Gerd Held / 08.10.2020 / 06:15 / Foto: Markytronic / 94 / Seite ausdrucken

Deutschland in der Denkfalle (1): Bunte Fantasien

Wenn die politische Opposition in einem Land eine bestimmte Stärke erreicht, genügt es nicht mehr, sich nur als Gegner der bestehenden Regierung zu präsentieren und alle ihre Beiträge auf den Rücktritt der Regierung zuzuspitzen. Sie erweckt dann leicht den Eindruck, die Lage der Nation sei eigentlich gut und würde nur durch die Unfähigkeit und die bösen Absichten der Regierenden schlecht. Die Opposition führt dann im Grunde nur eine ständige Personaldebatte („Merkel muss weg“). Gewiss werden in den Medien in Deutschland die Beiträge der AfD krass verkürzt wiedergegeben, aber auch wenn man die Publikationen aus dem konservativ-liberalen Spektrum direkt liest, findet man selten den Versuch, ein eigenes Bild von der Lage der Nation zu erarbeiten und der Öffentlichkeit vorzulegen.  

Dabei gibt es deutliche Anzeichen, dass Deutschland massive Probleme hat, die nicht bloß von einer schlechten Regierung erzeugt wurden, sondern die in seiner Grundaufstellung der letzten Jahrzehnte wurzeln. Unser Land ist immer weniger realitätstüchtig. Es wird immer mehr zu einem realitätsfernen Land. Die Märkte für seine wirtschaftlichen Wertschöpfung, insbesondere seiner Industrie, werden enger; sein Staatswesen zeigt bei der Durchsetzung von Sicherheit und Infrastrukturen vor Ort eine eklatante Schwäche; und in den äußeren Beziehungen kommt hinter den großen Weltgestaltungsansprüchen nur ein erbärmliches Herumlavieren zum Vorschein.

Diese Probleme haben mit der Tatsache zu tun, dass Wirtschaft und Staat sich über Jahrzehnte in einer relativ konkurrenz- und konfliktarmen Zone entwickeln konnte. Dieser Schonraum wird nun zur Falle. Unser Land steckt in einer Entwicklungssackgasse. Es muss in einigen Dingen getroffene Entscheidungen zurücksetzen, um wieder festen Boden unter die Füße zu bekommen. Es geht um mehr als nur um eine bestimmte Einkommensverteilung oder die Erhaltung bestimmter Umweltzustände. Die Zeiten des „Wir schaffen das“-Deutschland sind vorbei. 

Es handelt sich dabei um ein Problem, mit denen sich jede Regierung in Deutschland – gleich welcher Couleur – konfrontieren muss. Eine Opposition, die den Namen verdient, müsste sich jetzt dadurch profilieren, dass sie zur Stimme der Wahrheit über die Lage der Nation wird. Dass sie permanent und geduldig daran arbeitet, die historische Klemme darzulegen, in der das Land steckt. Inzwischen hat die Opposition ja eine zahlenmäßige Stärke erreicht, in der sie diese Aufgabe durchaus bewältigen kann.  

Erwartungen in einen großen, schnellen Fortschritt

Natürlich handelt es sich nicht um Aufgaben, die sich nur in Deutschland stellen. Viele andere, recht hoch entwickelte Länder stehen vor ähnlichen Problemen, die oft schon früher virulent geworden sind. Und es gibt ähnliche Schwierigkeiten, den Ernst der Lage wahrzunehmen und öffentlich zu erörtern. Das gilt auch für die USA, wo Anfang November Präsidentschaftswahlen anstehen. Das Oberthema dieser Wahlen ist nicht Trump oder Nicht-Trump, wie die Demokraten es gerne hätten. Vielmehr geht es darum, ob in diesen Wahlen die realen Entwicklungsprobleme der USA eine Rolle spielen oder nicht. Da ist die Positionierung und Bilanz Trumps ein bisschen besser als die seiner Vorgänger. Und die heutigen Demokraten machen nicht den Eindruck, als ob sie sich ernsthaft mit Industrie oder mit Sicherheit beschäftigen.

