Michael W. Alberts, Gastautor / 07.02.2023 / 12:00 / Foto: Pixabay / 26 / Seite ausdrucken

Die Tempolimit-Fanatiker: Fake Science (2)

Willkommen zu Teil zwei einer kritischen Analyse der neuen Studie des Umweltbundesamts (UBA) – zu den angeblich ganz großartigen CO2-Minderungs-Potenzialen, wenn man denn nur endlich das immer schon heiß ersehnte generelle Tempolimit auf allen Autobahnen politisch umsetzen würde. Die Studie beruht im Kern auf der Nutzung eines deutschlandweiten Verkehrsmodells, in dem alle Straßen und die darauf stattfindenden Autoverkehre simuliert werden.

Wie machen Igel Liebe? Klar, weiß doch jeder: ganz, ganz vorsichtig. Wie rechnet das Modell der UBA-Gutachter aus, wieviel CO2 man im Autobahnverkehr einsparen kann, durch radikales Runterbremsen? Weiß nicht jeder, aber hier die Antwort: sehr, sehr kompliziert.

Viel zu umständlich, um das alles nachzuzeichnen. Man kann es auch eigentlich nur noch mit Humor nehmen. Also ungefähr besteht das Spiel darin, in den unendlichen Tiefen und Weiten des deutschlandweiten Verkehrsmodells mit seinen unübersehbaren Verästelungen alle Autobahnabschnitte mit einem Tempolimit bei (höchstens) 120 auszustatten; daraus ergeben sich dann in Fantastilliarden von engen Zeit- und Raumfenstern kleinteilige veränderte Verkehrs-Situationen; zu deren Bewertung werden Eckwerte herangezogen, die man aus dem offiziellen „HBEFA“-Handbuch für Emissionsfaktoren nimmt, in das sie nach wiederum höchst komplexen Studien und Abschätzungen mit extrem vielen, empirisch nicht leicht kontrollierbaren Parametern aufgenommen wurden. Schon angemessen beeindruckt?

Wenn man wissen will, welches Gewicht eine Schubkarre voller Kieselsteine und Split auf die Waage bringt, kann man natürlich auch erst nach Farbe und Korngröße sortieren, womöglich noch nach weiteren interessanten Kriterien, um dann in einem Handbuch nachzuschlagen, welche Masse eine bestimmte Anzahl solchen Materials je nach Farbe, Form und Größenklasse besitzt; das lässt sich dann ganz elegant addieren und schon hat man die Antwort. Ja, zugegeben, das Beispiel trifft es (wie alle Vergleiche) nicht ganz exakt und ist vielleicht sogar ein bisschen ungerecht, aber es verdeutlicht zutreffend das Problem.

Ein paar Millionen Euro, viel Zeit und Geduld

Wie die Experten hier rechnen, ist so (unnötig) komplex und undurchschaubar, lässt so viele Fehlerquellen zu und beruht auf so vielen Einfluss-Faktoren, dass man das Ergebnis praktisch nur noch auf Vertrauensbasis entgegennehmen kann. Das lässt sich nicht mehr „nachrechnen“; man müsste dem Modell mit all seinen inneren Mechanismen auf den Grund gehen und sämtliche herangezogenen Parameter überprüfen, aber dazu bräuchte man ein eigenes Gutachterkonsortium, ein paar Millionen Euro, viel Zeit und Geduld und noch dazu volle Transparenz auf Seiten der UBA-Auftragnehmer.

Die gewählte Methodik schirmt das UBA weitgehend von kritischen Nachfragen ab, es versteckt sich hinter einer gewaltigen Kulisse handwerklichen Aufwands und technischer Detailexpertise. Wie bei den „Klimamodellen“ geht es hier nicht darum, ob die Spezialisten zu Detailfragen ihren Job beherrschen und sich ehrlich um eine tragfähige Analyse bemühen, sondern es wird im politischen Ergebnis durch die intransparente Komplexität jede öffentliche kritische Debatte selbst für sachkundige Interessenten so gut wie unmöglich gemacht.

