Wenn man in einer Grube steckt, sollte man mit dem Graben aufhören. Jedoch gilt diese Weisheit offenbar nicht in der Eurozone. Nach fünf turbulenten Jahren der aus der monetären Integration Europas erwachsenen Krise planen führende europäische Politiker nun, mit Vollgas die nächste Stufe der Integration anzustreben. Es geht um die Integration der Fiskalpolitik.
In seiner aktuellen Ausgabe berichtet der SPIEGEL über Bestrebungen, die Haushalte der Eurozonen-Mitglieder enger zu koordinieren. In Zukunft könnte ein europäischer Finanzminister über einen nennenswerten Anteil der bisher nationalen Haushalte verfügen. Ein neues europäisches Schatzamt könnte auch eine eigene Steuerhoheit beanspruchen, indem es entweder einen Teil der nationalen Besteuerung an sich zieht oder die Berechtigung bekommt, einen Aufschlag darauf zu erheben.
Das Konzept, das diesen Vorschlägen zugrunde liegt, ist einfach. Eine Konsolidierung nationaler Haushalte machte es möglich, für die gesamte Eurozone staatliche Ausgabenprogramme einzuleiten. Eine verlockende Vorstellung für Politiker, die der Konjunktur in den Eurozonen-Staaten aufhelfen wollen, indem sie in ihre Steuerung eingreifen und zwischenstaatliche Unterschiede ausgleichen.
Zum Scheitern verurteilt
Diese Pläne haben nur ein Manko: Sie funktionieren nicht.
Die geplante fiskalische Integration Europas wird auf mehr als eine Weise scheitern. An erster Stelle steht die Tatsache, dass die Wähler in den Ländern, die derzeit für die verschiedenen Rettungsprogramme der Eurozone geradestehen, so gut wie keinen Enthusiasmus dafür aufbringen.
Die Debatten über das dritte griechische Rettungspaket in Finnland, den baltischen Staaten, den Niederlanden, der Slowakei und Deutschland zeigen, wie wenig populär es in diesen Ländern ist. Rein technisch allerdings soll das griechische Paket für die Griechen nur ein Darlehen und kein Fiskaltransfer sein.
Man kann sich ausmalen, welche Debatten losgetreten würden, wenn das Ziel lautete, einen Transfermechanismus für die gesamte Eurozone zu organisieren. Denn nichts anderes wäre ein europäisches Schatzamt mit eigener Steuerhoheit. Wäre es anders, würde eine solche Institution gar nicht erst benötigt.
Gegen Geist und Buchstaben von Maastricht
Die Vorschläge sind aber noch aus einem zweiten Grund problematisch: Sie stehen quer zum institutionellen und rechtlichen Rahmen der Währungsunion. Seit dem Maastricht-Vertrag bestand ihre Grundidee darin, die Eurozonen-Mitglieder zur fiskalischen Disziplin anzuhalten. Die Mitglieder der Eurozone sollten ihre Verschuldung und ihre Defizite auf ein handhabbares Niveau begrenzen, ohne dass ihnen das Notventil offenstand, ihre Schulden auf andere Staaten abzuwälzen.
Die Praxis hat gezeigt, dass diese Regeln im Zweifelsfall wenig taugten. Noch nicht einmal die Einführung des Europäischen Fiskalpakts 2012, der das Prinzip der nationalen fiskalischen Verantwortung stärken sollte, konnte daran etwas ändern. Vermittels der EFSF und des ESM, kombiniert mit dem OMT-Programm der EZB, hat sich die europäische Währungsunion de facto zu einer Haftungsunion gewandelt.
So gesehen wäre eine förmliche Vereinheitlichung der Fiskalpolitik innerhalb der Eurozone lediglich der nächste logische Schritt. Damit würde ein Arrangement formalisiert, das bereits in Umrissen existiert. Allerdings wäre dies der Abschied von allem, das Europas Bürgern seinerzeit mit dem Entwurf und der Einführung des Euro versprochen wurde.
Ganz zu schweigen von dem politischen Problem, das ein europäisches Schatzamt, ein europäisches Steuersystem und ein europäischer Finanzminister darstellten. Welche Legitimität könnte ein solches System beanspruchen?
Der SPIEGEL argumentiert, die Einführung einer europäischen Steuer könnte ein Schritt zur Bekräftigung seiner Legitimität sein. Das Nachrichtenmagazin erinnert daran, dass die Römer neu bezwungene Volksstämme zu Steuerzahlern machten, um sie an ihr Imperium zu binden. Auch Alexander Hamilton wird erwähnt, der durch die Einführung von allgemeinen Steuern und Zöllen die Vereinigten Staaten von einer losen Konföderation in eine echte Föderation verwandelt habe.
Ein neues Imperium aus Tributpflichtigen
Auch wenn das (teilweise) zutrifft, ist Europa trotzdem ein anderer Fall. Wenn man gerade nicht die Brüsseler Bürokratie als ausländische Imperialmacht ansieht oder meint, die Völker Europas wären irgendwann bereit, in den „Vereinigten Staaten von Europa“ aufzugehen, könnte das Vorhaben, eine europäische Steuer einzuführen, mehr Schaden als Nutzen anrichten.
Anstatt die Völker Europas enger aneinander zu binden, könnten sie auseinander getrieben werden. Die Erfahrungen mit der Währungsunion deuten jedenfalls in diese Richtung.
Denn auch die Währungsunion sollte die Idee der europäischen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Integration befördern. Das Ergebnis war das genaue Gegenteil. Nach 16 Jahren Währungsunion leiden die Mitglieder der Eurozone nicht allein unter den wirtschaftlichen Konsequenzen eines schlecht geplanten Systems. Die europäische Idee hat durch die Währungsunion politischen Schaden erlitten. Das Versagen der Währungsunion hat die Glaubwürdigkeit und das Ansehen der Europäischen Union beschädigt.
Für die fiskalische Integration gilt dasselbe. Den Bürgern Europas wäre schwer zu vermitteln, warum sie auf einmal Steuern für eine supranationale Organisation zahlen sollen. Sie würden eine demokratische Rechenschaftspflicht der EU in Bezug auf ihre Besteuerung und Ausgaben vermissen. Sehr bald würde das Rechnen beginnen, wer in das System einzahlt und wer wie viel daraus erhält.
Zentrifugalkräfte werden gestärkt
Anstatt Europa auf eine Weise zu einen, die vielleicht das Römische Reich stärkte oder die USA schuf, würde die Eurosteuer die nationalistischen Tendenzen innerhalb der EU wiederbeleben und befeuern.
Davon abgesehen gibt es noch ein weiteres Thema, das die Europäische Union angehen müsste, sollte jemals ein Schatzamt der Eurozone verwirklicht werden. Die Einführung einer neuen Regierungsebene nur für Mitgliedsstaaten der Eurozone würde die Europäische Union in zwei Teile aufspalten: ein Teil für Eurozonen-Staaten und der andere für Länder wie Dänemark, Polen und Großbritannien außerhalb. Ob die EU in der Lage wäre, mit einer solchen Zweiteilung ihrer Mitglieder umzugehen, ist ungewiss. Der Charakter der Europäischen Union würde sich in jedem Fall ändern.
Bittere Ironie bei alldem ist, dass eine fiskalische Integration nur deswegen notwendig erscheint, weil die bisherige monetäre Integration nicht funktioniert hat. Aber in der EU gilt ein solches Versagen noch immer als Einladung dazu, die Grube noch zu vertiefen.
Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.
‘When monetary folly is not enough’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 30. Juli 2015. Übersetzung aus dem Englischen von Eugene Seidel (Frankfurt am Main).