Umsturz von oben: Permanenter Ausnahmezustand (2)

Alles ist moralisch massiv aufgeladen und jedes Mittel zulässig, um das angeblich unbedingt Notwendige durchzusetzen. Psychologisch wie politisch herrscht ein permanenter Ausnahmezustand.

Im ersten Teil wurden die Verrücktheiten „woker“ Ideologie als Hintergrund der „Cancel Culture“ vorgeführt – mit all ihren absurden Widersprüchen. Allerdings: Ein klares, rational nachvollziehbares Weltbild ist womöglich gar nicht das Ziel der Aktivisten. Die produzierte Verwirrung – ob beabsichtigt oder nur in Kauf genommen – erreicht auf jeden Fall schon etwas „Nützliches“: Sie hinterlässt den Normalbürger kopfschüttelnd und fast hilflos, wie ein hakenschlagendes Kaninchen den Jagdhund.

Man bezeichnet das auch als Strategie des „Gaslighting“: man verwirrt den Gegner bewusst so nachdrücklich, dass dieser an seinem Verstand zweifelt und jeden Widerstand gegen die vermeintlich überlegenen Intellektuellen aufgibt. Der Wahnsinn hat „wissenschaftliche“ Methode, denn zum Vorschein kommt hier nicht zufällig der fundamentale Beitrag der Postmodernen zum „woken“ Denken: Er besteht in der Auflösung klarer Kategorien durch literarisch-linguistische Interpretations-Kunststücke, die zu völliger Beliebigkeit führen.

Die Postmodernen beziehungsweise Dekonstruktivisten hebeln ganz bewusst durch munteres Hinein-Geheimnissen und schamlose Unterstellungen jede Eindeutigkeit auf (während sie mit ihren eigenen intellektuellen Hervorbringungen in Gestalt wirren Geschwurbels von vornherein jede echte Debatte vermeiden). Kein Text sagt demnach klar etwas Bestimmtes, inter-personal Verbindliches, sondern es kann alles Mögliche dahinter stehen.

Alles bisher Respektierte soll diskreditiert werden

Wäre das nur ein (übertriebener) Ausdruck geisteswissenschaftlicher Bescheidenheit und Reflektion … aber nein, es wird behauptet, dass jede Erzählung, jede textliche Begründung, jede Kommunikation letztlich nur ein Instrument der Machtausübung sei. (Jordan B. Peterson spricht hier von einem argumentativen „Handstreich“, der ohne tragfähige Begründung bleibe.) Die Kategorien, durch Sprache gebildet, die die Wirklichkeit zu analysieren helfen und abbilden sollen, sind alle nur kulturelles Konstrukt ohne objektive Geltung!

Selbst die Feststellung, 2 und 2 ergebe eindeutig 4, wird als Unterdrückungsinstrument entlarvt: Einem Schüler das Ergebnis 5 als Fehler anzukreiden, geht gar nicht. Die Behauptung, Mathematik sei objektiv und ein Ergebnis entweder richtig oder falsch, ist an sich schon eine verwerfliche Anmaßung, die der „gelebten Erfahrung“ eines unterdrückten Individuums widerspricht und damit quasi als illegitime Gewalt zu gelten hat.

Die propagierte Beliebigkeit – der auf die Spitze getriebene Relativismus – ist nicht etwa „nur“ übertriebene Toleranz, es geht vielmehr darum, alles bisher Respektierte zu diskreditieren, selbst wo es gar keine „politische“ Aussage vermittelt, die man kritisieren könnte: Sogar die Musik eines Beethoven, da von einem weißen Europäer kommend, wie auch die Werke Shakespeares, sind deshalb nur Instrumente kultur-imperialistischer Unterdrückung; eine Symphonie des einen oder ein Sonett des anderen sind nicht etwa unschuldige Zeugnisse schöpferischer Genialität, sondern quasi unmoralisch.

