Den islamistischen Judenhass hatte man abgehandelt. Gesehen, gehört, eingeordnet und ganzheitlich verurteilt. Wer „Juden ins Gas“ schreit, hat in Deutschland keinen Platz, da war man sich schnell einig. Dazu kam auch noch der Islamische Staat mit seinen deutschen Kämpfern und nochmal wurde klar, dass man Islamisten Grenzen setzen muss. Juden in Deutschland atmeten auf, dass sie nunmehr nicht alleine bedroht waren, sondern das ganze Land gefährdet schien. Doch jetzt stellen sie fest, dass der Antisemitismus auch von ganz woanders kommen kann. Aus Deutschlands Mitte, die vielleicht gar nicht in der Mitte liegt. Man weiß noch nicht genau, woher er kommt, denn schließlich weiß man auch noch nicht, woher die AfD kommt. Man weiß nur, dass sie ein Problem mit Antisemitismus hat.
Nachdem der brandenburgische AfD-Abgeordnete Jan-Ulrich Weiß wegen eines antisemitischen Fauxpas nun aus der Fraktion ausgeschlossen wurde und gar aus der Partei ausgeschlossen werden soll, ist das Thema wieder in den Medien. Der siebenfache Familienvater hatte eine Karikatur auf Facebook hochgeladen, die ausgerechnet den jüdischen Bankier Baron Jacob Rothschild zeigte und allerlei unterstellte. Nicht sonderlich originell, muss man hinzufügen, denn die Rothschilds halten seit langem als jüdische Fettnäpfchen für Antisemiten aller Couleur her. Von einem judenfeindlichen Skandal kann man hier nicht sprechen, dafür ist eine Karikatur zu wenig. Verglichen mit den aggressiven, islamistischen Mobs und deren versuchten oder erfolgreichen Übergriffen auf jüdische Passanten und Gegendemonstranten ist Weiß’ Verhalten schlichtweg harmlos.
Dem Vorstand der konservativ-rechtsradikal-sozialistisch-libertären Partei – man ist sich darüber noch nicht einig – möchte man die Ausfälle einzelner Abgeordneten natürlich nicht vorwerfen. Höchstens die mangelnde Kontrolle ihres Personals – Weiß war nicht der erste Fall. Aber die Partei anhand der Herren Lucke und Gauland zu bewerten, entspräche auch nicht der Realität. Nicht in Zeiten sozialer Netzwerke, wo zwischen all dem extremistischen, verfassungsfeindlichen Unsinn, der von furchtlosen Wahrheitskämpfern ohne Profilbild geschrieben wird, der Ton der Debatte durchaus lehrreich ist.
Selbst, wenn man die schwachsinnigsten Kommentare herausfiltert, kommt man zu einem Ergebnis, das zur Partei passt, die sich gerne mutig gibt. Die Mutigen, die die Wahrheit aussprechen, gegen Zentralbanken, Parlamente und Regierungen ihre Stimme erheben und für den kleinen Mann, den einfachen Arbeiter und Bürger sprechen. Mit den Kernideen der Partei hat die Judenfeindlichkeit wahrscheinlich gar nichts zu tun.
Nicht falsch verstehen, bitte. Nicht, wer für die Kleinen spricht, neigt zu Antisemitismus. Sondern derjenige, der seine Außenwirkung darauf aufbaut, gegen die Großen zu sein. Für einige Kleinbürger, sozial Abgehängte und seit Jahren in Verschwörungstheorien Denkende ist der Jude da nicht weit. In Form amerikanischer Banker, europäischer Politiker oder schlicht als Geist vergangener Zeit, der immer noch sein Unwesen treibt, in dem er die Deutschen klein hält. Was auch immer das heißen mag.
Im Gegensatz zur islamistischen Szene ist das Thema jedoch nicht omnipräsent. Aber in Deutschland reicht diesbezüglich bereits ein Ausrutscher, um mediale Wellen zu schlagen. Doch wer auf den berüchtigten anti-israelischen Demonstrationen war, wird die AfD wohl nicht bemerkt haben. Trotz allen Unsinns, der auf Facebook und Co. kursiert, waren ihr derartige Exzesse wohl zu viel des Guten. Das tatsächliche Gefahrenpotential der Partei scheint, zumindest zum jetzigen Zeitpunkt, nur äußerst limitiert.
Der Antisemitismus der kleinen AfD’ler beruht auf keiner ausformulierten Ideologie, seine Plattform sind soziale Netzwerke – keine Schriften, keine Parteitage, höchstens Stammtische. Es ist ein Wiederholen jahrhundertelanger Vorurteile, das nach außen hin wie eine an sich selbst durchgeführte Psychotherapie wirkt. Ebenso das hysterische Liken gleichgesinnter Kommentare. Richtige Diskussionen finden sich auf AfD-Seiten kaum. Die Panik, mit der auf Neid und Angst basierte Vorurteile ins Internet gebrüllt werden, lässt auch auf die Verfasser solcher Kommentare schließen. Man möchte fast sagen, es sei ein Antisemitismus der Hinterwälder und Verlierer. Seine Bedrohlichkeit jedoch ist eine andere Frage.