Doppelt so schlau in nur zwei Jahren

Nun sind allerdings die GCM-Modelle für das Weltklima notwendig hoch komplex, weil langfristige Prognosen anders von vornherein nicht vorstellbar wären – was noch längst nicht heißt, dass die tatsächlichen Prognosen auch nur einigermaßen zuverlässig wären! (Auch dort sind die Ergebnisse politisch determiniert.) Die konkrete Aufgabenstellung beim UBA-Tempolimit ist aber eigentlich beinahe simpel, sie lautet im Kern einfach: wie groß sind die Fahrleistungen auf Autobahnen, die mit hohen Geschwindigkeiten erzielt werden, und wie viel Sprit könnte man einsparen durch ein Tempolimit?

Exakt so hat das UBA noch vor gut zwei Jahren die Sache selbst angefasst, aber fast im direkten Anschluss diese neue Studie in Auftrag gegeben – die wie durch ein Wunder „nachweist“, dass ein Tempolimit mindestens doppelt so viel CO2 vermeiden würde. Das ist wirklich eine Überraschung, denn die früheren Berechnungen durch UBA waren schon erkennbar zugunsten nennenswerter Einspar-Potenziale ausgereizt; es wäre ja auch geradezu gegen den Daseinszweck der Anstalt, nicht zugunsten der guten Sache eher großzügig ans Werk zu gehen. Teilweise sind hanebüchene Methoden-Fehlgriffe eingebaut worden, die das Ergebnis massiv in die Höhe treiben mussten. 

Und von dieser Basis aus will man noch einmal mehrfache CO2-Vermeidungspotenziale ermittelt haben? Indianer-Ehrenwort? Dazu wird in der neuen Studie nur ganz knapp Stellung genommen, mit einem einzigen überschaubaren Textabsatz – angesichts von hunderten Seiten insgesamt und extremer Erklärungsbedürftigkeit der grotesken Diskrepanz echt abwegig. Man verweist auf die im Modell erzeugten „Routenwahleffekte“ und das Umsteigen auf andere Verkehrsmittel, nachdem Autobahnfahren unattraktiver werde, aber dann bleibt immer noch fast eine Verdoppelung des Effekts.

Der Unterschied sei „primär in der Methodik der Herleitung der Emissionsfaktoren begründet“, windet man sich heraus: Man habe eben nun die „HBEFA“-Handbuch-Eckwerte benutzt, und dadurch wisse man es endlich genauer (Seite 211). Zur Erläuterung: Die Emissionsumfänge laut HBEFA beruhen darauf, dass man typische Verbräuche typischer Fahrzeuge für typische Fahrzyklen simuliert und summiert, mit technisch recht anspruchsvollen Verfahren. In den Worten der neuen Studie (Seite 105): Man nutzt das „mikroskopische Fahrzeugemissionsmodell PHEM (Passenger car and Heavy duty Emission Model)“.

„Genaueres Rechnen“ oder radikal gelogen?

Dann vergleichen wir das doch mal damit, wie das UBA seine eigenen Berechnungen kurze Zeit vorher angestellt hat. Laut Seiten 18 und 19 der damaligen Studie („Texte 38/2020“) hat man zurückgegriffen auf „PHEM(Software für die Detail-Simulation von Einzelfahrzeugen und Fahrzeugflotten, Anm. d. Red.) auf Basis von „HBEFA-Standardfahrzyklen“ und (für sehr hohe Geschwindigkeiten) daran eng angelehnte Fahrzyklen. Potzblitz. Um es jugendfrei zu formulieren: Da bleibt einem echt die Spucke weg. Die ingenieurmäßig gedachte Methodik der neuen und der nur zwei Jahre älteren Studie ist also quasi identisch. 

