Thomas Rietzschel / 05.03.2017 / 13:30 / 11 / Seite ausdrucken

Martin Schulz und die Schande der Republik

Es geht los. Die Masken fallen. Der schmutzige Wahlkampf hat begonnen. Eröffnet wurde die Schlammschlacht von Martin Schulz. Die AfD, sagte er gestern in Würzburg, sei „eine Schande für die Bundesrepublik“. Originell war das nicht, vielmehr geklaut von Wolfgang Schäuble, der die Partei bereits Anfang vorigen Jahres als eine „Schande für Deutschland“ brandmarkte. Genützt hat das schon damals wenig. Die neue Partei nahm den alten weiterhin Stimmen, machte ihnen Wähler abspenstig, die sie seit Jahr und Tag wie ihre Leibeignen behandelten: Arbeiter und Unternehmer, Freiberufler, Lehrer, Professoren und Offiziere, auch Wirrköpfe und Spinner, sinistre Gestalten, die anderswo keinen Ankratz fanden.

Ein Aufstieg, der nicht folgenlos blieb. Unterdessen sitzt die AfD in zahlreichen Rathäusern sowie in zehn Landtagen; und demnächst wird sie wohl nicht nur mit einer Hand voll von Abgeordneten in den Deutschen Bundestag einziehen. Keine Umfrage, der zufolge sie nicht mehr Stimmen bekäme als Bündnis 90/Die Grünen. Zu schweigen von der FDP oder der Linken. Hinter der „Schande für die Bundesrepublik“ stehen mehr wahlberechtigte Bürger als hinter Cem Özdemir, Claudia Roth, Katja Kipping oder Christian Lindner.

Zu Ende gedacht heißt das, bei der jüngsten, nicht eben sachlichen Abqualifizierung der AfD durch Martin Schulz, läuft es abermals auf die Diffamierung eines großen Teils der deutschen Bevölkerung hinaus. Was immer man von der Partei halten mag, von ihrem politischen Dilettantismus, von der Großmäuligkeit einzelner Funktionäre und von den rhetorischen Entgleisungen, damit, dass die politischen Gegner sie als eine „Schande“ für das Land abkanzeln, erweisen sie der demokratischen Kultur eine Bärendienst. Der Vorwurf der Schande fällt auf sie selbst zurück, wenn sie zwanghaft mit Kanonen auf Spatzen schießen.

Merkel hat Erdogan inspiriert

Oder welchen Schaden hat die AfD bisher tatsächlich angerichtet, außer dass sie Stimmen gewinnt, die die anderen für sich beanspruchen? Weder hat sie eine wirtschaftlich ruinöse Energiewende par ordre du mufti durchgesetzt, noch hat sie eine Grenzöffnung veranlasst, durch die die Bundesrepublik Deutschland in die größte innenpolitische Krise seit ihrer Gründung geraten ist. Auch hat Frauke Petry nie auf dem goldenen Thronsessel neben Recep Tayyip Erdogan Platz genommen, so dass der Autokrat auf die Idee kommen konnte, Deutschland als Aufmarschgebiet für seinen Kampf gegen die Demokratie am Bosporus zu nutzen. Auf diesen Gedanken musste ihn erst Angela Merkel bringen, versehentlich, mag sein.

Die Bundeskanzlerin deshalb als eine „Schande für die Bundesrepublik“ anzuschwärzen, würde Martin Schulz wahrscheinlich nicht einmal im Traum einfallen. Da wahrt er die Regeln des Anstands, wie es sich gehört. Außerdem könnte man ja bald wieder aufeinander angewiesen sein, bei den Koalitionsverhandlungen im kommenden Herbst.

Ein Partei, die hier dazwischen zu funken droht, weil sie über zehn Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigt, was wiederum die gewohnten Mehrheitsverhältnisse unabsehbar verschieben würde, eine solche Partei hat von vornherein die bunte Koalition des politischen Establishments gegen sich. In der Hoffnung, dass sich die Wähler wieder von ihr abwenden, wird sie nach Kräften mit Unflat beworfen, ganz egal, wofür sie stehen mag.

Das ist der Beginn eines schmutzigen Wahlkampfs, eine Schande für die deutsche Demokratie. 

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Karla Kuhn / 05.03.2017

” In der Hoffnung, dass sich die Wähler wieder von ihr abwenden, wird sie nach Kräften mit Unflat beworfen, ganz egal, wofür sie stehen mag. Das ist der Beginn eines schmutzigen Wahlkampfs, eine Schande für die deutsche Demokratie. ” Herr Rietzschel, danke für Ihren hervorragenden Beitrag. Hat sich Schulz mit dieser Äußerung selber gemeint ??  Die Menschen, die ich kenne und die ganzen offen zur AfD stehen aber auch die, die es noch !! heimlich tun, sind Intellektuelle, Journalisten, Facharbeiter. Meister, Rentner, Beamte, Künstler, zum großen Teil ehemalige CDU,SPD und Grüne Wähler. Die lassen sich von Schulz nicht beleidigen und gleich gar nicht bekehren. Über diesen Mann kann ich nur noch mitleidig lächeln.

Gunther Bartelt / 05.03.2017

Einigen wir uns auf die Formulierung: Martin Schulz, Angela Merkel, die Bundesregierung und die aktuelle parlamentarische Opposition sind “eine Schande für die Demokratie”! BTW - alle gerade genannten ‘Musterdemokraten’ haben Donald Trump auf übelste Art und Weise geschmäht. Das gilt auch für deutsche MSM. Auch das ist eine Schande - für die Presse. All das wird uns noch übel auf die Füße fallen…

uwe peters / 05.03.2017

Na immerhin hat er nicht gesagt “schande für das land wo hier wohnen”

Simone Robertson / 05.03.2017

Die eigentliche Schande ist, dass man mittlerweile alles, wogegen die Etablierten wettern, als Empfehlung sehen muss.

