Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 17.01.2013 / 23:29 / 0 / Seite ausdrucken

Langweilig und farblos: Merkel kommt den deutschen Neigungen entgegen

Zu meiner Überraschung fragen mich Leser dieser Kolumne oft: Wer wird die diesjährigen Wahlen zum deutschen Bundestag gewinnen? Ich finde es deshalb so überraschend, weil das Ergebnis nur rund neun Monate vor dem Wahltag bereits ausgemachte Sache zu sein scheint.

Wenn nicht gerade eine Naturkatastrophe oder eine Invasion vom Mars dazwischen kommt, wird Angela Merkel wieder zur Kanzlerin gewählt werden. Es bleiben nur zwei Fragen: Mit wem wird sie regieren? Und was wird sie in ihrer dritten Amtszeit eigentlich tun?

Die Antwort auf die erste Frage spielt keine besondere Rolle. Die Antwort auf die zweite ist: „Nicht viel“.

Letzte Woche gab das ZDF die Umfragewerte aus seinem neuesten Politbarometer bekannt. Die Ergebnisse waren verblüffend. Erstens war Merkel Deutschlands beliebteste Politikerin und ließ dabei jeden potenziellen Konkurrenten meilenweit hinter sich. Zweitens hatte sie zudem einen Vorsprung von 40 Prozent vor dem sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten, dem früheren Finanzminister Peer Steinbrück. Auffallend war, dass selbst Anhänger der postkommunistischen „Die Linke“ die rechts von der Mitte stehende Merkel ihrem Mitte-Links-Gegner vorzogen. Drittens erzielte Merkels CDU/CSU mit 42 Prozent ihr bestes Umfrageergebnis seit fünf Jahren.

Nach mehr als sieben Jahren in dieser Spitzenposition und in einer Wirtschaftskrise so beliebt zu bleiben, ist durchaus ein Erfolg. Das liegt sowohl an Merkels Regierungsstil als auch an der Schwäche der Opposition.

Wenn Charisma der Schlüssel zum Wahlerfolg ist, so stellt Merkel die lebende Ausnahme von der Regel dar. Sie ist zweifelsohne nicht die weltbeste Rednerin. Auch ist sie nicht gerade für kreative Politikgestaltung bekannt. Ihre Positionen und Grundüberzeugungen bleiben oft nebulös. Sie setzt keine allgemeinen Diskussionen in Gang und lässt sich möglichst wenig in der Öffentlichkeit sehen - um dann Stellung zu nehmen, wenn die Debatten schon fast abgeebbt und entschieden sind.

Es ist auch nicht die Privatperson Angela Merkel, von der die Wähler fasziniert sind. Über ihr Familienleben ist kaum etwas bekannt und das Wenige, was wir wissen, lässt vermuten, dass Merkel genauso bodenständig ist, wie sie sich darstellt. Ihr Ehemann, der namhafte Chemieprofessor Joachim Sauer, bleibt fast vollkommen unsichtbar und zeigt sich nur einmal im Jahr zusammen mit Merkel in der Öffentlichkeit - bei den Bayreuther Festspielen. Das hat ihm sogar den Spitznamen „Das Phantom der Oper“ eingebracht.

Deutsche Wähler haben Grund, sich über ihre Regierung zu ärgern. Die Zusagen Deutschlands an andere Volkswirtschaften in der Eurozone sind enorm, Merkels politische Entscheidungen zugunsten erneuerbarer Energien haben die Strompreise in die Höhe getrieben, und ihr Versprechen, das komplizierte deutsche Steuerrecht zu vereinfachen, hat sie immer noch nicht gehalten.

Blickt man jedoch auf die Meinungsumfragen, scheint das alles nicht zu zählen. Statt sich auf die tatsächlichen Erfolge ihrer Regierung zu konzentrieren, bewerten die Wähler Merkels unprätentiösen Stil. Sie wirkt nicht wie die typischen Politiker, die man so kennt, weil sie natürlich, nicht von der Macht korrumpiert und beruhigend langweilig klingt und aussieht. Offenbar hat sie mit ihrem im Prinzip unpolitischen Stil Sympathien bei den Wählern geweckt, so merkwürdig das auch klingen mag.