Auch an der Fahrzeugtechnik der PKW auf deutschen Autobahnen hat sich nichts Signifikantes verändert. Die 2020er Studie des UBA betont sogar ausdrücklich, dass es so genau gar nicht ankommt auf die exakte PKW-Technikgeneration, Zitat:

„Euro 6-Pkw haben im praktischen Betrieb auf der Straße im Flottendurchschnitt nahezu ähnlich hohe CO2-Emissionen wie Pkw mit älteren Baujahren entsprechend der Abgasnormen Euro 3, 4 und 5 […] Weiterhin ist der relative Verlauf der CO2-Emissionen für Pkw mit verschiedenen Euro-Normen ähnlich. Daher werden Pkw im Weiteren nicht nach Euro-Normen unterschieden.“

Dasselbe UBA lässt sich von seinen neuen Gutachtern jetzt eine absurde Ausrede formulieren, wonach sich durch die Nutzung überlegener und zahlenmäßig massiv abweichender Erkenntnisse über PKW-Emissionen rund doppelt so hohe CO2-Minderungen durch Abbremsen per Tempolimit ergeben hätten. Diese Typen glauben offenbar, dass sie mit solchen extrem unverfrorenen Legenden durchkommen, entweder weil niemand sich die Mühe macht, die Methoden der neuen und der vorhergehenden Studie zu vergleichen, oder es spielt keine Rolle, weil die Politik- und Medienlandschaft ohnehin alles schluckt, was man ihr unter dem Dienstsiegel der oberen Bundesbehörde vorsetzt. So wie Schweine einfach alles fressen, was man in den Trog schüttet.

Einfacher und viel einleuchtender

UBA macht aber nicht immer alles falsch. In der eigenen Berechnung 2020 haben die Experten aus den HBEFA-PHEM-Zahlen eine Formel abgeleitet, die sehr präzise anzeige, wie der Spritverbrauch von PKW auf die Wahl der Geschwindigkeit reagiert; anschließend hat man rechnerisch die schnellen Fahrleistungs-Anteile auf bisher freien Autobahn-Abschnitten auf das Tempolimit hin reduziert, mit entsprechenden Verbrauchs-Minderungen.

Das ist auch grundsätzlich-strukturell der absolut naheliegende, korrekte Weg. Natürlich kann man auch dann noch an Schräubchen drehen, den Zusatzverbrauch durch höheres Tempo und die Bremswirkung eines Limits versehentlich überschätzen, aber darüber kann man immerhin vernünftig und nachvollziehbar diskutieren, unter Heranziehung von Fachleuten des Motorenwesens und der Verkehrsplanung und -statistik.

Was nun genau im Zaubermodell der neuen Studie stattgefunden hat, lässt sich von außen eben nicht wirklich nachvollziehen, aber dass man grundlegend andere Rückschlüsse aus der Simulation von Fahrzeugverbräuchen je nach Geschwindigkeit gezogen hat, die ungefähr zu einem doppelt so großen Effekt führen, ist nicht einmal vordergründig plausibel, denn wie gesagt: Insoweit hat das UBA schon 2020 auf beinahe identische Sachgrundlagen zurückgegriffen. 

Ein wesentlicher Unterschied besteht aber darin, dass das UBA bei der Einschätzung der Fahrleistungsanteile je nach Geschwindigkeit auf Daten von Autobahn-Zählstellen zurückgegriffen hat, die vor ungefähr zehn Jahren erhoben wurden, als es noch deutlich weniger Verkehrsleistungen gab und die Autobahnen damit eigentlich schneller befahrbar waren als heute. Die neue Studie beruht dagegen auf „floating car data“, also auf den internen Daten eines Navigationsdienst-Anbieters, der seine Kunden unterwegs nachverfolgt und jederzeit weiß, wer mit welchem Tempo auf welchem Streckenabschnitt unterwegs ist.