Auf der Bühne beim jüngsten Parteitag der FDP in Berlin prangte in großen Lettern die Losung „Mission Aufbruch“. Es gab Redebeiträge, in denen ein neues „Wirtschaftswunder“ beschworen wurde. Die deutschen Liberalen glauben offenbar, die Aufgabe der wirtschaftlichen Vernunft in diesen Zeiten sei es, Erwartungen in einen großen, schnellen Fortschritt zu nähren und sich durch Optimismus zu profilieren. Soll das ein Gegenentwurf zu jener „großen Transformation“ der Welt sein, für die der politische Mainstream Deutschland einspannen will?

Eher müsste man das Gegenteil sagen: Die FDP will die Wirtschaft unter dem Titel „Aufbruch“, für diese Transformation einspannen. Man behauptet, dass die deutsche Wirtschaft einen Sprung nach vorn machen könne und alle Schwierigkeiten hinter sich lassen können, wenn sie nur mutig „Innovationen“ machte. Wirtschaft und Staat könnten aus ihren gerade wieder immens gewachsenen Schulden „herauswachsen“. Die Zerstörungen der bestehenden Unternehmenslandschaft und ihrer Arbeitsplätze könnten als „produktive Zerstörung“ (im Sinn des Ökonomen Schumpeter) angesehen werden. Auch die deutschen Liberalen wollen also zu denen gehören, die eine „ganz neue“ Welt versprechen. 

Sie stehen damit nicht allein. In den Wirtschaftsteilen großer Zeitungen ist immer wieder von allen möglichen „Innovations-Schüben“ die Rede, die durch den Corona-Stillstand angeregt würden. Die Digitalisierung würde sich in vielen Bereichen nun definitiv durchsetzen. Die Ökologisierung von Energie, Verkehr, Landwirtschaft fände nun den Platz, um sich durchzusetzen. Neue Arbeitsplätze und Arbeitslandschaften seien schon im Entstehen. Und ganz neue Großstädte gäbe es, in denen die digitalisierten Beziehungen die Krise von Läden, Gastronomie, Clubs und Hotels vergessen machen würden. Wo noch Mobilität gefragt ist, wäre sie ganz entspannt mit dem Fahrrad zu bewältigen. 

Die Tiefe der Wirtschaftskrise

Es ist verblüffend: Gerade war noch von der „größten Wirtschaftskrise seit dem 2.Weltkrieg“ die Rede. Und nun ruft man in diese Krise „Aufbruch!“ und „Zukunft!“ hinein. Das hat mit einer Aufklärung, die an den selbständigen Gebrauch des eigenen Verstandes appelliert, wenig zu tun – aber sehr viel mit psychologischer Steuerung von Stimmungen. Dabei gibt es durchaus genug Berichte, aus denen man die Tiefe der Krise herauslesen kann.

Die Wahrnehmung der Corona-Gefahr ist keineswegs auf ein vernünftig begrenztes Maß zurückgeführt, das nachhaltig Vertrauen schaffen könnte. Im Gegenteil gefällt sich die Politik darin, immer wieder neue „Wellen“ zu beschwören und damit „höchste Gefahren“ im Raum stehen zu lassen. Zugleich wird der wirtschaftliche Schaden durch die Corona-Politik mit ihrem Hin und Her zwischen Schließung und Öffnung ganz unzureichend beschrieben. Ein bisschen „Öffnen“ bringt noch nicht jenes massenhafte Zusammenwirken, das nötig ist, um positive Erträge zu erwirtschaften. Mancher Wissenschaftler liest aus wieder zunehmendem LKW-Verkehr und  Stromverbrauch der Betriebe schon eine Wirtschafts-Erholung. Dabei werden solche Indikatoren auch von Betrieben oder Geschäften gespeist, die weiterhin rote Zahlen schreiben. Immer noch gilt für einen sehr großen Teil der Unternehmen, dass ihre Erträge die Kosten nicht decken und sie daher von ihren Rücklagen (von ihrer Substanz) zehren müssen. Oder sie müssen Schulden machen.

Hier findet ein Zerstörungsprozess statt, der sich langsam immer tiefer durch den Boden der Volkswirtschaft frisst. Ein Großteil der Unternehmen weiß heute nicht, von welchen Erträgen er in absehbarer Zeit die Schulden abtragen oder die verbrauchten Reserven wieder auffüllen könnte. Es geht also nicht nur darum, dass die Wirtschaft mal eben „unterwegs“ zu einem Halt gezwungen wäre. Vielmehr ist das Wirtschaftsleben in seiner produktiven Substanz getroffen. Die Fähigkeit der Volkswirtschaft zur Reproduktion der eigenen Grundlagen ist nachhaltig beschädigt. 