Das Ende objektiver Wissenschaft

Dieses Weltbild sieht jede kulturelle Leistung aus der Vergangenheit mit deren vermeintlicher Rückständigkeit und himmelschreiender Ungerechtigkeit befleckt. Der alte Witz mit der ignoranten Putzfrau im Museum moderner Kunst, die sich (etwa angesichts einer Installation von Beuys) fragt „ist das Kunst oder kann das weg?“, wird umgekehrt zum Programm: Wenn es offensichtlich kein Dreck ist, muss es weg! Der Bannstrahl der postmodernen „Aufklärer“ trifft aber nicht nur traditionelle Kunst, Geschmack und Alltags-Gewissheiten des Kleinbürgers, sondern grundlegende Philosophie und wissenschaftliches Denken der neuzeitlichen Aufklärung:

Diese ging aus von der Fähigkeit des menschlichen Verstandes, den realen Dingen auf den Grund zu gehen und logisch geradlinig objektives analytisches Wissen zu produzieren, das Allgemeinverbindlichkeit beanspruchen konnte. Die postmodernen Ideologen hingegen „dekonstruieren“ alle Kategorien einer wissenschaftlichen Analyse, die Klarheit und Eindeutigkeit anstrebt: Sie werden zielstrebig als kulturelle Konstrukte, also mindestens latente Herrschaftsinstrumente und damit verdächtig zerschossen.

Dass die Propagandisten solcher Theorien selbst auf Lehrstühlen an Hochschulen sitzen, Aufsätze schreiben und als „Experten“ in der öffentlichen Debatte agieren (besser: agitieren), ist offensichtlich widersinnig. Außer, wenn man die Diagnose akzeptiert, dass Sprache, Kategorien und wissenschaftliche Analysen eben unauflöslich, unvermeidbar immer nur Instrumente der Machtausübung sind.

Es gibt keine Objektivität, keine Eindeutigkeit, keine (allgemeingültige) Wahrheit – nur einen Kampf der Gruppen von Unterdrückten gegen „das System“, die Hierarchien, die Ungerechtigkeiten, die schon in jeder Form von Ungleichheit erkennbar sind. Gerüst und Fundament dessen, was wir als wissenschaftliche Arbeit und Debatte kannten, sind damit als sekundäre Phänomene zur Disposition gestellt. Wer noch auf allgemeingültige Logik, Konsistenz und Realitätstauglichkeit von Wissenschaft besteht, muss ein Agent der falschen Seite sein, ein „White Supremacist“, ein Nazi.

Folgt den Lemmingen, sie kennen den Weg

Die Institutionen sind längst usurpiert und politisch umgenutzt, so wie links-alternative Hausbesetzer aus einem ehemaligen Fabrikgebäude ein „sozio-kulturelles Zentrum“ machen. Die Fassade bleibt, aber dahinter wird nun etwas ganz anderes produziert, nämlich Gesellschaftsveränderung. „Wissenschaft“ meint insofern nur noch eine Organisationsform und ein (staatsfinanziertes) Milieu für Intellektuelle, eine Struktur mit Planstellen, von denen man möglichst viele erobert, um gut davon zu leben und möglichst viele Nachwachsende zu indoktrinieren: tatsächlich ein Machtinstrument.

Der heutige kulturelle Bürgerkrieg reicht aus dem akademischen Leben bis in den Straßenkampf, ähnlich der 1968er Bewegung, nur dass damals die akademischen Institutionen – das natürliche soziale Milieu der aufrührerischen „Intellektuellen“ – als erste bekämpft wurden („der Muff von tausend Jahren“); heute sind sie die steuerfinanzierte, über Jahrzehnte strategisch ausgebaute und schon bürokratisch verfettete eigentliche soziale Basis. Das nennt man wohl Fortschritt.

Dass gleichzeitig „die Wissenschaft“ als unhinterfragbare Autorität ins Feld geführt wird, um bestimmte politische Sichtweisen durchzuprügeln, unter dem Banner „follow the science“, springt einem als eklatanter Widerspruch und absurd ins Auge. Es ist aber nicht die herkömmliche (tatsächlich selbst-kritische) Wissenschaft aus bürgerlich-aufgeklärter Tradition gemeint, sondern das von den „richtigen“ Angehörigen des Wissenschaftsbetriebs – den Erleuchteten – als neue Orthodoxie behauptete, gestützt durch einen politisch determinierten „Konsens“ („the science is settled“, wie angeblich beim „Klima“).

Die Autorität ist nicht begründet durch objektive Wahrheit und Unwiderleglichkeit, sondern sie wird einfach frech beansprucht und bestenfalls untermauert durch Übereinstimmung mit dem Zeitgeist, den man freilich selbst produziert hat und in dem die Vielzahl der Opportunisten willig mitschwimmt. Die suggerierte Beweiskraft basiert damit fast ausschließlich auf einem sozialpsychologischen Zirkelschluss: die Lemminge als Erleuchtete.

