrückt. Dies sollte eine Warnung an das Regime sein: Raisi ist eine Sache, aber wenn der 85-jährige Oberste Führer Ali Khamenei eine harte Landung hinlegt, wird das die aktive Suche der Iraner nach einem Regimewechsel in Gang setzen.

Die Beileidsbekundungen der Europäischen Union zum Tod des Schlächters von Teheran zeigen die moralische Blindheit, die der europäischen Politik zugrunde liegt; sie sind vergleichbar mit den Beileidsbekundungen zum Tod von Reinhard Heydrich, dem amtierenden Reichsstatthalter von Böhmen und Mähren im Jahr 1942.

Während sich das Weiße Haus, das Außenministerium und die CIA darum bemühen, herauszufinden, wer Raisi dauerhaft ersetzen könnte (man denke an den ehemaligen Chef der Revolutionsgarden und derzeitigen Parlamentspräsidenten Mohammad Bagher Ghalibaf), untergräbt die ständige Aufholjagd die Effektivität der USA auf lange Sicht. Ein produktiverer Ansatz könnte darin bestehen, zu überlegen, welche anderen harten Landungen in naher Zukunft bevorstehen, die US-Strategie anzupassen und zu erkennen, wann Washington zu viel in einen Mann investiert hat.

Khamenei, Abbas, Erdogan

Manche Übergänge sind so sicher, dass es töricht ist, Zeit in die derzeitigen Führer zu investieren. Khamenei ist teilweise gelähmt und hat offen gegen Krebs gekämpft. Die Annahme, dass der kranke Ayatollah ein Stabilitätsanker sein wird, ist töricht. Der Annäherung an sein Regime den Vorzug vor der Stärkung traditioneller Bündnisse mit Ländern wie Israel, Ägypten oder Saudi-Arabien zu geben, ist ein Kunstfehler.

Dann ist da noch Mahmud Abbas, der 88-jährige Leiter der Palästinensischen Autonomiebehörde, der derzeit das 20. Jahr seiner vierjährigen Amtszeit absitzt. Der einzige Unterschied zwischen Abbas und seinem Vorgänger Jassir Arafat besteht darin, dass Arafat einen Nachfolger ernannt hat, während Abbas sich weigert. Hätten die Regierungen Obama, Trump und Biden die Illegitimität von Abbas nicht achselzuckend zur Kenntnis genommen, wäre die Frage nach der Rolle der Palästinensischen Autonomiebehörde bei der künftigen Verwaltung des Gazastreifens kein so großes Hindernis.

Trotz der anfänglichen Zurückhaltung von Präsident Joe Biden gegenüber seinem türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan hat sich das Weiße Haus dem türkischen Diktator gegenüber zunehmend freundlich und fürsorglich gezeigt. Die großzügigste Lesart wäre, dass Biden seine Freunde nahe und seine Feinde näher halten will.

Der 70-jährige Erdogan mag im Vergleich zu Biden ein junger Hüpfer sein, aber seine Gesundheit ist nicht besser. Einmal hat er sich während eines Anfalls versehentlich in seiner gepanzerten Limousine eingeschlossen, und während seiner Wiederwahlkampagne hatte er vor laufender Kamera einen „Herzvorfall“; Gerüchte besagen, dass er auch an Darmkrebs erkrankt ist. Wie auch immer Erdogan zu Tode kommt, das Vakuum, das die Türkei nach seiner fast ein Vierteljahrhundert währenden Herrschaft hinterlassen wird, wird das Land destabilisieren. Wie Abbas hinterlässt auch Erdogan keinen klaren Nachfolger, und so werden sich sein Schwiegersohn Bilal und Außenminister Hakan Fidan einen Kampf liefern, während diejenigen, die durch frühere Säuberungen an den Rand gedrängt wurden, ihr eigenes Comeback planen.

Was, wenn es die Falschen erwischt?

Khamenei, Abbas und Erdogan mögen offensichtliche Kandidaten für eine „harte Landung“ sein, aber was würde passieren, wenn sich Jordaniens König Abdullah II. oder Ägyptens Präsident Abdel Fattah el Sisi plötzlich auf der falschen Seite der Sterblichkeit wiederfinden? Könnte einer der beiden Pfeiler der Stabilität zusammenbrechen? Das ägyptische Militär würde wahrscheinlich für Stabilität sorgen, aber während in Jordanien ein Kronprinz bereit ist, das Ruder zu übernehmen, verliert die gesamte Herrscherfamilie durch Korruption und Misswirtschaft weiter an Legitimität und Popularität. Ein umgekehrtes Jordanien wäre ein Albtraumszenario.

Während die Progressiven im Kongress den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman wegen seiner angeblichen Rolle beim Tod des ehemaligen saudischen Geheimdienstmitarbeiters und Muslimbruders, der zum regimekritischen Schriftsteller Jamal Khashoggi wurde, verunglimpfen, stellt sich die Frage, was passieren könnte, wenn sein kranker und an Alzheimer leidender Vater plötzlich die Karten neu mischt und einen Traditionalisten an die Spitze setzt. Was könnte es für Washington bedeuten, wenn sich ein neuer saudischer Führer ganz Moskau oder Peking zuwendet, weil er die grundlosen Beleidigungen Washingtons satt hat?

Ironischerweise ist der einzige Wechsel, den Biden wirklich will, vielleicht der folgenloseste. Biden verachtet den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu mit der gleichen Abneigung, mit der der Jahrgangsbeste einer Community-College-Klasse einen Rhodes-Stipendiaten betrachten könnte. Aber Israel ist eine Demokratie, und sie liefert, was ihr Volk will.