Fragwürdige Datenquelle, Schwamm drüber

Eigentlich eine schöne Sache, denn damit kann man den gesamten Verkehr „in Echtzeit“ ziemlich genau nachverfolgen. Die Sache hat aber gerade im Blick auf die Fahrt auf relativ freien Autobahnabschnitten einen großen Haken: Die beteiligten Fahrzeuge sind nicht unbedingt repräsentativ für den gesamten PKW-Verkehr; von den beobachteten etwa 15 Prozent aller Autos kann man nicht einfach auf 100 Prozent schließen. Darin liegt eine erhebliche Fehlerquelle; nach den eigenen Erläuterungen der neuen Studie (S. 99) sind die so erfassten Fahrer offenbar spürbar schneller unterwegs, als man nach bisherigen, soliden empirischen Erkenntnissen annehmen musste.

Tatsache ist: Auf großen Teilen der Netze gelten von vornherein Tempolimits, und zwar gerade im Umfeld der Ballungsräume, wo besonders viel Verkehr anfällt. Hinzu kommen situationsabhängige „Verkehrsbeeinflussungs-Anlagen“ mit Anzeigetafeln, die unterschiedliche Tempolimits vorgeben können. Zu deren anteiligen Auswirkungen auf alle Autobahnverkehre gibt es in der Studie anscheinend nicht den geringsten Hinweis, was mehr als merkwürdig ist und die Gefahr weiterer Fehlberechnungen birgt.

Auf den unlimitierten Strecken ist das Tempo trotzdem häufig begrenzt, einfach durch relativ dichten Verkehr mit vielen Fahrzeugen, und gerade in diesen Situationen werden natürlich auch überproportionale Verkehrsleistungen erzielt. Schnell fahren kann man nur, wenn nur wenige Verkehrsteilnehmer auf der Strecke „konkurrieren“, aber damit erzielt man auch nur geringe Anteile an den Verkehrsumfängen. Noch dazu will gar nicht jeder Autofahrer auf die Tube drücken, nur weil er es theoretisch jetzt gerade könnte.

Solide Vergleichsrechnung zur Validierung

Insofern gibt es gute Gründe, anzunehmen, dass die Geschwindigkeiten laut „floating car data“ signifikant überschätzt werden. Man belässt es aber dabei, diesen Hinweis (äußerst knapp gehalten) irgendwo tief in der Methodendiskussion zu verstecken und benutzt gleichwohl diese Datengrundlage ohne Korrektur, obwohl die Repräsentativität so offensichtlich fragwürdig ist. 

Noch dazu wurden vier Jahre alte Daten aus dem Jahr 2018 verwendet – damit werden die Auswirkungen der heutigen, stark gestiegenen Spritpreise und die massive Inflation, die die Menschen zum Sparen zwingt, völlig ausgeblendet! Wenn die Autobesitzer deshalb sowieso schon langsamer und weniger fahren, dann bringt ein Tempolimit umso weniger weitere Einspar-Effekte.

Abgesehen von den insoweit irreführenden Datengrundlagen für die bisher gefahrenen Geschwindigkeiten: Die Effekte eines Tempolimits lassen sich – wie schon erwähnt – viel einfacher abschätzen, wenn man nicht unnötig kompliziert per Modell mit undurchschaubarer Feinteiligkeit und unabsehbaren Fehlerquellen rechnet, sondern einfach summarisch an die Fahrleistungen der schnelleren Verkehrsteilnehmer herangeht; mindestens erhält man damit eine solide Vergleichsrechnung zur Validierung.

Eine robuste Kontroll-Kalkulation

Egal wie man es anstellt, so oder so kann man das konkrete Fahrverhalten von zig Millionen PKW auf verschiedensten Strecken mit verschiedensten konkreten Situationen nur statistisch grob angenähert abbilden. Die komplexen Muster, die im Modell hinterlegt sind, beruhen noch dazu auf den Erfahrungen im bisherigen System, in pauschalisierter Form. Bisher sind Tempolimits aber grundsätzlich auf Abschnitten installiert, wo es mehr oder weniger gute, ortsgebundene Gründe dafür gibt. Ein Tempolimit auf freien Strecken schnurgerade durch die Landschaft würde zu Recht als Schikane empfunden, und die Autofahrer würden dort anders reagieren, was man aber nur spekulativ nachempfinden kann. Es gibt keine realen Erfahrungswerte dafür und damit auch keinen Zaubertrick, wie man das in einem hyperkomplexen Modell garantiert zutreffend abbilden könnte.