Ähnliches muss für die deutschen Staatsfinanzen festgestellt werden, deren Solidität ja lange Zeit und nicht ohne Grund als Trumpf angesehen wurde. Aber dieser Trumpf ist nun in der gigantischen Überbrückungs-Finanzierung ausgespielt worden. Er kann nicht zweimal ausgespielt werden. Das mühsam durch manchen harten Einschnitt ersparte Geld ist weg. Es kann nicht weiter die Bonität der deutschen Schulden garantieren und nachhaltig Sicherheit bieten.

Die Schulden der öffentlichen Hand haben in Deutschland haben im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt jetzt Größenordnungen erreicht, die früher bei anderen Ländern als unsolide bezeichnet wurden. Es ist auch keine neuen Staatseinnahmen in Sicht, die ein „Herauswachsen“ aus den Schulden oder gar einen wirklichen Schuldenabbau ermöglichen würden. Da ist es kein Trost, dass die Schieflage anderer Länder noch größer ist. Das bringt das Vertrauen, das letztlich für die Entscheidung zum Kreditgeben unabdingbar ist, nicht zurück. 

Die ökonomische Schlüsselfrage: Produktivität 

Erst vor diesem Hintergrund wird der Ernst deutlich, mit dem die Diskussion über den zukünftigen Weg der deutschen Wirtschaft zu führen ist. Erstens: Sie kann nicht als Konjunktur-Problem geführt werden. Der Einbruch ist durch keine Konjunktur der Welt korrigierbar. Zweitens: Es genügt auch nicht, einfach auf „Innovationen“ und „Kreativität“ zu verweisen. Die Innovationen müssen realwirtschaftlich relevant sein, und sie müssen tatsächlich eine zusätzliche Wertschöpfung ermöglichen. Sie müssen so produktiv sein, dass sie die erlittene substanzielle Beschädigung der Wertschöpfung wettmachen können. So etwas hat es historisch durchaus gegeben – zum Beispiel nach der fundamentalen Wirtschaftskrise durch den 2. Weltkrieg. Damals fiel der Wiederaufbau in eine Periode von drei Jahrzehnten starker Produktivitätsgewinne (1945-1975). Das „Wirtschaftswunder“ hatte nicht nur eine Aufbruchstimmung oder eine bestimmte politische Steuerung zur Grundlage, sondern fiel in eine technikgeschichtlich besonders dynamische Periode. 

Das führt zur wirtschaftlichen Grundfrage unserer Zeit: Gibt unsere Zeitperiode einen vergleichbaren Produktivitätsfortschritt her? Dann könnte man zuversichtlich die Zerstörungen hinnehmen und an ihrer Stelle etwas ganz Neues aufbauen. Man hätte einen „Strukturwandel“ vor sich, der zwar einiges an Anpassung abverlangen würde, bei dem aber ein greifbares „Neuland“ zu erwarten wäre. Wenn hingegen unsere Zeit diesen großen Produktivitätsschub nicht hergibt, sehen die Konsequenzen ganz anders aus: Dann brauchen wir eine große, flächendeckende Entlastung der Volkswirtschaft. Insbesondere im produzierenden Gewerbe müssen jene Abgaben, Auflagen, Normen und Stilllegungsfristen auf den Prüfstand, die sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten – oft unter dem Titel „Soziales“ und „Ökologie“ –  ausgebreitet haben, ohne auf die Entwicklung von Produktivität und Wertschöpfung Rücksicht zu nehmen. 

Die wirtschaftliche Grundfrage lautet also, ob wir uns in einer Periode langsamen oder schnellen Produktivitätsfortschritts befinden. Diese Frage lässt sich nicht prinzipiell beantworten, sondern nur durch Betrachtung der realwirtschaftlichen Realität im historischen Maßstab. Es geht also nicht darum, ob wir uns in der Ära der Neuzeit befinden, in modernen Zeiten also. Es geht nicht darum, über irgendeine „Postmoderne“ oder „Spätmoderne“ zu spekulieren. Man darf sich auch nicht einreden lassen, dass nur diejenigen, die von einem schnellen Fortschritt und „neuen Aufbruch“ sprechen, modern und fortschrittlich sind, während diejenigen, die ein langsameres Entwicklungstempo sehen, rückwärtsgewandt, nostalgisch oder gar reaktionär sind. Die Diagnose „langsamere Periode“ darf auch nicht mit der Forderung nach einer „Entschleunigung“ verwechselt werden, die ja das erreichte technische Niveau in Frage stellt und beispielsweise das Automobil als Massenverkehrsmittel zum Sündenfall erklärt.