Keine Gleichberechtigung für die Falschen

Die Auflösung von Kategorien und Verbindlichkeiten im Bereich der Sprache, Bedeutung und Logik greift unvermeidlich über auf Moral und Ethik. Auf Moral – die Teilung der Welt und des Verhaltens von Menschen in gut und böse – kann genau so wenig verzichtet werden wie auf Sprache; auch die Moral dient natürlich als Machtinstrument, das den Unterdrückern aus den Händen gerissen und zu eigenen Gunsten umdefiniert wird: der Gegner kann damit disqualifiziert und bestraft werden.

Ein falsches, böse diskriminierendes Wort – interpretiert als Akt der Unterdrückung – ist schon „Gewalt“ und rechtfertigt damit auch eine gewaltsame Reaktion, ob nun eingeschlagene Scheiben oder eine Gefängnisstrafe. (Das eine kommt von der „Antifa“, das andere vom Staatsanwalt; die Grenzen verfließen neuerdings.) Eines unterdrückten Individuums „Gefühle zu verletzen“ wird behandelt wie physisches Verprügeln.

Moral hängt unmittelbar an der Gruppenzugehörigkeit, deshalb kommt es zentral darauf an, wer etwas macht. Nicht die Tat als solche ist entscheidend, sondern ob die Handlung durch einen „Privilegierten“ gegen einen Unterdrückten begangen wird. Als Unterdrückter oder Anwalt der Unterdrückten hingegen kann man unverhohlen zu Gewalt aufrufen und braucht seine Wörter auch nicht auf die Goldwaage legen zu lassen, denn diese sind dann im Zweifel aus dem Kontext gerissen worden, wobei „Kontext“ letztlich nur heißt, dass man selbst auf der richtigen Seite steht und daher gar nichts Böses getan haben kann.

Nur Kapitulation kommt infrage

Einheitliche Spielregeln und Maßstäbe für alle miteinander (politisch) konkurrierenden Gruppen gibt es generell nicht mehr – ein typisches Beispiel: Funktionsträger des Gesundheitswesens rechtfertigten es in der Akutphase der Covid-Lockdowns in Amerika 2020 ausdrücklich, dass abertausende von linksradikalen Protestlern sich dicht gedrängt auf den Straßen tummelten und mit Sprechchören potenziell Viren verteilten, während Schulkinder zuhause eingesperrt und auf Video-Lernen verwiesen wurden. Die angebliche Unterdrückung der Schwarzen (durch Polizeigewalt) übertrumpfte die Gefahr einer Covid-Ansteckung – aber nur für die Angehörigen der „guten“ gesellschaftlichen Teilgruppen.

Das ist arrogante Dummdreistigkeit in einem Spiel ohne Grenzen, in dem man alle Regeln nach Belieben umdefiniert und sich selbst zum Schiedsrichter ernennt. Gleichheit vor dem Gesetz, gleiche Spielregeln für alle: von „woker“ Seite stolz aufgekündigt. Alles, wirklich alles ist nur noch Mittel zum Zweck. Damit werden zwangsläufig auch Demokratie und Rechtsstaat insgesamt als Prinzipien der Organisation des Gemeinwesens und als Garanten von Fairness und Berechenbarkeit ausgehebelt.

Die Interessengegensätze zwischen Unterdrückern und Unterdrückten sind auch nicht auflösbar, vermittelbar. Nur Kapitulation kommt infrage: Die bisher fälschlich „Privilegierten“ unterwerfen sich und lassen sich von den bisher Unterdrückten die Regeln des Erlaubten diktieren. (Man denke an die symbolischen Kniefälle von Politikern und Polizisten gegenüber Black-Lives-Matter-Aufrührern. Zum Fremdschämen.)

Fortschritt der Menschheit – Schluss damit!

Die bisherige Betrachtung ging aus von den Konfliktthemen und sozialen Emanzipations-Bewegungen (Hautfarbe, Geschlecht, sexuelle Orientierung), die nun in der „woken“ Revolution gipfeln. Es ist offensichtlich, dass die gleichen Mechanismen auch auf den anderen Themenfeldern greifen, die die politische Debatte seit Jahrzehnten zunehmend dominieren: „Soziale Gerechtigkeit“ insgesamt, nicht zuletzt im internationalen Kontext; die „Umwelt“ – inzwischen allerdings massiv verengt auf Energie und Klima; neuerdings auch eine verabsolutierte „Gesundheit“, aber ebenfalls massiv verengt: etwa auf bestimmte Maßnahmen der Virenbekämpfung.