Im ersten Schritt einer robusten Abschätzung aufgrund der Gesamtfahrleistungen kann man einfach die gefahrenen Kilometer je Geschwindigkeits-Kategorie (aus Abbildung 26 der Studie von 2023) in eine Tabellenkalkulation übertragen. Zwar sind die Prozentanteile nur ganzzahlig angegeben, die konkreten Werte lassen sich aber aus den Säulenhöhen etwa auf ein bis zwei Zehntelprozent genau ablesen, das liegt schon weit unterhalb der empirischen Unschärfe (und Fragwürdigkeits-Toleranzen der nicht repräsentativen Quelldaten). Die durchschnittliche Geschwindigkeit je Kategorie in 10 km/h-Schritten wird etwa auf den Mittelwert gesetzt. (Auch hier gilt: über Nachkommastellen zu diskutieren, lohnt sich nicht wirklich.) 

Die erheblichen Reisezeit-Aufwände aus den wenigen kurzen Strecken, auf denen die Autos lange im Stau stehen, finden sich in der Kategorie null bis zehn km/h wieder; dieser Wert wird so gewählt, dass sich insgesamt eine Durchschnittsgeschwindigkeit ergibt, die dem optisch angedeuteten Wert aus der Modellrechnung entspricht: gut 93 (Abb. 85). Damit hat man das globale Geschwindigkeiten-Profil im Ist-Zustand schon recht präzise als Tabelle erfasst. (Wer es nachrechnen will – aufpassen: Die Geschwindigkeiten sind über ihre Kehrwerte, also die anfallenden Reisezeiten arithmetisch zu mitteln.)

Es ist nicht strikt beim Grenzwert Schluss

Im nächsten Schritt kann man auf dieser Grundlage „simulieren“ und abschätzen, was passiert, wenn man die schnellen PKW durch ein Limit abbremst. Das Problem ist, dass man nur ungefähr vermuten kann, wie die Geschwindigkeitsverteilung hinterher aussieht. Diejenigen, die von vornherein höchstens 120 fahren, brauchen nicht zu bremsen. Aber wie stark bremsen diejenigen, die ohne Limit 130 fahren, 140, 160, 200?

Es ist durch „amtliche“ Zählstellendaten empirisch nachgewiesen, entspricht aber auch der Alltagswahrnehmung, dass nicht strikt beim Grenzwert Schluss ist. Manche legen 5 obendrauf, manche 15, wenige auch 25. Für eine vereinfachte Abschätzung könnte man durchaus ehrgeizig annehmen, dass diejenigen, die bisher 120 bis 130 fuhren, nun im Schnitt mit 118 klar unter dem Limit bleiben. Von bisher 130 bis 140 geht es exakt auf die 120. Die bisher noch schnelleren Fahrer verteilen sich stufenweise auf neue Geschwindigkeiten bis maximal 135, ohne jeden Ausreißer nach weiter oben, was sehr unrealistisch ist.

Das neue Durchschnitts-Tempo aller PKW auf allen Autobahnen beträgt selbst bei so wohlwollenden Annahmen zugunsten der Wirkung des Limits immer noch beinahe 90, ist damit nur um 4,3 Prozent gesunken. (Die Nachkommastelle soll nicht andeuten, dass der Wert so exakt tragfähig ist. Es ist einfach der Wert, der sich mit den dargestellten Rechenschritten faktisch ergibt. Dass die bisher schnelleren Fahrzeuge tatsächlich so stark abbremsen, ist durchaus fraglich. Insoweit liegt der Wert eher am oberen Rand einer realistischen Bandbreite.)