Eine „produktive Zerstörung“ durch das Corona-Virus? 

In einer Einladung zu einer Veranstaltung der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung mit dem Titel „Aus Krisen für die Zukunft lernen – Corona als Katalysator für Innovation und Digitalisierung“ heißt es: 

„Während der vergangenen Monate haben sich zahlreiche Prozesse in Gesellschaft, Wirtschaft und Politik in einem rasanten Tempo gewandelt. Eine Rückkehr zum Status quo ante Corona erscheint in vielen Lebensbereichen nunmehr undenkbar. So sind beispielsweise die im beruflichen und privaten Leben eingesetzten digitalen Instrumente inzwischen zum festen Bestandteil unseres Alltags geworden. In dieser Veranstaltung wollen wir uns auf die während der Corona-Pandemie gewonnenen Fertigkeiten und Erfahrungen fokussieren.“ 

Wenn man das ernst nimmt, müsste man geradezu begeistert über den Lock down im Frühjahr dieses Jahres sein. Dass die Grünen versuchen, die Corona-Stillstände zu nutzen, um ihre Energie-, Verkehrs-, Landwirtschafts- und Ernährungswende in die entstandene Lücke zu drücken, ist unübersehbar. Aber es gibt offenbar auch eine Neigung im deutschen Liberalismus zu so einem Durchdrücken – insbesondere, wenn es um die Digitalisierung von Wirtschaft, Bildung und Alltagsleben geht. Von dieser Seite wird oft der Begriff der „produktiven Zerstörung“ (Schumpeter) ins Spiel gebracht. Aber nicht jede Zerstörung von bestehender Wirtschaftssubstanz ist produktiv. Das gilt besonders dann, wenn die Realprozesse des produzierenden Gewerbes, die öffentlichen Formen des Warenverkaufs und Konsums, die Massenverkehrsmittel oder der öffentliche Schulunterricht getroffen sind. Viele Menschen machen in diesen Tagen die Erfahrung, dass die Digitalisierung mehr zerstört als sie ersetzen kann. 

Es wäre daher auch ganz töricht von einem Innovations-Automatismus auszugehen: Es genüge, etwas stillzulegen, um die Kräfte der Innovation gewissermaßen „anzuregen“. Die Moderne wäre dann eine Art „Innovations-Automat“, den man nur unter Druck setzen muss, damit er neue, produktivere Lösungen liefert. Jetzt, in der Corona-Krise soll man auf diesen Automaten setzen können. Auch in der Klima-Krise könnte man ruhig die CO2-Emissionskosten so hoch schrauben, dass sie in vielen Gewerben unbezahlbar wären – das würde am Markt eine heilsame Selektion „überholter“ Betriebe und Branchen auslösen. 

„Langsame Jahrzehnte“ sind keine schlechten Jahre

Die Alternative „Aufbruch oder Rückschritt“ ist eine törichte Alternative. Die Unterscheidung von Perioden schnellen und langsamen Fortschritts kann aus dieser schlechten Alternative herausführen. Sie kann die Lage von Volkswirtschaften präziser verstehen und die sehr unterschiedlichen Konsequenzen für das Handeln klarer erfassen. Wenn wir Perioden langsamen Fortschritts als grundlegenden Bestandteil der modernen Welt anerkennen, kann das dazu führen, dass wir vorsichtiger beim Abschalten und Verabschieden bestehender Technologien, Fachkenntnisse, Betriebe und Branchen sind. Und dass wir den Wert einer bestehenden Produktivität und Wertschöpfung erkennen. Das ist der entscheidende Punkt: Die „langsamen Jahrzehnte“ sind keine schlimmen Jahre, denn das erreichte Niveau kann hier ja fortgeführt werden. Allein die Wiederholung dieses Niveaus ist schon eine große, täglich aufs Neue erbrachte Leistung. Ein Land und seine Bürger können auch auf diese Perioden der Geschichte stolz sein. Auch in diesen Perioden ist es modern. Die Wirtschaft der Moderne zeichnet sich durch ein bestimmtes, erhöhtes Niveau der Wertschöpfung aus und schon das Halten dieses Niveaus rechtfertigt die unsere freiheitlich demokratische Grundordnung und ihre Marktwirtschaft. Die Vorstellung, der höchste Daseinszweck der Moderne sei die ständige Innovation und das unaufhörliche Sich-Neu-Erfinden der Menschen ist eine Denkfalle.

