In der IVW-Liste der meistgenutzten, nun ja, Nachrichtenportale stehen regelmäßig drei Online-Produkte auf dem Treppchen. Unangefochtene Nummer eins ist bild.de, das Fußballverrückte, Promiklatschsüchtige, Sozialneidhammel sowie Titten- und Leichenschaulustige solide bedient.
Mit erheblichem Abstand folgt spiegel.de, das neben anderen Lesefrüchten einen kostenfreien Blick auf den Stand der politischen Gagaisierung ermöglicht. Dank einer erlesenen Riege von Borderline-Kolumnisten wie Diez, Stokowski, Augstein sowie einer Schriftstellerin, die neulich eine Schutzstaffel aus „jungen Menschen von der Antifa“ gegen „Rechte“ herbeisehnte. Ignazio Silone muss Sybille Berg auf geheimnisvolle Weise antizipiert haben.
Klickmäßig nicht gar so weit hinter Spiegel online liegt Focus online. Eine journalistische Resterampe aus besinnungsloser Fremdtexteschrubberei und Mainstreambesoffenheit, durchzogen von wirklich alldoofstem Clickbaiting. Ein Portal wie ein Tritt in den Hintern. Nämlich in den von Focus-Printredakteuren, welchen dann und wann doch mal (behaupte jedenfalls ich) ein in Teilen lesbares Blatt gelingt.
Von den drei Reichweitensiegern wird im Justemilieu allein spiegel.de als seriös empfunden. Die Website existiert seit 1994, als andere Verlagshäuser noch vom ewig rauschenden Blätterwald träumten und den Trend zum Digitalen verpennten. Spon wurde ziemlich schnell profitabel.
Nie haben faz.net, sz-online, zeit.de oder welt.de es vermocht, auch nur in die Reichweitennähe von Spon zu gelangen. Jahr für Jahr sinkt die verkaufte Auflage des gedruckten Spiegel, während seine Digitaltochter zulegt oder wenigstens stabil bleibt. Spon ist eine Erfolgsgeschichte.
Wie das Portal dies geschafft hat? Nun, mit konsequenter Haltung. Dafür genügt es nicht, sich einfach dem Zeitgeist an den Hals zu schmeißen. Es kommt darauf an, jede Menge Vielfaltspinsel auf einer einzigen Plattform zu versammeln. Anständige, die sich etwas anderes als eine vielfältige beziehungsweise bunte respektive offene und selbstredend nachhaltige Welt überhaupt nicht mehr vorzustellen vermögen, weil ihnen von der Kita an die passende Denke eingeimpft wurde. Und weil ihnen spätestens in Journalistenzurichtungsanstalten wie der „Henri-Nannen-Schule“ dämmerte, dass ohne die aktuell angesagte Haltung keinem eine große Zukunft auf dem Markt der Medienschaffenden winkt. Wie diese Haltung auszusehen hat, regelt im Zweifelsfall die Zivilgesellschaft, also known as Bertelsmann-Stiftung.
Eine hoffnungsvolle Nachwuchskraft
Zu welch feinabgestimmter Haltungssteuerung der online-Schurnalismus imstande ist, zeigte jüngst das Spon-Stück „Wenn die Stimmung kippt“. Es spielt in Salzgitter, wo die AfD bei der jüngsten Landtagswahl sehr gut (13,7 Prozent; Landesdurchschnitt: 6,2 Prozent) abgeschnitten hat.
Eine hoffnungsvolle Spon-Nachwuchskraft namens Anna-Sophie hat sich dort umgeschaut. Sie eröffnet ihr Stück mit einer Behauptung, deren Substanz irgendwo zwischen steile These und gnädiger Selbstbeschiss liegt: "Multikulti – darauf waren sie stolz in Salzgitter."
Natürlich sind sie nicht stolz auf Multikulti. Sie, die 100.000 Einwohner von Salzgitter, wurden nie gefragt, was sie davon halten. Fest steht lediglich, dass in der finanziell chronisch klammen Arbeitslosenhochburg (11,2 Prozent im Januar 2017) jeder Dritte einen Migrationshintergrund hat. Das war schon vor Merkels Grenzöffnung so. Biodeutsche und Zugezogene (hauptsächlich Türkischstämmige) lebten parallelgesellschaftlich vor sich hin, wie in vielen anderen Städten auch. Massive Konflikte gab es in der Vergangenheit ebenso wenig wie kuscheliges Fraternisieren. Salzgitter ist sowieso ein Ort, wo einer aus Hamburg oder München nicht tot überm Zaun hängen möchte. Anna-Sophie weiß jedoch: "Multikulti wird hier gelebt, das sagen sie in Salzgitter."
Sie nun wieder. Leider möchte die Spon-Autorin partout nicht verraten, wer genau dieses famose Kollektiv bildet. Vielleicht handelt es sich dabei um Dincer D., ein Deutschtürke, den der Artikel als unerschrockenen „Integrationslotsen“ vorstellt? Oder um eine bemerkenswerte alte Dame namens Anne-Rose K., die zusammen mit ihrem Mann einen „Integrationspreis“ bekommen hat, weil sie sich um Migranten kümmert? Allumfassend dürfte der Support für Multikulti in Salzgitter nicht sein. Anna-Sophie schreibt korrekt:
"Dann kamen so viele Flüchtlinge wie nirgends in Niedersachsen, das Land verhängte einen Zuzugsstopp. Und die AfD holte ihr bestes Ergebnis bei der Wahl."