Ihr sozialdemokratischer Konkurrent Steinbrück versuchte mit genau dem entgegengesetzten Verhalten, Merkel herauszufordern. Er scheut die Kontroverse nicht und sagt offen, was er denkt, selbst wenn er wissen müsste, dass seine Positionen unpopulär sind. So ließ er beispielsweise verlauten, deutsche Bundeskanzler seien im Vergleich zu anderen Ämtern im öffentlichen Dienst unterbezahlt. Das ist vielleicht nicht einmal falsch, doch da Steinbrück gerade zuvor versucht hatte, seine enorm hohen Honorare als Vortragsredner zu rechtfertigen, verstärkte es nur die allgemeine Wahrnehmung, er sei ausschließlich des Geldes wegen in der Politik.

Mit dieser Unverblümtheit hat Steinbrück lediglich Merkels Bescheidenheit unterstrichen. Neben Steinbrücks offenkundigem Interesse an Macht und Geld wirkte Merkel noch entrückter, noch „heiliger“. Merkels Sprecher kommentierte Steinbrücks Bemerkungen lediglich mit dem Satz, die Kanzlerin habe sich in ihrem Amt nie unterbezahlt gefühlt.

Dank ihrer unglaublichen Beliebtheit dürften Angela Merkel und ihre Christdemokraten problemlos als stärkste Partei aus den Bundestagswahlen hervorgehen. Sie wird voraussichtlich einen Vorsprung von mehr als 10 Prozentpunkten gegenüber den Sozialdemokraten erzielen.

Ein solches Ergebnis wäre nahezu eine Garantie dafür, dass Merkel auch an der Spitze der nächsten deutschen Regierung stehen wird. Wegen des Verhältniswahlrechts wird sie jedoch einen Koalitionspartner benötigen - und hier dürfte sie aus heutiger Sicht mehrere Möglichkeiten haben. Sollte es die liberale FDP ins Parlament schaffen, könnte Merkel ihre derzeitige Koalitionsregierung fortsetzen. Andernfalls könnte sie eine neue „Große Koalition“ ins Auge fassen. Merkel hatte zwischen 2005 und 2009 schon einmal in einer solchen Konstellation regiert.

Es besteht auch noch eine sehr geringe Chance, dass sie eine Koalition mit den Grünen eingehen könnte. Die großen ideologischen Differenzen zwischen ihnen und Merkels Christdemokraten gehören der Vergangenheit an - wenn also die Wahlarithmetik ein solches Ergebnis erforderlich macht, dürfte Merkel keine Schwierigkeiten haben, auch mit ihnen zu regieren.

Realistisch betrachtet, sind dies die drei möglichen Koalitionen nach der Wahl, jedoch würden alle von Merkel geführt werden. Nach ihren ersten beiden Koalitionen und ihren ersten sieben Jahren als Kanzlerin zu urteilen, spielt es eigentlich keine Rolle, mit wem sie regiert. Sie wird sie selbst bleiben – die präsidiale, sachliche, ruhige und reaktive Politikerin, die sie ist und die von den Wählern offensichtlich geschätzt wird.

Für die Politik in Deutschland und Europa bedeutet das jedoch, dass wir keine großen Würfe oder gar radikale Entscheidungen erwarten sollten. Das europäische Herumtrödeln, Abwälzen von Verantwortung und Schlafwandeln passt perfekt zu Merkels persönlichen Neigungen.

Für alle, die mich nun immer noch nach dem Ausgang der Bundestagswahlen fragen, will ich es so zusammenfassen: Es wird der langweiligste Wahlkampf mit dem berechenbarsten Ergebnis werden, das Sie sich vorstellen können.

Natürlich nur, wenn nicht die Eurokrise plötzlich erneut ausbricht und Merkel endlich zu einer Entscheidung zwingt. 

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative.

‘Drab and dull Merkel will spark German mania’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 17. Januar 2013. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).

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