Die Modellierer haben sich vergaloppiert

Laut Abb. 85 der Studie aus dem Jahr 2023 senkt das Limit diesen Durchschnitt aber um über neun Prozent. Wie soll das möglich sein? Oder, in anderen Worten: Wie realistisch können die Annahmen sein, die dem Modell für diese Berechnung in expliziter oder verdeckter Form eingegeben worden sind? Wie die Abweichung innerhalb des Modells genau zustande kommt, lässt sich „von außen“ nicht einmal ungefähr nachvollziehen. 

Klar ist aber soviel: Neun Prozent statt gut vier, bei gleichzeitig von vornherein sehr wahrscheinlich überhöhten Annahmen zu den bisher gefahrenen Geschwindigkeiten: Genau das ist durchaus in der Lage zu erklären, warum angeblich plötzlich doppelt so viel CO2-Minderung erzielt werden kann. Mit den als Ausrede suggerierten neuen Erkenntnissen zu Motorverbräuchen hat das rein gar nichts zu tun.

Man kann das Rätsel zusätzlich von einer anderen Seite angehen: Selbst nach den vermutlich „zu schnellen“ Tempo-Anteils-Daten (der nicht repräsentativen, nur etwa 15 Prozent aller PKW) werden höchstens 30 Prozent aller Fahrleistungen mit 130 oder schneller erzielt, wobei 18 Prozentpunkte schon bis 150 abgedeckt sind, danach wird es rapide weniger. Durch Abbremsen dieser PKW-Anteile in Richtung 120 (faktisch also vielfach immer noch etwa 130) sollen (laut Abb. 53) über zehn Prozent aller Verbräuche des gesamten PKW-Autobahnverkehrs eingespart werden?

Die neue Studie hat sich gründlich disqualifiziert

Laut Wiedergabe in der Studie (Tabelle 10) unterstellt HBEFA für freie Autobahn-Abschnitte ohne Limit ein durchschnittliches Tempo von über 140; für flüssigen Verkehr dort einerseits und Abschnitte mit einem Limit bei 120 andererseits werden (Seite 125 f.) typische CO2-Emissionen von 278 gegenüber 241 Gramm je Kilometer angegeben: das würde eine Minderung um gut 13 Prozent bedeuten – bei einer Reduzierung der Durchschnittsgeschwindigkeit um etwa 20 km/h, die der Stärke nach fast genau derjenigen entspricht, die für die schnelleren Fahrzeuge durch das Tempolimit zu erzielen ist.

Aber eine Minderung in dieser Größenordnung lässt sich eben nur für die Verkehrsumfänge erzielen, die von schnellen Fahrzeugen auf freien Abschnitten erzielt werden – das sind laut der Studie etwa ein Drittel, aber nach Korrektur der (wie die Studie selbst sagt: ungewöhnlich schnellen!) „floating car data“ aus dem Jahr 2018 kann das auch nur ein Viertel sein. Bei diesen anteiligen Fahrleistungen also kann man ungefähr 13 Prozent Verbrauch und CO2 vermeiden. Selbst wenn diese anteilige Minderung 15 oder gar 18 Prozent betrüge: Eine Gesamtminderung von über 10 Prozent (der Verbräuche von allen Fahrleistungen, einschließlich der Zusatzverbräuche im Stau) gibt das große Einmaleins nicht annähernd her. 

Auch auf diesem (zugegeben etwas grobmaßstäblichen) Abschätzungsweg kommt man also höchstens etwa auf halb so große Minderungen. Der Schluss, der sich förmlich aufdrängt: Nachdem auch die durchschnittliche Geschwindigkeit der PKW auf Autobahnen mit großer Wahrscheinlichkeit höchstens etwa halb so stark durch ein Tempolimit reduziert wird, verglichen mit dem durch die neue Studie behaupteten Ergebnis, können tatsächlich auch nur etwa halb so große CO2-Minderungen erzielt werden. Womit bestätigt wäre, dass – wenn überhaupt – die etwas ältere eigene Studie des UBA 2020 weiterhin als Diskussionsgrundlage zu nutzen wäre und die neue Studie sich gründlich disqualifiziert hat, weil die dortigen Angaben sich letztlich selbst widersprechen.