Ob „ganzheitlich“ oder selektiv argumentiert wird, ist eine Frage der politischen Opportunität; häufig skurril – gar bizarr – und zwanghaft sind die mutwilligen Quer-Verbindungen, die täglich neu aktivistisch-akademisch geknüpft werden, zwischen „Klima“ und allem anderen, „Gesundheit“ und allem anderem; „sozial ungerecht“ ist ohnehin alles und jedes. CO2 macht Kinder übergewichtig, diskriminiert „schwarze“ Minderheiten und verursacht islamistischen Terror, so sieht es aus im „woken“ Weltbild. (Gad Saad)

Alles ist moralisch massiv aufgeladen und jedes Mittel zulässig, um das angeblich unbedingt Notwendige durchzusetzen. Die „formalen“ Spielregeln des gesellschaftlichen Diskurses und fairen Ausgleichs konkurrierender Interessen werden diskreditiert und müssen hinter den „inhaltlichen“ Notwendigkeiten zurückstehen. Psychologisch wie politisch herrscht ein permanenter Ausnahmezustand.

Die revolutionäre Radikalität steht aber diametral zur Realität: Der Menschheit ging es nie so gut wie bis vor kurzem, sagen wir 2019. Alle statistisch-empirisch fassbaren Indikatoren zeigten weltweit einen atemberaubenden Fortschritt, was materiellen Wohlstand und Sicherheit, Freiheitlichkeit der Lebensumstände, Abwesenheit von Krieg und nicht zuletzt Sauberkeit der natürlichen Umwelt angeht. Sicher noch kein Paradies auf Erden, aber noch sicherer kein Grund zur Panikmache und Aufkündigung der bisherigen Prinzipien der „westlichen“ Politik, der all diese Fortschritte zu verdanken waren.

Ausgerechnet in den am weitesten entwickelten Gesellschaften wird am lautesten über angebliche Ungerechtigkeit geklagt und militant gegen „das System“ gekämpft. Gleichzeitig werden aber universale Menschenrechte durch Kultur-Relativismus geleugnet, die Verletzung von Freiheitsrechten nur selektiv als Argument verwendet: Israel wird als Apartheid-Staat und Unterdrücker der „Palästinenser“ diffamiert, während die tatsächliche Unterdrückung der Frauen und Tötung von Homosexuellen in islamischen Ländern offenbar kulturell gerechtfertigt ist.

Totale Kontrolle durch „Cancel Culture“

Unmöglich, in all dem eine insgesamt nachvollziehbare innere Logik ausmachen zu wollen: All die ideologischen Bruchstücke, aus denen kein organisches Ganzes werden kann, sind zwar instrumentell (propagandistisch) notwendig, aber es bedarf offensichtlich für den revolutionären, relativistischen Zeitgeist einer anderen Erklärung, sozusagen außerhalb seiner selbst – also eines Blicks hinter die Kulissen, die von den vordergründigen Narrativen der moralisierenden Umstürzler gebildet werden.

Das einzige, was ihre „Argumente“ und ihr konkretes Verhalten konsistent kennzeichnet, ist die obsessive Fixierung auf Macht und Kontrolle. Dass die bisherigen Eliten (des weißen Patriarchats) alle Kultur nur zugunsten ihrer Macht ausgeformt hätten, ist offensichtlich weltfremd: eine perfide Unterstellung, in Wahrheit eine Projektion des eigenen Weltbilds! Zugleich und vor allem natürlich ein moralisierendes Rechtfertigungs-Narrativ für die revolutionäre Tat und eigene Politik, die den offenbar erwünschten Niedergang der westlichen Gesellschaften bewirken kann.

Die ideologischen Fragmente und politischen Forderungen der marxistisch-postmodernen Aktivisten sind aber nicht anschlussfähig an die Lebensumstände und Erfahrungswelten der Normalbevölkerung, so wie die Avantgarde des Proletariats von den tatsächlichen Arbeitern nicht als Anführer akzeptiert wurde.