 

Im nächsten Beitrag dieser Reihe lesen Sie morgen: Die wahre Wirtschaftslage.

Teil 2 finden Sie hier.

Teil 3 finden Sie hier

Foto: Markytronic CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

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HaJo Wolf / 08.10.2020

@Mirko Deschamps: Sie müssen sich hier nicht entschuldigen, wenn Sie Positives über die AfD schreiben. An der AfD ist, mit Ausnahme der kleinen (!) Minderheit (!) rechtsextremer Deppen kaum etwas auszusetzen, das Parteiprogramm liest sich wie das der CDU von 2000. Und, wie schon an anderer Stelle geschrieben, der rechte Flügel der AfD konnte stärker werden, weil Lucke und Henkel feige und beleidigt die Partei verlassen haben. Ich bekenne mich offen zur AfD, was mir real einige abgebrochene Freundschaften einbrachte - wenn man allerdings wegen seiner konservativ-national-liberalen Einstellung die Freundschaft aufgekündigt bekommt, dann war diese Freundschaft eh nichts wert. Wenn es überhaupt eine Partei gibt, die den deutschen Karren aus dem Dreck ziehen kann, dann die AfD.

Thomas Brox / 08.10.2020

Der Artikel fängt gut an. Die Diskussion muss von der naiven Personalisierung auf die strukturellen Probleme der deutschen Gesellschaft (und der Eurozone) verlegt werden. Deutschland ist zu großen Teilen zu einer parasitären Gesellschaft und - in den den Worten eines anderen Kommentators - zu einer mafiösen, korrupten Gesellschaft degeneriert: An erster Stelle steht der konstruktionsbedingt unproduktive, aufgeblähte Staatssektor. Ganz oben die Politbeamten, dann die Beamten, dann der angestellte Staatsapparat, dann die schein-privatisierten Behörden (Stadtwerke, Bundesbahn, ... ) plus Staatskonzerne plus steueralimentierte Vereine (etwa Potsdam Institut für Klima) bzw. NGOs. Im Kern des Apparats wird bis zum Lebensende ein leistungsunabhängiges Gehalt gezahlt, entkoppelt von der realen Welt, und das im Jahr 2020. An zweiter Stelle steht ein parasitärer Sozial-Öko-Bereich: Es werden gigantische Subsidien an arbeitsunwillige Gruppierungen (etwa Migranten) verteilt oder an Profiteure im Öko-Bereich (etwa Windmüller). An dritter Stelle steht ein riesiger Euro-Transfer an die Südländer der Eurozone und an die EU-Bürokratie. ++ Die Last dieser unproduktiven Bereiche muss von einer schrumpfenden ökonomischen Basis getragen werden. Diese Basis wird noch zusätzlich vom Staatsapparat behindert, geschwächt und demontiert: Bürokratie, Steuern/Abgaben, Deindustrialisierung durch rot-grünen Irrsinn. ++ Die Konkurrenz auf den Weltmärkten hat sich verschärft, die Weltpolitik wird brutaler. Der deutsche Niedergang ist aufgrund spezifisch deutscher Ursachen (Staatsrecht, Obrigkeitsstaat, Institutionen, Wahlrecht, ... ) besonders dramatisch. Die strukturelle Schieflage ist schon alt (durch Merkel verschlimmert), und wird sich in Zukunft weiter verschlimmern, unabhängig wer die Regierung bildet. Um die Herausforderungen zu meistern wären drastische Reformen notwendig. Ich sehe da allerdings schwarz, zu viele Profiteure blockieren echte Reformen.

