Walter Schmidt / 16.10.2009 / 18:42 / 0 / Seite ausdrucken

Vorsicht Satire?

Der Ami ist dumm, oberflächlich, ungebildet, kaut ständig Kaugummi und ist stark übergewichtig, da er täglich mehrere Burger in sich rein stopft. In einem Gespräch, das ich im Sommer 1981 als damaliger Wahlberliner in Rom auf der Piazza di Spagna mit einem typischen Ami führte, äußerte dieser sein Erstaunen darüber, daß die ehemalige deutsche Reichshauptstadt nach wie vor geteilt sei. Ein weiterer Beleg für die amerikanische Ignoranz gegenüber Europa war sicherlich auch die legendäre Aufteilung des Kontinents in ein “Old” sowie ein “New Europe”, die der einstige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, selbst teutonischer Herkunft, im Vorfeld des Irak-Krieges im Jahre 2003 vornahm.

Auf einem ähnlichen Niveau bewegt sich die von Klaus Bittermann soeben herausgegebene Anthologie mit dem schönen Titel “Unter Zonis” (Untertitel: “Zwanzig Jahre reichen jetzt so langsam mal wieder”.)

Aus dem sicheren Hafen der bürgerlichen Existenz in einem sicher exquisiten Wohnviertel im “goldenen Westen” machen Bittermann und die Autoren der o.g. Schmähschrift sich über den nach ihrer Meinung “typischen Ossi” her.

“Der Ossi ist geblieben, was er immer war, ein ‘unangenehmer Zeitgenosse, eine ästhetische Zumutung und ein verdruckster Typ’, den man ‘nicht mehr los wird, nicht mal mehr umsonst an die Russen, denn die lassen sich inzwischen auch nicht mehr alles andrehen’.”

Wer kennt sie nicht, diese sog. Jammer-Ossis, die inzwischen den “guten alten Zeiten” hinterher trauern und am liebsten jeden “Besser-Wessi” von heute auf morgen “entsorgen” und so schnell wie nur möglich wieder über die virtuelle Mauer in den Westen abschieben möchten, die zu mindestens einem Viertel ihre Stimme bei Wahlen der SED-PDS-LINKE geben, aber zugleich keine soziale Wohltat auslassen möchten, die der verhaßte deutsche Einheitsstaat ihnen als Dank für ihre einstige Begeisterung für das westliche Modell der alten BRD-West gewährt.

Das Fatale ist nur:

Weder Bittermann noch seine Co-Autoren machen sich über diese Art von Ossi lustig. Stattdessen kritisieren sie den Ossi, weil er damals im Jahre 1989 angeblich “naiv” den westlichen Verheißungen von den sog. “blühenden Landschaften” im Osten gefolgt ist, anstatt die vielgerühmten “sozialistischen Errungenschaften” der DDR (wie z.B. die Polikliniken, die billigen Schrippen und die neunklassige Polytechnische Oberschule mit ihrem “längeren gemeinsamen Lernen”) zu verteidigen.

Hinzu kommt:

Die meisten der in dieser Anthologie versammelten Texte stammen aus den neunziger Jahren und geben daher eher den Stand der deutschen Vereinigung im Jahre “Zehn” nach deren Vollzug wieder, denn die aktuelle Situation, die sich beispielsweise u.a. auch dadurch auszeichnet, daß viele Ossis inzwischen wesentlich mobiler geworden sind und im Westen arbeiten oder dadurch, daß bei der letzten Bundestagswahl im Osten mehr als 10% die FDP gewählt haben.

Wahrscheinlich würden Bittermann und seine Freunde sich jetzt bestätigt fühlen in ihrer Einschätzung, daß die inzwischen wesentlich mobileren Ossis nur den falschen Verheißungen des bösen kapitalistischen Westens sowie den falschen neoliberalen Schallmeientönen folgen.

Sei´s drum!

Sicherlich haben Bittermann & co. einen in ihren Augen wichtigen Beitrag zur deutschen Einheit geleistet, indem sie die oft beschworene “innere Einheit” als das entlarven, was sie in Wirklichkeit ist, nämlich eine im Grunde totalitäre Zwangsvorstellung.

Wirklich lustig oder gar satirisch ist das Projekt “Unter Zonis” dagegen nur bedingt, denn dazu hätte es mit Sicherheit eines intimeren Einblicks bedurft als jenem, der sich aus der Ferne komfortabler westlicher Redaktionsräume bietet.

Denn wer möchte schon über fast zweihundert Seiten von z.T. veralteten, z.T. stereotypen Vorurteilen über eine Spezies, sprich die “Zonis”, gelangweilt werden, die in der Tat bisweilen äußerst skurril wirken, und dies bei weitem nicht nur wegen ihres oft schwer verständlichen sächsischen Dialekts.

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