Die Weltverbesserer-Gutmenschen bedürfen deshalb unbedingt der Kontrolle des öffentlich Sagbaren und der massiven Zensur, zumal nachdem per Internet „leider“ jeder (theoretisch) ein unbegrenztes Publikum erreichen kann. So wird „Cancel Culture“ als unbedingte Notwendigkeit verständlich. Die Zensur ist dabei nur der Anfang. Es folgen offene Kriminalisierung, Einschüchterung und Entzug der Lebensgrundlagen (Verlust des Jobs, Sperrung jeder Bankverbindung).

Aber warum wollen die Aktivisten diese totalitäre Macht überhaupt? Dient sie bestimmten (vielleicht nicht öffentlich kommunizierten) „inhaltlichen“ Zwecken? Das auch, aber man muss Macht nicht zuletzt als natürliches soziales und psychologisches Phänomen mit einem starken Eigenleben begreifen: Macht über Andere zu haben, ist für manche Menschen auch ganz unabhängig von „Inhalten“ erstrebenswert. Dabei ist der Aufstieg in einer Hierarchie auf Grundlage echter Kompetenz im Rahmen einer Meritokratie auch völlig legitim. Leider zieht Macht genau die Falschen besonders in ihren Bann und neigt außerdem dazu, mit ihren Verlockungen selbst die besseren Charaktere zu korrumpieren.

Macht als Instrument des Nihilismus

Im Extremfall kann Macht als Ventil dienen, um Ressentiments abzuarbeiten, sogar sadistische Gewaltphantasien auszuleben. Politischer Aktivismus dient häufig der Kompensation von Defiziten im privaten oder persönlichen Umfeld, nicht zuletzt als Ersatz für fehlenden Sinn des Lebens (Peterson spricht von „Bedeutung“ als grundlegendem Antrieb und Ziel menschlichen Strebens). Die Leere in der Seele eines Menschen, verursacht durch die Auflösung traditioneller Bindungen (Familie, Kinder, örtliche Gemeinschaft), speziell auch das Verblassen der religiösen Sinngebung – sie muss gefüllt werden.

Die perverse Ironie des zeitgeistigen Denkens liegt darin, dass die tradierten Quellen der Sinngebung bis aufs Messer bekämpft werden, als ob dafür Sorge getragen werden solle, dass immer mehr Menschen einen Ersatz-Sinn des Lebens in politischem Aktivismus suchen müssen. Politisiert und auf die Makro-Ebene der Gesellschaft verlagert wird auch die Moral: Ziel ist nicht mehr, dass man im eigenen Leben das Gute dem Bösen vorzieht, sondern dass man das große Ganze „gerecht“ gestaltet, zugunsten immer abstrakterer Anforderungen.

Wer „Mutter Erde“ rettet, am liebsten in utopischer Zukunft, hat damit soviel moralisches Kapital erworben, dass es im Kleinen nicht mehr darauf ankommt. Anderen Menschen, auch großen Teilen der Gesellschaft materielle Sicherheit zu nehmen, ihnen sogar Gefahr für Leib und Leben zuzumuten, ist dann „um der großen Sache willen“ notwendig.

Von einem halb naiven, scheinbar noch rational (wenn auch zynisch) abwägenden politischen Aktivismus, der das (behauptete) kollektive Wohl zukünftiger Welten verabsolutiert, ist es nicht weit zu einem schrankenlosen zynischen Nihilismus, der sich selbst genügt und für den moralische Ansprüche von vornherein keine Rolle spielen, oder nur noch als Narrativ.

Letztlich sind die großen Weltenretter und Hypermoralisten immer bereit, auch wirkliche Menschenopfer zu bringen, und sie tun es gegenwärtig schon in großer Zahl: von den bei Black-Lives-Matter-„Protesten“ getöteten Polizisten über die medizinisch aberwitzige „Impfung“ sogar von Kleinkindern und Jugendlichen bis zu Millionen Menschen in Entwicklungsländern, die aufgrund verweigerter sicherer Energie, Düngemittel und Nahrung völlig unnötig sterben.

Gerade hinter dem Aktivistenkampf für „den Planeten“ versteckt sich eine ebenso abgründige Menschenfeindlichkeit, wie sie die totalitären Regimes des 20. Jahrhunderts praktiziert haben. (Unbedingt ansehen: Jordan Peterson im Gespräch mit Alex Epstein.) Der pathologische Todeskult des Zeitgeists zeigt sich in Abtreibungs-Fanatismus (bis nach der Geburt) ebenso wie im ungenierten Revival der Euthanasie-Bewegung, etwa im besonders „fortschrittlichen“ Kanada.