 

Teil 1 finden Sie hier.

Im dritten und letzten Teil der UBA-Studien-Kritik lesen Sie morgen: Es reicht nicht, wenn man „wissenschaftlich“ schummelt; man muss auch noch Propagandalügen draufsetzen.

 

Michael W. Alberts hat langjährige Erfahrung in der Politikberatung und in politischer Kommunikation, auch zugunsten von Funktionsträgern der Liberalen, und betätigt sich nebenberuflich publizistisch.

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Leserpost

netiquette:

F. Leuschner / 07.02.2023

Ich weiß nicht, was an folgender Rechnung so schwer ist: wenn ich mit einem Auto bei 120 km/h 8 Liter Kraftstoff auf 100 km verbrauche und mit dem selben Auto bei 160 km/h 10 Liter auf derselben Strecke verbrauche, dann setze ich mehr Schadstoff frei. Ganz unabhängig davon, ob dieses Abgas vor, während oder nach der Entstehung gefiltert, katalysiert, mit AdBlue weiter aufgespalten oder sonst wie verarbeitet wird. Es entsteht eine bestimmte Menge schädlicher Abgase, und zwar äquivalent zum Verbrauch. Und schon reicht eine einfache Dreisatzrechnung aus: wenn 8 Liter Kraftstoff die Menge X an Schadstoffen freisetzen, wieviel Schadstoffe werden dann aus 10 Litern Kraftstoff freigesetzt? Berechne den Unterschied. Was ist daran nicht zu kapieren? Möge der Shitstom beginnen.

Karl-Heinz Boehnke / 07.02.2023

Wer in die Wahl der Geschwindigkeit eingreift, kann das auch in die Wahl des Gewichtes, der Windschnittigkeit und der Motorisierung des Autos tun. Die Begrenzung des Höchstgewichtes, des Widerstandes und der Leistung würde weit mehr CO2 sparen, als es eine Geschwindigkeitsbegrenzung bei weiter steigenden Beständen an SUV und Elektro-Kübeln je könnte. Aber das träfe ja die grünen Gattinnen ins Mark, die mit den Firmenautos auch auf einem verbreiterten Parkplatz nicht zurechtkommen.

Günter H. Probst / 07.02.2023

Meine vorletzte €-Abzocke hat mich vor Jahren in Brandenburg an einem Sonnentag auf einer schnurgraden Autobahnstrecke erwischt, wo angeblich 100 km/h erlaubt gewesen sein soll. Nur darum geht es bei der Begrenzung. Wenn dann auf jedem km Autobahn eine Meßstelle eingerichet ist, freuen sich die Politker über Milliarden weiteres Spielgeld. Weder der Verkehrssicherheit , noch der Umwelt hilft eine Begrenzung. Die Verkehrssicherheit auf Autobahnen wird nicht durch die in den Medien so geliebten “Raser”, sondern von fehlerhaften Einfahrern, Geisterfahrern, Mittelspurfahrern und plötzlich Ausscherenden gefährdet. Und die bei Begrenzungen zu beobachtenden Staus verbrauchen unnütz mehr Kraftstoffe, dienen also keineswegs der Umwelt. Zudem erhöhen Begrenzungen den ökonomischen Schaden, da die Mehrzeit für Waren und Dienstleistungstransporte schließlich als Mehrkosten auf den Rechnungen erscheint.

