Frank Stern
Kein Augstein, kein Terror, kein Klima – dafür eine Reise auf eine merkwürdige Insel am anderen Ende der Welt.
Auf der anderen Seite des D’Entrecasteaux-Kanals liegt Bruny Island, die Insel vor der Insel. So groß wie Singapur, das seine fünf Millionen Einwohner in zahllosen Hochhäusern schichtet, leben auf Bruny Island ganze 650 Menschen. Wenn’s hoch kommt. Um dorthin zu gelangen, muss man von Kettering aus mit der Fähre übersetzen. Häufig begleiten Delphine das Schiff auf der 15 Minuten dauernden Überfahrt, wird uns gesagt, doch außer einem müden Seehund, der in einiger Entfernung mit seiner Flosse aufs Wasser patscht, lässt sich kein Meeressäuger blicken.
Drüben angekommen, fahren wir Richtung Süd-Bruny und passieren The Neck, den Hals, einen schmalen Landstreifen, der die kleinere Nordinsel mit dem Südteil verbindet. Während der Brutsaison im Sommer ziehen an diesem Abschnitt Pinguine ihren Nachwuchs auf. Eine Holztreppe in der Mitte der Landenge führt über 237 Stufen hinauf zu einer Aussichtsplattform, von der man einen großartigen Blick auf die Adenture Bay mit ihrem 24 Kilometer langen Sandstrand hat. Oder haben könnte. Wir erkennen in dem Nebel kaum den Anfang der Treppe. Oben steht ein Gedenkstein für Truganini, die als die letzte reinblütige Ureinwohnerin Tasmaniens in die Geschichte eingegangen ist. Geboren auf Bruny Island starb sie 1876 mit 64 Jahren in Hobart.
Als 17-Jährige hatte sie miterlebt, wie ihre Mutter von Walfängern erstochen wurde. Ihre beiden Schwestern wurden entführt, ihr Bruder von entlaufenen Sträflingen umgebracht. Und auch ihr Verlobter überlebte die Invasion der Weißen nicht. Holzfäller hackten ihm die Hände ab und warfen ihn ins Meer. Anschließend machten sie sich über die junge Braut her. Truganini hatte immer befürchtet, dass die Weißen ihren Körper nach ihrem Tod verstümmeln könnten. „Sorgt dafür, dass sie mich nicht zerstückeln“, bat sie noch auf dem Totenbett. 1878 wurde ihre Leiche für wissenschaftliche Untersuchungen exhumiert und ihr Skelett später im Tasmanian Museum in Hobart öffentlich ausgestellt. Erst hundert Jahre nach ihrem Tod wurden ihre sterblichen Überreste verbrannt und die Asche im D’Entrecasteaux-Kanal verstreut.
Wir fahren die Küstenstraße an der Adventure Bay entlang, in der sich einmal die Creme der großen Seefahrer und Entdecker die Klinke in die Hand gegeben hat. 1777 machte auch James Cook in der Bucht Station, um anschließend seinem Tod auf Hawaii entgegenzusegeln. Mit an Bord war William Bligh, der elf Jahre später als Kapitän der Bounty hier erneut vor Anker ging. Bligh pflanzte die ersten Apfelbäume auf tasmanischem Boden und trieb seine Mannschaft ein paar Monate darauf zur berühmten Meuterei.
Seit 1954 gibt es direkt an der Küstenstraße ein Bligh-Museum, gebaut aus 26.000 Mauerziegeln, die 1846 von Sträflingen für den Bau einer Kirche hergestellt worden waren. Einige von ihnen haben sich mit Daumenabdrücken in den Ziegeln verewigt, die noch heute gut zu erkennen sind. Das wichtigste Ausstellungsstück aber erinnert nicht an den unglückseligen Bligh, sondern an James Cook. Bei dem Holzstumpf, der im Museum ausgestellt ist, soll es sich um einen Teil jenes Baums handeln, in dem sich Cook 1777 mit Namen und Datum seiner Ankunft verewigt haben soll. Die Inschrift ist allerdings verschwunden.
Wir fahren ein Stück weiter die Straße runter zu der Stelle, an der der Baum einst gestanden haben soll. Ein Monument erinnert dort heute an die Landung des Entdeckers. Und dann sehen wir es. Gegenüber auf der anderen Straßenseite zupft ein weißes Känguru Gras, von dem wir später von Google erfahren, dass es sich um die seltene Albinoversion eines Bennett-Wallabys handelt. Ein brauner Artgenosse überwacht das Ganze. Allein deswegen hat sich der Ausflug zur Adventure Bay gelohnt.
Im vierten und letzten Teil erfahren wir, warum Raucher ein Segen sind, was Wallabys auf Chutney machen und wie es um die Geister von Port Arthur bestellt ist.
Dr. Frank Stern ist Journalist mit Themen-Schwerpunkt Asien-Pazifik.