Teil 1 finden Sie hier.

Lesen Sie morgen: Was für ein neuer Totalitarismus ist das nun?

Michael W. Alberts hat langjährige Erfahrung in der Politikberatung und in politischer Kommunikation, auch zugunsten von Funktionsträgern der Liberalen, und betätigt sich nebenberuflich publizistisch.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

F. Michael / 02.03.2023

>Alles ist moralisch massiv aufgeladen und jedes Mittel zulässig,...< Die sprechen seit Jahren von der gefährlichen Atomenergie, es wurde täglich in den Medien wiederholt, jetzt heizen genau diese Partei und Medien den Atomkrieg an und der Kinderbuchschreiber hat keine Angst davor.

Sam Lowry / 02.03.2023

“Die Deutschen sind die stärksten Menschen der Welt! Niemand anderes bekommt so viele Bären aufgebunden und läuft noch aufrecht und das auch noch teilweise ohne Rückgrat.”

Rolf Menzen / 02.03.2023

Nach wie vor bin ich der Meinung, es handelt sich um eine Autoimmunerkrankung von Wohlstandsgesellschaften. Wir leisten uns zu viele Menschen, die keiner produktiven Arbeit nachgehen.

Gerhard Schweickhardt / 02.03.2023

Phantastisch aufgezeigt; “Hinter dem Kampf für den Planeten versteckte sich eine tiefe Menschenfreundlichkeit” Mit dieser und anderen Aussagen erklärt sich diese fanatisierte Gesellschaft. Der Machtanspruch ist nicht auf sein eigenes Tun beschränkt , sondern fordert vom Anderen Unterwerfung. Das ist keine freiheitliche demokratische Grundordnung mehr. Da geht die Reise hin.

Curt Handmann / 02.03.2023

Sehr breit angelegter, aber doch vortrefflicher Artikel. Danke, Herr Alberts!  .......... So weit, so erschreckend. .......... Mir fehlt im Text ein (m. A. n.) wichtiger Literaturhinweis, ins Jahr 2007 hinein—der auf Naomi Kleins beinahe legendäres Buch “Die Schock-Strategie”.  .......... Vieles von dessen Inhalt (nicht “1 zu 1”, aber mit der psychologisch hochwirksamen schwarzen Mechanik, erst Böses konstruieren, dann die passenden (Er-)Lösungen hinterherschieben vergleichbar) hat eine nie für möglich gehaltene Hochkonjunktur. .......... Wir sollen in den totalen Irrsinn getrieben werden. Das wird immer klarer. .......... Es sind die widerlichen Verführer, die Einbrüller und Einflüsterer, die Hütchenspieler, die Rosstäuscher und die unberechenbaren Psychopathen, all jene Amöbenzüchter, die sich bar JEGLICHEN menschlichen Anstandes und vollends schamlos der Vulnerabilität und der Manipulierbarkeit sensibler, gehorsamer, ängstlicher oder wankelmütiger menschlicher Seelen zum Zwecke der Sättigung ihrer nicht enden wollenden Partialgelüste auf Kosten der dummen Anständigen bedienen.  .......... Wir DÜRFEN uns aber NICHT ins Zeitalter eines kollektiv rasenden Amoklaufs und der damit folgenden totalen Entmenschlichung hineinziehen lassen.  .......... Hiroshima und Nagasaki, Korea, Vietnam, Kosovo, Irak, Afghanistan, Syrien, Jemen ... betreffend die Ukraine ist man dort auf einem ähnlichen Weg (auch wenn die Russen dort noch lange nicht in den “US-Kriegsgottmodus” umgeschaltet haben!), das waren und sind die “großen”, die am besten geeigneten Angstereignisse. ..........  Und genau diese Angst nutzen derzeit “wertewestliche” Apologeten, NATO-Evangelisten derzeit aus. Als ob uns das Wasser nicht schon lange bis zum Hals stünde.

