Alexander Wendt / 03.06.2014 / 20:13 / 7 / Seite ausdrucken

Tod den Opfern!

Vor ein paar Tagen zeigte die ARD, dass sie entgegen der gängigen Wahrnehmung durchaus modern und auf der Höhe anderer Medien sendet. Ihr Tagesschau-Korrespondent Samuel Jackisch griff auf tagesschau.de unter allen amerikanischen Themen das brisanteste heraus und berichtete von dem „Hitler-Bus“, der durch Washington fahre. Bei dem Vehikel handelt es sich um einen Bus, bedruckt mit einem Foto von Adolf Hitler und Amin al Husseini, dem damaligen Großmufti von Jerusalem. Unter dem Slogan „Judenhass steht schon im Koran“ weist das Bus-Plakat auf die Tradition des Judenhasses im Islam hin, insbesondere auf die große Nähe von Islamismus und Nationalsozialismus. Die Gruppe, die die Busse bedrucken ließ, wirbt dafür, radikale Organisationen wie die Hamas nicht zu unterstützen. Nun macht tageschau.de allerdings nicht diese Unterstützung und nicht die Nähe von Islamismus und Naziideologie zum Thema, sondern das Plakat auf dem Bus. Das nämlich sei eine „anti-islamische Kampagne“ einer „islamfeindlichen Hassgruppierung“, denn es schüre selbstverständlich Hass, wenn jemand Hitler „beim gemütlichen Plausch mit dem arabischen Nationalisten Amin al Husseini“ (Tagesschau) zeige. Niemand, auch die Tagesschau nicht, leugnet, dass es sich bei dem gemütlich plauschenden Herrn -  genau so wie bei dem anderen - um einen glühenden Judenhasser handelte. Al Husseini hielt sich ab 1941 in Berlin auf, um mit Hitler bei einem guten alkoholfreien Getränk die Pläne für den Judenmord im nahen Osten nach dem Endsieg des Dritten Reiches zu besprechen. Niemand bestreitet, dass die Hamas selbstverständlich bis heute auf al Husseini schwört und sich nach Kräften bemüht, dessen damals zwangsweise abgebrochenes Programm doch noch umzusetzen. Gerd Buurmann hat den bemerkenswerten ARD-Beitrag schon unter tapferimnirgendwo.com rezensiert. Aber warum ist der Demokratieabgabensender damit so zeitgemäß?

Am Montagabend sendete Spiegel Online einen brandheißen Breaking News-Text über die jüngste Aggression des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu: „Netanjahu provoziert Abbas mit Selbstmordattentäter-Tweet.“ Noch bevor man sich fragen kann, wie ein Selbstmordattentäter-Tweet funktionieren soll, informiert SpOn weiter: „Blutrot ist der Grund“, also der Hintergrund des Netanjahu-Tweets. Im Vordergrund sieht der Betrachter Fotos von Hamas-Regierungschef Hanija und Palästinenserpräsident Abbas, und den Satz: „Meet President Abbas’ new partners: Hamas’ suicide bombers murdered hundreds of Israelis.“ Wie schon im Fall des Hitler-Husseini-Fotos leugnet niemand, dass Hamas-Selbstmordattentäter und Kassambrigadisten hunderte Juden in den Tod schickten, am wenigsten die Hamas selbst. Trotzdem richtet SpOn sein Sturmgeschütz auf Netanjahus Zwitschermeldung, die Altbekanntes nur noch einmal zusammengefasst, damit aber „provoziert“ und „diffamiert“. Und dann noch auf einem Displaygrund, der so blutrot leuchtet wie sonst nur der Beton des Busbahnhofes von Jerusalem nach einem Hamas-Attentat, das die Regierung im Gaza-Streifen wiederum mit der Verteilung von Süßigkeiten in den Straßen feiern lässt.