Roland Jungnitsch / 08.10.2020

Was Sie da schreiben hört sich ja, im ökonomischen Sinn, alles gut und sinnvoll an, klingt aber stark nach dem Rufer in der Wüste! Glauben Sie wirklich, daß der wirtschaftliche Downfall in Deutschland zufällig und aufgrund von Unwissenheit und Unfähigkeit der Politikern zustande kommt? Ist Ihnen schonmal der Gedanke gekommen, daß die Zersetzung unserer Wirtschaft mit voller Absicht geschieht, so wie in vielen anderen Bereichen unserer Gesellschaft auch? Für die Sozialismus-Fanboys, die mittlerweile einen Großteil unserer Parlamentarier und Regierenden ausmachen, ist die Corona-Pandemie sowas wie ein Gottesgeschenk, wenn sie denn an Gott glauben würden. Mit stringenten Maßnahmen, die man allein mit Pandemiebekämpfung, und ein bißchen auch mit Klimaschutz, begründen kann, kann man dem verhaßten Kapitalismus ohne viel zutun endlich den ersehnten Garaus machen. Erstaunlich ist für mich, daß hochbezahlte, hochgebildete und lebenserfahrene Wirtschaftsmanager sich von den Kommunisten in diesem Land am Nasenring durch die Arena ziehen lassen und sich auch noch bei denen anbiedern. Sie pfeifen auf jedwede gutgemeinten Ratschläge aus Wirtschaftskreisen und wollen einfach nur ihr Ding durchziehen, die weitestgehende Vernichtung unserer sozialen Marktwirtschaft als Teil der freiheitlichen Grundordnung. Ihr Wirtschaftler tanzt mit den Wölfen und am Ende werden sie euch gefressen haben!

Mathias Rudek / 08.10.2020

Die Verweigerung der Politik und auch Teilen der Gesellschaft die Realitäten auszublenden heißt für die Zukunft nichts Gutes, denn das ist ein wesentliches Kernmerkmal einer gesunden Gesellschaft genau das zu tun. Leider ist dieses Land immer noch viel zu stark auf ideologische Weltbilder fixiert, da diese eine Scheinrealität und eine Geschlossenheit vorgaukeln, ohne sich mit den Problemen vor der eigenen Haustür zu befassen und dabei ist alles zu benennen, was ich da vorfinde. Die unsäglich dumme Verquickung von Journaillie und Politik ist dabei der Nährboden für solche desaströs ökonomischen, politisch-gesellschaftsschädigenden Eingriffe und der daraus erwachsenden Erlösungsphantasien; und dann schwappt das auch noch in die Vorstände von DAX-Unternehmen hinein und der Berufs-Opportunist Joe Kaeser, infiziert durch die Politik, bietet mit großem “mea culpa, mea maxima culpa” Fräulein Luisa Neubauer auch noch gleich einen Job an und nicht unten in der Hierarchie, nein, ganz und gar nicht. Das hat in der Politik nichts, aber auch gar nichts zu suchen. Aber hier wäre endlich auch am Ende der Wähler gefragt, das abzustrafen. Aber die links-grüne Ideologie hat über Jahrzehnte dieses Land im Selbstbewußtsein geschwächt, das dringt durch viele Lebensbereiche. Wie hat’s Harald Schmidt mal gesagt, zum Team Schmidteinander mit Herbert Feuerstein: “Ich bin der Sadist, er der Masochist, das paßt ideal zusammen.”

Michael Dost / 08.10.2020

“Gibt unsere Zeitperiode einen vergleichbaren Produktivitätsfortschritt her? ” Unsere Zeitperiode wohl, nicht jedoch in unserem Lande. Die Benennungen der wissenschaftlich-technischen Grundlagen des Produktionsfortschritts (Stichworte: Digitalisierung, künstliche Intelligenz) sind unter der schlechten Physikerin zu Schlagworten von Wissenschaftskarrieristen,  Ergebenheitswissenschaftlern und Scharlatanen verkommen, die ihr Unverständnis für fachliche und gesellschaftliche Zusammenhänge hinter wohlklingenden Phrasen verstecken und nicht selten entweder Studienabbrecher sind oder ihre Promotionen abgeschrieben haben. Ganz abgesehen vom grünenden Abscheu gegen verhasste Zukunftstechnologien (wie Atomenergie, Gentechnologie), die sich dank ständiger Repetition durch die Erziehungsmedien unter esoterisch fehlverstandenen framing formulations wie “Entschleunigung, Nachhaltigkeit, save the planet”  wie Mehltau auf die Denkorgane einer gutgläubigen Bevölkerungsmehrheit gelegt haben. Andere Länder führen vor, wie mit Innovationen - ja, auch geklauten :-)  -signifikante Produktivitätsfortschritte   erreicht werden und liefern damit den Machbarkeitsnachweis. Wie die Mär berichtet, soll es einem gewissen fernöstlichen Land trotz problematischer politischer Ordnung auf diese Weise sogar gelingen, eine “große Transformation” vom rückständigen Agrarstaat zur modernen Industrienation und zur Weltmacht zu leisten. Dass u n s e r e “große Transformation” wohl in die Gegenrichtung erfolgt, liegt an der landestypischen Missachtung der Innovation als solcher, besonders aber der innovativen Menschen und der produktiven Arbeit der einfachen Malocher im Werk, in den Laboren, Instituten und im stillen Kämmerchen.  Deutschlands Forschungslandschaft gleicht einer Fußballliga, in der Trophäen und Siegprämien nur noch an den Vereinsvorstand gehen, die Spieler jedoch außen vor bleiben.