Israelis wollen Sicherheit. Die Iraner wollen Freiheit. Eine bessere amerikanische Strategie wäre es, beides zu verfolgen.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Middle East Forum.

 

Michael Rubin schreibt für den Blog „Beltway Confidential“ des Washington Examiner. Er ist Direktor für politische Analysen beim Middle East Forum und Senior Fellow am American Enterprise Institute.

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Leserpost

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L. Schwarzschild / 25.05.2024

Die einzig sinnvolle Politik des Westens in dieser Region bestünde darin, alte (Fehl)Investitionen abzuschreiben, neue (Fehl)Investitionen zu vermeiden, seine harten Interessen soweit als möglich von allen Eventualitäten abzuschirmen und wo nötig mit massiven Militärschlägen zu verteidigen. Ansonsten gilt es bis auf Weiteres, den Dschungel einzuhegen und darauf zu vertrauen, dass die wunderbaren Menschen dort irgendwann einmal selbst ihre furchtbaren Dämonen überwinden.

Wolfgang Richter / 25.05.2024

@ Roland Stolla - Besta - “unsere Außenministrantin Baerbock nicht nach Teheran zu diesem Ereignis flog,” - Die hat möglicherweise aktuell ein ganz anderes Problem. Nachdem sie zuletzt immer wieder Israel im nahezu Wochentakt auf dem Reiseplan hatte, dürfte sie im Moment von eher Rechtskundigen prüfen lassen, ob und wie sie nach dem Erlaß der Haftbefehle gegen Israels Regierungschef und Verteidigungsminister durch den Internat. Gerichtshof für Menschenrechte dort überhaupt noch einreisen kann. Würde sie durch ein Treffen mit Regierungsmitgliedern selbst kompromitiert, müßte sie ggf. die Haftbefehle samt GSG9 mitnehmen ? Fragen über Fragen, die höchstvölkerrechtlich geklärt sein wollen, bevor die nächste Reisemission gen Nahost angetreten wird, damit es nicht gar peinlich oder rechtlich angreifbar wird. Ist halt ein prekäres “Geschäft”.

dina weis / 25.05.2024

“Die Beileidsbekundungen der Europäischen Union zum Tod des Schlächters von Teheran zeigen die moralische Blindheit, die der europäischen Politik zugrunde liegt;” Das ist das Unfassbare überhaupt, aber dann Moral heucheln, wenn es um noch so kleinste angebliche Diskriminierung geht, selbst wenn man nur das falsche Wort sagt. Auch wenn viele Iraner sich befreien möchten, sind die anderen Kräfte stärker, da diese Ideologie des Hasses und der Unterdrückung mit brachialen Mitteln hantiert, die jede andere Meinung und jede Opposition verstummen läßt.

gerhard giesemann / 25.05.2024

“Worauf muss sich Amerika einstellen, wenn andere Führungspersönlichkeiten in Nahost das Zeitliche segnen?” Wieso Amerika, die USA also? Denen kann es doch egal sein, was dort passiert. Europa ist gefragt. Sollen wir die Russen mal durchfegen lassen, ihnen Byzanz schenken? Wenn sie dafür die UA in Ruhe lassen, warum nicht? Die Russen haben bereits Baschar Hafiz heraus gehauen, durchaus im Sinne des Westens. Auch wenn der es nicht begreift. Wir brauchen starke, nachhaltige Eindämmung des Islam hier, darauf kommt es an. Zusammen mit Russland kann das gelingen, gegen Russland aber nicht. Das wäre ein echte “Zeitenwende”.  Ein diplomatisches Kunststück, gewiss.

HarryBohne / 25.05.2024

Der liebe Gott lässt der Ziege den Schanz nicht so lang wachsen, daß sie sich selbst drauftritt. Wir dürfen gespannt bleiben….

Jochen Lindt / 25.05.2024

Wunschdenken ersetzt keine Realität. Bis dato hat noch kein einziges islamisches Volk Freiheit und Demokratie gewählt, geschweige denn dafür gekämpft. Die Mullahs regieren seit 45 Jahren.  Länger als die DDR überhaupt existierte. Ohne Zustimmung des Volkes klappt das nicht.  Auch hierzulande sind die Moscheen der Mullahs brechend voll, die Leute gehen da freiwillig hin.  Sicher wird es eine Opposition geben, aber die ist sehr viel kleiner als die Presse uns weis machen will.  Abgesehen davon gilt hier sicher die Erkenntnis von Peter Scholl-Latour, einem der besten Kenner der Materie, nachdem die iranische Opposition schon deshalb nie ans Ruder kommen wird, weil sie sich nicht vom verhassten Schah abgrenzen kann.

Birgit Hofmann / 25.05.2024

Der Autor geht anscheinend davon aus, das Biden Präsident bleibt, was ich bezweifle. Trump wird, sofern er die Wahlen gewinnt, eine andere Aussenpolitik fahren. Man wird sehen, welche, egal wie viele harte Landungen es geben wird. Von daher halte ich von Spekulationen erstmal garnichts.  Abgesehen davon, das Grenzgebiete zu Aserbaidschan wahrlich unwirtliche und weit abgelegene Gegenden sind, da kann schon mal ‘was’ passieren. Auch harte Landungen.

Bernhard Freiling / 25.05.2024

Erdogan mit Khamenei und Abu Mazen in einem Atemzug zu nennen, erscheint mir schon gewagt. Warum sollte Erdogan “einen Nachfolger” benennen? Wenn er abtritt oder “hart landet”, gibt es hochwahrscheinlich Neuwahlen in der Türkei. Man muß Erdogan nicht mögen. Aber den Vergleich mit den beiden anderen Potentaten hat er nun wirklich nicht verdient.

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