Warum warnen diese von einer Mission getriebenen deutschen Beobachter eigentlich so unermüdlich vor dem Hass, der Provokation, der Diffamierung? Fürchten sie, ein durch die ganzen Busfotos und Tweets zum Hass aufgestachelter jüdischer Extremist könnte in ein islamisches Museum laufen und vier Menschen niederschießen? Sollte das unwahrscheinlicherweise passieren, dann fiele die Berichterstattung mit Sicherheit anders aus als die über das Attentat des muslimischen Extremisten Mehdi N. im Jüdischen Museum in Brüssel. „Drei Tote bei Schießerei im Jüdischen Museum“, setzte die „Süddeutsche“ den Ton; die „Frankfurter Rundschau“ wusste ebenfalls von einer „Schießerei“. Die Tagesschau fasste bewährt zusammen: „Bei der Schießerei in dem nicht besonders gesicherten Museum waren am 24. Mai ein israelisches Paar und eine ehrenamtliche Mitarbeiterin aus Frankreich erschossen worden.“ Die Frage, welche Sturmgewehre oder wenigsten blutrote Tweets man bei der ehrenamtlichen und offenbar in einer Schießerei verwickelten Mitarbeiterin gefunden hatte, muss nicht weiter erörtert werden, da die Schuldfrage feststeht: Die Leute arbeiteten eben in einem ungesicherten Museum, beziehungsweise, sie kamen als Besucher. Da muss man sich nicht wundern, wenn ein namen- und religionsloser „29-jähriger Franzose“ (Frankfurter Rundschau) mit seiner AK 47 vorbeischaut.

In der Psychologie ist das Phänomen schon seit langem bekannt und mit einem Fachbegriff gelabelt: Victim blaming. Ein Opfer versetzt uns in psychischen Stress, und für diesen Stress möchten sich etliche Leute rächen.  Zumindest möchten sie die zudringliche Vorstellung eines Verbrechens abwehren. Wahrscheinlich ist jedem schon einmal der hochsympathische Zeitgenosse begegnet, der die Nachricht von einer Vergewaltigung mit der Frage kommentiert: Was hatte denn die Frau denn auch nachts in der Unterführung zu suchen?

Aber bei euch,  ihr Berichterstatter von Tagesschau, SpOn, Frankfurter Rundschau et al. liegt der Fall psychologisch etwas anders. Nämlich klarer.

Habt ihr schon einmal überlegt, woran es liegen könnte, dass ihr bei der bloßen Erwähnung von antisemitischen Verbrechen im Kreuz springt und Haken schlagt? Nein? Dann nehmt doch schon mal mit besten Grüßen eine neue und von ARD bis SpOn universal einsetzbare Headline entgegen: „Juden drohen mit Ermordetwerden.“

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Leserpost

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Kurt Davids / 05.06.2014

Eine absolut zutreffende Kritik an der leider sehr oft gedankenlosen Berichterstattung in vielen deutschen Leitmedien! Ich bin mir sicher das 80 Prozent der Leser an einer Überschrift mit den Worten: “Drei Tote bei Schießerei im Jüdischen Museum” überhaupt nichts Verletzendes oder sträflich Verkürztes auffällt. Das wird einfach so hingenommen weil es ja aus einer “seriösen” Quelle stammt. Die an den erwähnten Beispielen verdeutlichte Gedankenlosigkeit aber, diese Trägheit im Denken, dieses nicht verstehen wollen und nicht verstehen können - bildet letztlich immer wieder neuen fruchtbaren Boden für alte Stereotype und Verdächtigungen - ermöglicht neue Verschwörungstheorien, neue Ressentiments und andauernde Geschichtsfälschungen - wenn über den Staat Israel und die dort lebenden Menschen berichtet wird.

Ulrich Fischer / 04.06.2014

Etwas zugleich scham- und hirnloseres als den bundesdeutschen Medienmainstream hat die Menschheit selten erlebt. Einfach nur ekelhaft.

Martin Wessner / 04.06.2014

Nein, mit “Victim-Blaming” hat das wohl nur sekundär was zu tun. Eher was mit Parteilichkeit. Diese speziellen Medienmacher sind parteilich auf der Seite der (angeblich schwachen) Muslime, die sie (nach 9/11) vornehmlich als Opfer antiislamischer Ressentiments in der westlichen Welt sehen.  Und diese (vermeindlichen)Vorurteile möchte man offenbar mittels (s)einer tendentiösen Berichterstattung mindern, bzw. nicht nicht noch weiter schüren. Oder besser gesagt, diese meinungsmachenden Vormünder möchten, dass sich ihre lesenden, hörenden und sehenden Mündel keine Urteile über Muslime bilden, die ihnen nicht in ihren ideologischen Welterklärungs- und Freund_und_Feindschemakram passen. So wird eher ein Schuh draus.