Fast alle der Neuankömmlinge sind Syrer, überwiegend Männer zwischen 18 und 35 Jahren. Kaum jemand von ihnen hat einen regulären Job gesucht oder gefunden. Nicht wenige sind Analphabeten, 90 Prozent leben von staatlichen Transferleistungen. Die Zahl der Gewalttaten steigt in Salzgitter. Im Stadtpark oder am City-Carree tun sich öfters die allfälligen Jugendlichen zwecks Revierkämpfen zusammen (vorzugsweise Syrer gegen Türken), wie die Polizei erstaunlich offen verlauten ließ.
Läuft doch wie geschmiert!
Davon erfährt man nichts auf Spon, doch anderenorts, zum Beispiel auf welt.de . Spon lässt lieber eine Sprecherin der Stadt sanft einräumen,„dass mehr junge Männer in Gruppen unterwegs seien“, was das „subjektive Sicherheitsgefühl“ verändert habe. Ferner seien auch mehr Menschen unterwegs, „die sich anders anziehen, als man es gewohnt sei“. Subtext: alles nicht so schlimm. Leider machen sich besorgte Bürger gleich in die Hose, wenn ihnen erlebnisorientierte Pulks im Park begegnen.
°Und die AfD holte ihr bestes Ergebnis bei der Wahl."
Wie kann das bloß angehen? Dabei hat das hochverschuldete Salzgitter neben 5,6 Millionen Euro als „Soforthilfe für Schulen-Sozialprojekte“ kürzlich auch noch 20 Millionen Euro für „Integrationsarbeit“ erhalten, die sich die Stadt allerdings mit den Multikultimagneten Wilhelmshaven und Delmenhorst teilen muss. Von dem Geld können weitere Integrationspreise ausgelobt und neue Integrationslotsen angestellt werden. Läuft doch wie geschmiert!
"Warum Salzgitter?", fragt Anna-Sophie daher, erschüttert von den Wahlergebnissen.Zur Lösung des Rätsels ist sie auch in den Stadtteil Fredenberg gefahren, "wo traditionell besonders viele Menschen mit ausländischen Wurzeln wohnen".
Ein Highlight des angewandten Haltungsjournalismus
Manche in Salzgitter schmähen Fredenberg, wie auch den Stadtteil Lebenstedt, als asoziale Brennpunkte. Als Ghettos für Zugereiste, die unter sich bleiben wollen, null Bock auf Kartoffeln haben und dem Integrationslotsen eine Nase drehen. Solche Sprüche klopfen wahrscheinlich Menschen vom Schlage einer Fredenberger Bäckerin, die vor den aufgestellten Ohren von Anna-Sophie
"hinter der Theke schimpft. ’Mein Sohn geht nur noch mit Bauchschmerzen in die Schule’, ruft sie, ‚verprügelt wird er, jeden Tag. Von syrischen Kindern.’ Am Vortag war Elternabend in der Grundschule, erzählt sie. Da sei gesagt worden, behauptet sie, dass es dieses Jahr keinen Laternenumzug geben soll und keine Weihnachtsfeier. ‚Weil zu wenig deutsche Kinder in der Klasse sind.’"
Hier ist in wenigen Sätzen ein Highlight des angewandten Haltungsjournalismus zu bewundern, das als leuchtendes Exempel in jede zeitgemäße Journalistenschmiede gehört. Also, der Leser wird mit einer offenbar unbelehrbaren Multikulti-Feindin bekannt gemacht, deren Argumente freilich durch die eloquente Schreibe der Autorin implizit widerlegt werden. Denn diese Frau „schimpft“, „ruft“, „erzählt“ und „behauptet“. Sie prangert nicht etwa an oder sagt oder berichtet etwas.
Zusammen mit Konjunktivkonstruktionen („da sei gesagt worden“) ergibt sich das Bild einer irgendwie suspekten Person, die mutmaßlich grob übertreibt, wenn nicht sogar schwindelt. Strafverschärfend kommt später im Lauftext noch raus, dass die Bäckerin laut eigener Bekundung AfD gewählt hätte, wäre sie zur Wahl gegangen. Wahrscheinlich backt sie tiefbraune Brötchen.
Die Risikokategorie „totrecherchieren“
Bitte verzichten Sie jetzt auf billige Einwände wie den, ein kurzer Anruf der Spon-Autorin bei der Schule hätte womöglich geklärt, ob es nun Laternenumzug, Weihnachtsfeier oder nix von beidem geben wird. Das ist kleinlich. Solches Verhalten fällt im Journojargon in die Risikokategorie „totrecherchieren“. Von allen Todsünden deutscher Mediengewerbetreibender ist das die Ärgste.
Der Schluss des Artikels bietet noch mal ganz großes Kopfkino. Angst über der Stadt! Der altböse Feind hat sich angeschlichen. Groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist:
Da ist es wieder, das Bild von der Multikulti-Stadt. Es ist verrutscht in den letzten Monaten. Seit dem vergangenen Sonntag noch mehr. Da sind plötzlich diese 13,7 Prozent, von denen keiner weiß, wer sie wirklich sind. Sie wabern über dieser Stadt, die doch eigentlich ganz anders sein will.
Ja, Haltungsjournalismus benötigt ein warmes Herz, nicht kalten Verstand. Wenn Sie das nächste Mal auf Spon gehen, denken Sie dran: 19 Millionen Nutzer können nicht irren. Und damit geben wir zurück zur Claudi.