Werner Arning / 02.03.2023

Einen der größten Widersprüche haben Sie nicht erwähnt. Wie kann eine Gruppierung/Partei von Fundamental-Pazifisten (Lieber rot als tot, keine Waffen in Kriegsgebiete) in Null-Komma-Nichts zu „Kriegshetzern“ werden? Werden sie etwa gelenkt? Wer hat ein Interesse an der derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklung? Diese Interessengruppe kann auch außerhalb Deutschlands angesiedelt sein. Wer will die Deindustrialisierung? Wer, außer ein paar Esoterikern, könnte daran ein Interesse haben? Wer könnte sich, unter Beihilfe der Medien, die offensichtliche Irrationalität der Deutschen zunutze machen? Immer fragen: Wem nützt es?

Hermann Sattler / 02.03.2023

Kleiner Exkurs nach Frankreich; kla,tv-SOS Notruf aus Frankreich- Macron als neuer Klabauterb.?  Todesstaub Uranmunition in der Ukraine? Unbedingt sehen! Unglaublich.

A. Nölle / 02.03.2023

Und diese Geisterfahrer sollen noch bis 2025 so weitermachen dürfen? Was ist dann noch von unserem Land und unserer Gesellschaft übrig? Ursachenforschung hilft uns nicht weiter: Wie stoppt man diesen Wahnsinn, und zwar SOFORT? Das ist doch die einzige Frage, auf die es im Moment ankommt, oder?

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Michael W. Alberts, Gastautor / 16.06.2023 / 12:00 / 42

Das große Wärmepumpen-Märchen (2): „Wir sparen CO2“

Wenn man auf gesamtwirtschaftlicher Ebene vergleichend bewertet, was nach der groß-grünen Wärmepumpen-Transformation passieren wird, gelangt man zu ernüchternden Ergebnissen: Es würde sogar mehr CO2 produziert werden, als…/ mehr

Michael W. Alberts, Gastautor / 15.06.2023 / 06:00 / 48

Das große Wärmepumpen-Märchen (1): „Gut für die Wirtschaft“

Die Milliarden für Heizungs-Umbauten und andere Vorhaben der „Großen Transformation“ sollen die Wirtschaft „ankurbeln“, sagt die Bundesregierung. Ein Märchen, das „Experten“ erzählen, die alles kompliziert…/ mehr

Michael W. Alberts, Gastautor / 12.05.2023 / 14:00 / 33

Lenkhilfe für Frau Lemke

Umweltministerin Steffi Lemke will Klimapolitik per Tempolimit betreiben. Mit etwas gesundem Menschenverstand und Allgemeinbildung stell man schnell fest, wie einfältig diese Idee ist – es sei…/ mehr

Michael W. Alberts, Gastautor / 12.03.2023 / 16:00 / 42

Tarnen und Täuschen mit dem Umweltbundesamt

Das Umweltbundesamt veröffentlichte eine Studie, die die Sinnhaftigkeit eines Tempolimits zeigen wollte. Das Papier ist im Wesentlichen Blendwerk, eine Kulisse handwerklicher Gediegenheit, ein Potemkinsches Dorf,…/ mehr

Michael W. Alberts, Gastautor / 03.03.2023 / 14:00 / 43

Umsturz von oben: Absolutistischer Größenwahn (3)

Das „neue Normal“ einer formierten Gesellschaft im ideologischen Gleichschritt scheint das eigentliche Ziel der Politik zu sein – ein feuchter Traum von Spitzenpolitikern und Strippenziehern,…/ mehr

Michael W. Alberts, Gastautor / 01.03.2023 / 12:00 / 35

Umsturz von oben (1): Erleuchtete und Schuldige

Was die Menschheit über unzählige Generationen gelernt und geschaffen hat, soll plötzlich nichts mehr gelten, wird ins Gegenteil verdreht. Ein Muster dabei ist das Denken…/ mehr

Michael W. Alberts, Gastautor / 08.02.2023 / 12:00 / 32

Die Tempolimit-Lügner: Radikal rücksichtlos (3)

Was bringt es für die „klimarettende“ CO2-Vermeidung, wenn die Grünen endlich das Tempo auf allen Autobahnen auf 120 drosseln dürfen, worauf sie seit Jahrzehnten fieberhaft…/ mehr

Michael W. Alberts, Gastautor / 07.02.2023 / 12:00 / 26

Die Tempolimit-Fanatiker: Fake Science (2)

Willkommen zu Teil zwei einer kritischen Analyse der neuen Studie des Umweltbundesamts (UBA) – zu den angeblich ganz großartigen CO2-Minderungs-Potenzialen, wenn man denn nur endlich…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com