Karl Helger / 04.06.2014

Herr Schneider, ein Superkommentar! Allerdings nicht der Kommentar an sich sondern als Anschauungsbeispiel für linken/liberalen Rassismus und impliziten Antisemitismus. Den unterstelle ich Ihnen nicht zwangsweise persönlich, Ihre Formulierung läßt auch den Schluß zu, daß Sie nur die Motivation Dritter ergründen wollen. Sie sagen, israelische Menschen - ich gehe im weiteren Teil davon aus, daß sie israelische Juden und nicht Muslime, Drusen oder Christen meinen - sind ein Teil derselben Wertegemeinschaft des Westens und von ihnen wird daher menschliches Verhalten erwartet. Die Judenmörder nennen sie verniedlicht “Kalashnikov-Schwinger”, die sinngemäß nicht derselben menschlichen Evolutionsstufe angehören (“Barbaren”), wie wir im Westen, also keine echten Menschen sein können. Was Sie damit ausführen ist, daß es sich bei den Gegnern der Juden nicht um “echte” Menschen handelt und folglich menschliche Maßstäbe nicht anzulegen sind. Dies ist erst einmal zutiefst rassistisch. Es gibt auch “Palästinenser”, die vom Islam austreten und gegen den Terror demonstrieren. Ich glaube daran, daß alle Menschen grundsätzlich gleich sind und sich selbst entscheiden, welche Moral sie verfolgen. Weiterhin ist es in sich antisemitisch: Sie haben erklärt, daß die Barbaren sich nicht helfen können und immer Juden umbringen werden, das liegt ihnen sozusagen im Blut. Jedoch dürfen sich die Juden nicht gegen die Barbaren verteidigen, die können ja nichts dafür. Während tausende Rakten auf jüdische Kindergärten, Schulen und Wohngebiete fliegen reagiert in D niemand der Mainstreammedien darauf, erst ein Angriff der Juden auf die palästinensischen Rakenstellungen bringen SPON und Tagesschau in Rage. Na, wenn die Barbaren immer angreifen dürfen und den Juden die Verteidigung untersagt ist, was passiert dann zwangsläufig? Genau!

Christian Weyland / 04.06.2014

@ Thilo Schneider Abgesehen davon, dass ich diese Theorie für eine recht exklusive Sicht der Dinge halte, wäre eine solche “Erwartungshaltung” ebenfalls rassistisch. In mehrerer Hinsicht. Und dumm allemal. Es müsste schon eine erhebliche Impertinenz, Ignoranz und Borniertheit bei unseren “Eliten” und “Qualitätsmedien” vorliegen, um die Situation Israels nicht als eine vollkommen andere als diejenige zB Österreichs zu begreifen und angesichts demnächst 70 Jahre andauernder Bedrohung in jeder Situation von Israel ein ausschließlich duldsames Verhalten zu erwarten.. Allerdings mangelt es gerade den MSM an den drei genannten Eigenschaften nicht sonderlich. Insofern…

Thilo Schneider / 03.06.2014

Der Grund dürfte nicht in irgendeinem diffusen Antisemitismus liegen, sondern könnte(!) auch der sein, dass die westliche Gesellschaft Israel eben als Teil dieser Gesellschaft wahrnimmt und da eben von den Politikern ein “zivilisierteres” Auftreten erwartet als von den Kalashnikov-Schwingern, von denen man sowieso nur Barbarei kennt.

Dr.Karl Landscheidt / 03.06.2014

Ich bin sprach- und fassungslos! Danke für den Artikel. Ich hoffe, dass ihn die entsprechenden Redaktionen wenigstens zur Kenntnis nehmen - obwohl ich das bei der selbstgerechten Arroganz von Prechtl und Co bezweifle.

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