Dass ein im Internet randalierender Mittvierziger mit Hang zu vielen Ausrufezeichen nicht sofort wie eine Bedrohung erscheint, ist klar. Immerhin hat er – statistisch gesehen – viel zu verlieren. Deutschland geht es gut. Aber was, wenn es mit der Wirtschaft irgendwann bergab geht? Eine beunruhigende Vorstellung, dass in Deutschland unter der Oberfläche ein kleinbürgerlicher Rechtsradikalismus schlummert, der in Zeiten fallender Aktienkurse und hoher Arbeitslosigkeit wieder erwachen kann.
Der Zentralrat der Juden ist jedenfalls besorgt. Aber das ist er immer, weswegen ihn auch niemand allzu ernst nimmt. Doch in die lange Liste antisemitischer Sorgen, zu Islamisten, Rechten und Linken, hat sich nun die AfD eingereiht. Die Sorgenkinder, die sich sonst leidenschaftlich verabscheuen, scheinen antisemitische Ausfälle zu verbinden.
Wobei man bei Islamisten wohl kaum von Ausfällen sprechen kann, wie die Proteste während des letzten Gaza-Kriegs gezeigt haben. Die Offenkundigkeit des Hasses sprach Bände darüber, was im Inneren der Bewegung vorgeht. Der Antisemitismus der Islamisten begründet sich einerseits mit einer radikalen Auslegung des Koran, andererseits mit ganz weltlichen Faktoren wie einer krankhaften Fixierung auf den Nahostkonflikt und einem eklatanten Bildungsmangel. Dazu kommt er mit einer derartigen Aggressivität daher, dass er die Sorgenliste des Zentralrats zweifellos anführt.
Auch die linke Judenfeindschaft hat seine Gründe, wobei man wohl eher von Anlässen sprechen kann. Der ewige Neid und die Ablehnung der Eliten, zu denen man die Juden schmeichelhaft zählt, stehen neben der ebenfalls ungesunden Fokussierung auf den Israel-Palästina-Konflikt. Seit Israel den Sechs-Tage-Krieg in, Verzeihung, sechs Tagen gewann, geriet die peinlich genau auf David und Goliath aufgebaute Weltordnung einiger linker Denker völlig durcheinander. Dass der schwache Judenstaat in sechs Tagen plötzlich die gewaltige arabische Welt besiegen und am siebten Tage ruhen konnte, war zu viel der biblischen Anmaßung.
Nebenbei fühlt man sich im linken Spektrum anti-amerikanistischen Gefühlen verpflichtet, was seltsamerweise ebenfalls in Antisemitismus mündet. Erstaunlich, wenn man die zahlreichen jüdischen Mitglieder vieler kommunistischen Parteien berücksichtigt. Selbst die russischen Revolutionäre waren zu eine erheblichen Anteil jüdisch, während die Sowjetunion – das Resultat der Revolution – schnell zum Erzfeind der Amerikaner avancierte.
Die Sinnhaftigkeit des Antisemitischen ist keine eindeutige Sache, was uns wieder zur „Alternative für Deutschland“ bringt. Während man mit ihrer Einordnung ins politische Spektrum scheitert, ist das antisemitische Spektrum simplerer Natur. Auch wenn Islamisten, einzelne oder mehrere AfD’ler sowie gewisse Linke Abgeordnete für vollkommen unterschiedliche Ziele kämpfen, so findet sich doch immer die Opferideologie wieder, die sich schnell den Juden zum Täter hat. Ob der Islamist also nun gegen das islamophobe Deutschland kämpft, der Linke gegen die Wirtschaft oder ein Alternativer Deutschlands gegen die Banken – das Selbstverständnis als Opfer des Systems ist auffallend ähnlich.
Und ebenso gewisse antisemitische Tendenzen, so unterschiedlich stark sie auch ausgeprägt sein mögen. Wie bedroht Deutschlands Juden sind, lässt sich daraus nur schwer ableiten. Es scheint, als würde der Antisemitismus nun von zwei Seiten kommen. Von den Islamisten und Islamophoben – an den linken, sich selbst als anti-zionistisch bezeichnenden Grundton hat man sich längst gewöhnt. Doch ob es langsam tatsächlich gefährlich wird? Die AfD fühlt sich nicht als Gefahr an. Wer auf der öffentlich frei zugänglichen Seite seiner Partei offen antisemitisch hetzt, den kann man nicht ernst nehmen. Auch wenn das möglicherweise falsch ist.
Aber solange Deutschlands Islamisten gelegentlich durch die Straßen ziehen und rhetorisch ans Dritte Reich erinnern, gilt ein anderes Prinzip. Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Dass man diesen Freund im Auge behalten sein sollte, das zumindest sollten die Juden nicht vergessen. Denn das beunruhigende ist nicht die dümmliche Karikatur eines stramm Konservativen, sondern der gemeinsame Nenner, auf den er mit Islamisten kommt: Antisemitismus.