Von Dominic Boeer
Die offiziellen Talkshow Spielregeln sind der deutschen Polit-Elite bekannt: Wer es schafft, in nur einem Satz möglichst schroff Banker und Manager zu geißelt, um dann mit neuem Gesichtsausdruck mehr Bildungschancen für alle zu fordern, hat seine Feuertaufe bestanden und gehört zum Club. Wohlklingende, jedoch stets kämpferisch vorgetragene Plädoyers für höhere Renten, höhere Löhne, höhere Hartz4 Sätze und mehr „soziale Gerechtigkeit“ gehören inzwischen ins Handbuch eines jeden Applausjägers. Der Fernsehzuschauer hat sich längst daran gewöhnt, dass der Beifall in Polit-Talkshows kein Beleg für die Richtigkeit einer geäußerten These ist, sondern vielmehr für die mit der Eintrittskarte erworbene Übermoral des Studiopublikums steht.
Bei Anne Will nahm die wöchentliche Applausjagd nun zweifelsfrei groteske Züge an. In der Diskussion über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan dozierte Gregor Gysi in gewohnter Manier über einen Krieg. der Hass schüre und damit mehr Terror und Tote verursache. Die Linke-Ikone wusste nicht nur um den lauten Freudensturm von den Rängen, der darauf folgen würde, sondern auch, dass ihm die Frage, wieso sich die zerstörerischen Terrorcamps in Afghanistan in den friedlichen Clinton Jahren professionalisiert hatten, nie gestellt werden sollte. Natürlich könnte man auch am Beispiel des Völkermordes im Sudans die linke Ohne-Militär-wird-alles-gut-Wohlfühlillusion vollends widerlegen, aber der gemeine Talkshow-Applaus folgt stringent dem Motto: Was in meiner Pankower Nachbarschaft funktioniert, wird auch in Afghanistan klappen.
Das dachte sich auch Roger Willemsen, als ihm, nicht ganz unerwartet, der Coup des Abends gelang. Selten ist einem Talkshow-Gast der Sprung von sinnloser Schwadronage hin zum selbstbeweihräuchernden Unsinn so gut geglückt wie dem Bonner Publizisten. So freute sich der Neu-Brunnenbauer mit dem Oberlehrerinnen-Charme darüber, endlich öffentlich das „Vorurteil“ die Taliban in Afghanistan würden Bildung für Mädchen nicht zulassen wollen „konterkarieren“ zu dürfen. Roger Willemsen untermauerte damit wohl am eindrucksvollsten das Vorurteil des absurden Gutmenschen-Phänomens, sich mit jeder Afghanistanreise ein weiteres Stück von der dortigen Wirklichkeit zu entfernen. Auf Kosten des Verstandes, alles dem Applaus zuliebe.
Der Autor ist Schauspieler (u.a. “SOKO Wismar”, ZDF) und doziert an der International School of Management im Bereich politische und mediale Kommunikation