S. Hamdy / 08.10.2020

“wenn man die Publikationen aus dem konservativ-liberalen Spektrum direkt liest, findet man selten den Versuch, ein eigenes Bild von der Lage der Nation zu erarbeiten und der Öffentlichkeit vorzulegen.” - mein Reden, kaum wird eine Spinnerei durchs Weltgeschehen getrieben, drehen die liberal-konservativen Blogs und Portale wie Achgut, Tichys Einblick usw. hohl und springen selbst über das beknackteste Stöckchen. Wobei ein eigenes Bild auch schon nicht mehr ausreicht, hier sind handfeste Gegenentwürfe gefragt. Mein Eindruck ist, dass das liberal-konservative Lager nur noch auf Rückzug ist, weil ... “Diese Probleme haben mit der Tatsache zu tun, dass Wirtschaft und Staat sich über Jahrzehnte in einer relativ konkurrenz- und konfliktarmen Zone entwickeln konnte. Dieser Schonraum wird nun zur Falle.” - man könnte auch sagen, man wollte seine Ruhe haben, und aus Bequemlichkeit oder Unfähigkeit ist man nicht mehr in der Lage, sich dem grassierenden Blödsinn entgegenzustellen. Bürgerliches Mittelstandsdenken halt. Nachgeben ist eben viel einfacher als die Komfortzone zu verlassen, sich zu engagieren und zu kämpfen, und dieses genau vorhersehbare Verhalten lädt den nächsten Blödsinn geradezu ein - Biedermann und die Brandstifter eben. Welche Charaktere stehen den im bürgerlich-konservativen Lager bereit, den Fehdehandschuh aufzunehmen? Wer bleibt denn noch stehen, selbst wenn der Twitter-Pöbel einem ins Gesicht spuckt? Selbst Merz und Linder (wenn sie denn überhaupt mal ernsthafte Kandidaten dafür gewesen wären) sind mittlerweile kuschelweich-gespült. Hier ist mal dringend ein Neustart erforderlich, und der kann nur von denen erfolgen, die noch liberal-konservatives Herzblut haben. An anderer Stelle haben mich Leser damit konfrontiert, was ich denn beitragen würde.  Bilden Sie eine liberal-konservative Allianz (die frei von Reichsbürgern, “echten” Rechtsradikalen und anderen Spinnern ist), und ich beteilige mich daran.

Sirius Bellt / 08.10.2020

@Wolfgang Nirada. Warten Sie einfach ab, was Sie so als über 80-jähriger alles so veranstalten werden. Die Firma Gigaset in Bocholt produziert schon seit Jahren Smartphones. Aber die genügen Ihren hohen Ansprüchen sicher nicht.

B. Oelsnitz / 08.10.2020

Nachtrag Nr. 1 - @ Kenneth Gund: Ihrer Zustandsbeschreibung widerspreche ich nicht, merke allerdings an, daß diese wohl überwiegend für den Westteil des Landes zutreffen mag. In meiner 11.000-Seelen-Gemeinde ist dies völlig anders! Sämtliche Infrastruktur (Wasser, Abwasser, Gas, Elektro, Telekom) ist überwiegend neu resp. ordentlich saniert; Straßen, Rathaus, Stadthalle, Schulen, Kirchen, Fußballplatz, Bürgerpark, ... alles einigermaßen tipp-top. Kommen Sie doch einfach mal rüber, wir beißen nicht und Ihre Sicherheit ist ebenso nicht bedroht. Hier laufen keine Nazis herum, auch wenn mein Chirurg sein Personal nunmehr hellblaue statt weinrote Dienstbegleitung tragen läßt.

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