Wolfgang Richter / 05.03.2017

Wo die “Schanden”  für Dld. tatsächlich zu suchen sind, zeigt sich beispielsweise, wenn eine Bundestagsvize hinter Plakaten “Deutschland ist Scheiße” oder “Deutschland verrecke” her läuft.

Eric Galland / 05.03.2017

Man sollte einmal einen Blick in das Wahlprogramm der AFD werfen. Nicht alles, was es dort zu lesen gibt, gefällt. Aber eines, was seinerzeit in 2002 im Wahlprogramm von CDU und CSU stand, nämlich die Ablehnung der von Rot-Grün betriebene Umgestaltung in eine multikulturelle Einwanderergesellschaft , findet sich im AFD-Wahlprogramm wieder. Ein großes Anliegen der Bürger in Deutschland, will dieses nicht den Weg einiger anderer Länder in Europa gehen, wo der gesellschaftliche Transformationsprozess schon weiter fortgeschrittenen ist. Und gerade Herr Schulz, der von Brüssel aus intensiv die Auflösung der Nationalstaaten betrieben hat und die Umverteilung der Volkseinkommen anstrebt, soll es jetzt für Deutschland richten. Geradezu absurd ist dies.

Theo Klar / 05.03.2017

Was für ein Gefühl, als deutscher Bürger, der sich ein Leben lang nichts hat zuschulden kommen lassen, jahrzehntelang Kinder erzogen und Steuern gezahlt hat, jetzt zur “Schande für Deutschland” erklärt zu werden, und das nur, weil man den gescheiterten Regierenden und ihren Spießgesellen nicht mehr vertraut und sich eine deutlich andere Regierung wünscht… Im Herbst gibt’s dafür hoffentlich die Quittung!

Lara Engelhardt / 05.03.2017

Daran sieht man, wie ehrlich es Schulz mit seinem “Fairness”-Statement für den Wahlkampf gemeint hat. Dieser Stil passt sehr gut zu demjenigen, für den er im EU-Parlament auch schon mehrmals der Eigenschaften eines potentieller KZ-Wächters bezichtigt wurde. Ein zwar nicht feiner Vorwurf, der im übrigen KZ-Wächter auch verharmlost, der aber dem Stil, den Schulz mitunter pflegt, durchaus gerecht wird. Die AfD muss das nicht jucken. Die kriegt gerade wieder neuen Wind in die Segel, durch das feige Wegducken Merkels in der Türkei-Wahlkampfkrise.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Thomas Rietzschel / 17.06.2023 / 15:00 / 12

Kaube weiß, was Habeck mit Börne verbindet

Vor einer Woche wurde der Börne-Preis für Essays, Kritik und Reportage an Wirtschaftsminister Robert Habeck verliehen, in der Frankfurter Paulskirche. Man muss schon eine Weile…/ mehr

Thomas Rietzschel / 22.03.2023 / 16:00 / 24

Der beleidigte Lauterbach

Karl Lauterbach, Gesundheitsminister im Kabinett von Olaf Scholz, hat viel an Ansehen verloren. Aber er vertraut sich selbst noch immer, wie einst der nackte Kaiser,…/ mehr

Thomas Rietzschel / 23.01.2023 / 16:00 / 56

Sag mir, wo die Panzer sind, wo sind sie geblieben?

Erinnern Sie sich an Peter Struck, den letzten Bundesminister für Verteidigung, der – mit Verlaub – noch einen Arsch in der Hose hatte? Weil er die…/ mehr

Thomas Rietzschel / 20.12.2022 / 12:00 / 52

Wann kommt die Fahrrad-Steuer?

Warum müssen die Halter von Kraftfahrzeugen KfZ-Steuer zahlen, indes die Radler das öffentliche Straßennetz unentgeltlich nutzen dürfen, es mehr und mehr für sich beanspruchen, zunehmend…/ mehr

Thomas Rietzschel / 23.11.2022 / 16:00 / 24

Im neuen marxistischen Kapitalismus

Möchte der Staat die Bedeutung der Arbeit mit der Höhe seiner Sozialleistungen ausstechen, um den freien Bürger zum betreuten Mündel herabzusetzen? Mit der „wohltätigen“ Diskreditierung…/ mehr

Thomas Rietzschel / 04.11.2022 / 14:30 / 67

Lauterbach im Taumel der Macht

Was er seit seiner Berufung zum Minister veranlasst und ausgeführt hat, ist nicht mehr als die tolldreiste Posse eines Narren, der im Wahn seiner Macht…/ mehr

Thomas Rietzschel / 28.09.2022 / 16:00 / 43

Mehr Licht!

Nach der Umweltverschmutzung im Allgemeinen und der Luftverschmutzung im Besonderen haben sich die Klimabewegten von Thunberg und Neubauer bis zu den Geistesgestörten, die sich auf Autobahnen…/ mehr

Thomas Rietzschel / 25.09.2022 / 13:00 / 35

Vom heißen Herbst kalt erwischt

Die Angst geht um in den deutschen Regierungsbezirken, die Angst vor einem „heißen Herbst“. „Natürlich“, so tönt aus allen Amtsstuben, aus dem Kanzleramt sowie aus…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com