Um es vorwegzunehmen: Ich rauche nicht. Genau genommen finde ich Zigarettenqualm auch nicht unbedingt angenehm und insofern könnte ich mich im Prinzip über die jüngste Initiative von EU-Gesundheitskommissar Markos Kyprianou freuen. Herr Kyprianou hat nämlich ein Grünbuch vorgestellt, in dem Schritte hin zu einem europaweiten Rauchverbot in öffentlichen Räumen diskutiert werden. “Ich möchte ein möglichst vollständiges Rauchverbot in ganz Europa, also auch in den 16 deutschen Bundesländern”, sagte Kyprianou bei der Vorstellung dieses Plans in Brüssel.
Jetzt gibt es da nur ein kleines Problem. Zwar hat die EU einen Gesundheitskommissar, Herrn Kyprianou eben, aber leider kaum Kompetenzen in der Gesundheitspolitik; diese liegen nämlich immer noch bei den Mitgliedsstaaten. Der Artikel 152 des EG-Vertrags bestimmt ziemlich eindeutig:
“Die Tätigkeit der Gemeinschaft ergänzt die Politik der Mitgliedstaaten und ist auf die Verbesserung der Gesundheit der Bevölkerung, die Verhütung von Humankrankheiten und die Beseitigung von Ursachen für die Gefährdung der menschlichen Gesundheit gerichtet.”
“Ergänzen” ist ziemlich genau das Gegenteil von “Verbindliche-Vorgaben-Machen” und Herr Kyprianou insofern ein König ohne Land. Allerdings ist ein Mangel an Kompetenz für Politiker in aller Regel kein unüberwindbares Hindernis, und Herr Kyprianou ist da keine Ausnahme.
Wie aus dem Grünbuch direkt hervorgeht, ist man sich der Problematik fehlender EU-Kompetenzen für ein allgemeines Rauchverbot durchaus bewusst. Dort heißt es:
“The legislative route is likely to be relatively lengthy and the end result could be difficult to predict. The exact legal basis of the legislation could only be determined once the exact nature and scope of the instrument will be defined and this choice will have to take into account the results of this public consultation.”
Der lange und steinige Weg zum europäischen Tabakwerbeverbot dürfte den EU-Gesundheitspolitikern noch in guter Erinnerung sein. Damals hatte man ebenfalls mit dem Problem mangelnder Zuständigkeit zu kämpfen und die Notwendigkeit einer europaweiten Regelung der Tabakwerbung damit begründet, dass nur auf diese Weise der europäische Binnenmarkt zu gewährleisten sei (Art. 95 EGV). Das war natürlich an den Haaren herbeigezogen, denn Werbung in der EU ist immer noch - allein schon aus sprachlichen Gründen - ein überwiegend nationales Phänomen. Aber der Europäische Gerichtshof ist dieser Argumentation der Kommission schließlich doch noch gefolgt.
Der Weg über den Binnenmarktsartikel des EG-Vertrags dürfte hingegen für die Begründung eines Rauchverbots in öffentlichen Gebäuden kaum helfen. Also muss es Herr Kyprianou auf andere Art und Weise versuchen. Wie genau er dies erreichen will, kann er selbst noch nicht abschätzen (s.o.), aber sein Grünbuch listet schon einmal ein paar Möglichkeiten auf:
A few options can already at this stage be mentioned, without prejudice to the outcome of the public consultation.
– Revision of the existing directives based on the Framework Directive on workplace safety and health 89/391/EEC. This option could include, in particular, extending the scope of the Carcinogens and Mutagens Directive 2004/37 (to cover ETS) and/or strengthening the requirements for the protection of workers from tobacco smoke in Directive 89/654/EEC on minimum health and safety requirements.
– Another option would be to enact a separate directive on workplace smoking.
– Although not directly related to the protection form second-hand smoke, a possible option to consider would be the amendment of Dangerous Substances Directive (67/548/EEC)91 to classify ETS as a carcinogen. This would automatically bring ETS under the scope of the Carcinogens and Mutagens Directive.
Zigarettenrauch könnte somit als krebserregend eingestuft werden, womit sich eine Zuständigkeit der EU über ihren Auftrag zum Schutz vor krebserregenden Stoffen ergäbe. Auch könnten EU-Arbeitsschutzregeln entsprechend geändert werden.
An der grundsätzlichen Problematik der fehlenden Gesundheitskompetenzen ändert dies freilich nichts. Vor allem aber steht das Ansinnen des Gesundheitskommissars auch in Konflikt mit dem Subsidiaritätsprinzip, wie es in Artikel 5 des EG-Vertrags festgeschrieben ist:
In den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, wird die Gemeinschaft nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können.
“Die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen” - das ist im Falle eines Rauchverbots wohl der Schutz vor dem Tabakqualm. Dass sich dieser Schutz jedoch auch rein national und ohne Einwirkung der EU erreichen lässt, das sollte unmittelbar einleuchten. Immerhin gibt es bereits in einzelnen EU-Mitgliedsstaaten Rauchverbote in öffentlichen Räumen.
Sollte es der EU-Kommission abermals gelingen, eine gesundheitspolitisch motivierte Maßnahme durch eine extrem weite Interpretation des EU-Rechts durchzusetzen, dann wäre es angebracht, einmal zu hinterfragen, was die Aufzählung der EU-Kompetenzen im EG-Vertrag oder auch das hochgelobte Subsidiaritätsprinzip eigentlich noch wert sind.
Und wenn Herr Kyprianou wirklich Interesse daran hätte, das Ziel seines Grünbuchs zu verwirklichen (Titel: Towards a Europe free from tobacco smoke), dann gäbe es da übrigens noch eine wirklich sinnvolle Maßnahme ohne jedes Kompetenzproblem: die sofortige Streichung der zur Zeit etwa 1 Mrd. Euro an Subventionen, die die EU jährlich an europäische Tabakfarmer zahlt.