R.Jörres / 07.02.2023

Danke. (A) Unter Modellen kann man (a) direkt experimentell überprüfbare, (b) retrospektive, (c) prospektive unterscheiden, sodann (1) solche auf der Basis bekannter, überschaubarer Mechanismen sowie (2) komplexe Modelle mit einer im Prinzip unbegrenzten Zahl von Faktoren. Kombinationen von (c) mit (2) sind besonders problematisch. Man hat es zuletzt an den prospektiven Corona-Modellen gesehen, die allesamt falsch waren; für Klimamodelle dürfte das ebenfalls zutreffen, und vermutlich auch im vorliegenden Fall. (B) Die Erfahrung zeigt, dass einfache überschlägige Abschätzungen in solchen Fällen robuster und verlässlicher sind als endlose „Verfeinerungen“. Siehe in der Statistik das Problem des Overfitting. (C) Modelle ohne durchschaubare, konkret nachvollziehbare Spezifikation sind für eine fundierte Entscheidungsfindung wertlos, wie wiederum die unzähligen Modellbehauptungen zu Corona gezeigt haben. (D) Man sollte das Ziel im Auge behalten. Es geht vorgeblich um eine Reduktion des CO2-Ausstoßes. Sollte diese im weltweiten Maßstab relevant sein, muss sie einen bestimmten Betrag überschreiten, der außerhalb des Rauschens der Modelle liegt. Man nehme probeweise an, mit den Pkw sei 50% des Verkehrs betroffen, von dem 50% auf Autobahnen stattfinde, von dem wiederum 50% wegen bereits bestehender Limitationen relevant sei, was zu einer Reduktion der CO2-Emission von 20% führe. Diese (sicher zu hoch angesetzten) Zahlen geben 1/8 x 1/5 entsprechend 2,5% Reduktion. Bei einem weltweiten Anteil von 2% und einem Anteil von 20% des Straßenverkehrs an den CO2-Emissionen von D. ergibt das 1% von 1% weltweit, ist also komplett irrelevant für die Klimaentwicklung. Wäre diese sensitiv gegenüber so kleinen Änderungen, wäre das Klima immer schon „außer Kontrolle“ gewesen, um eine bekannte intellektuell außer Kontrolle geratene Phrase, einen mustergültigen Paradebilismus zu paraphrasieren. Damit ist auch das Modell wertlos, außer für Agitprop im Milieu des popellus viridis.

Dr. Thomas Dörfler / 07.02.2023

Das Tempolimit wird früher oder später kommen. EU wir es regeln und Software in den PKWs wird dafür soregn, dass es jederzeit eingehalten wird. Dass man dadurch spätestens bei 100% E-Karren gar kein CO2 einspart, geschenkt.

Guntram Stohner / 07.02.2023

Viel Arbeit hat sich der Autor mit diesem ganzen pseudowissenschaftliche Mist gemacht, der absehbar zur Stützunfgeiner ideologisch Lüge zusammen gemodelt wurde. Wer alle Faktoren im Kopf hat, muss sofort erkennen, dass es längst nicht für alle eine zuverlässige Datengrundlage geben kann! Eine ideale Ausgangslage, um irgendwelche “Ergebnisse” zurecht zu modellieren. Für meinen persönlichen Anteil an BAB Strecke komme ich aus eine Ersparnis von 2-4%. Viel mehr könnte man sparen, wenn die gigantischen Verbräuche im kalten Kurzstreckenverkehr vermieden würden, die obendrein der sicher frühe Tod der modernen verbrauchsoptimierten Motoren sind. (Nachhaltig???) Rad ,Tram E-Roller oder E-Mini Pkw und vor allen ein Verkehrsgeschehen so reguliert, dass man auch auf zwei Rädern eine Überlebenschance hat,das wäre die Lösung.. Politischer Mut, denkende Menschen, Wissen, das bräuchte man allerdings dafür. Den gibt leider nirgends, ist inzwischen für obsolet erklärt, verzichtbar, die Dummheit regiert.

A.Schröder / 07.02.2023

Wenn jeder gescheit wär wie im UBA, so mußt bald auf der Welt so viel Verstand sein, daß jeder Zweite davon ganz blöd wird.

jan blank / 07.02.2023

Besser als jedes Tempolimit: Private CO 2 Sparkreise!  Alt und jung treffen sich an zentralen Plätzen und halten gemeinsam für Minuten( besser Stunden) mal die Luft an.

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