Thomas Petersen / 24.05.2013 / 09:28 / 0 / Seite ausdrucken

Klopfzeichen aus der Welt der Sozialwissenschaften (Folge 14)

Was Framing mit journalistischer Ethik zu tun hat

Es ist vielleicht nicht gut, sich in einem Blogbeitrag, in dem es um eigentlich zeitlose sozialwissenschaftliche Methoden und Fragestellungen gehen soll, mit aktuellen öffentlichen Auseinandersetzungen zu befassen, an denen man auch noch selbst beteiligt ist, aber manchmal ist es wohl doch notwendig, und die Ereignisse, die unten beschrieben werden, eignen sich dafür, das psychologische Prinzip des „Framings“ zu erläutern, das in der Kommunikationsforschung mit Recht eine große Rolle spielt.

Der Begriff „Framing“ mag auf den ersten Blick etwas blutleer klingen, wie viele aus dem Englischen entlehnte Fachbegriffe, deren Bedeutung sich allein schon wegen der Sprachbarriere nicht intuitiv erschließt, doch er beschreibt etwas sehr Wesentliches, nämlich den Bezugsrahmen, den Menschen unbewusst in ihrem Hinterkopf aufbauen, und in den neue Informationen einsortiert werden. Passt eine neue Information in den bereits vorhandenen Bezugsrahmen, wird sie leicht ins Gedächtnis eingefügt. Passt sie nicht hinein, wird sie leichter wieder verworfen. Wird ein Frame durch ein starkes, einprägsames Ereignis einmal aktiviert, werden auch nachfolgende Informationen unter dem Eindruck dieses Ereignisses betrachtet. Als vor rund 20 Jahren einmal in der Chemiefabrik Hoechst ein Kessel platzte und hässliche Schlacke auf die umliegenden Wohnviertel niederregnete, rissen in den Monaten danach die Schreckensnachrichten aus den Hoechst-Werken nicht mehr ab. Dabei ging bei Hoechst nicht mehr und nicht weniger schief als bei Bayer oder BASF. In derart riesigen Chemiefabriken passiert immer irgendwo irgendetwas Ungeplantes. Doch nur die Ereignisse bei Höchst wurden aufmerksam verfolgt. Sie passten in den „Frame.“

Solche „Frames“ sind notwendig. Ohne sie würden wir uns in der Welt nicht zurechtfinden können. Dass solche Vorgänge auch im Journalismus von Bedeutung sind, hat schon Walter Lippmann in seinem Buch „Public Opinion“ aus dem Jahr 1922 beschrieben. Das kann zum Problem werden, wenn sich Journalisten ihrer eigenen Frames nicht bewusst sind. In den letzten Wochen habe ich es zwei Mal erlebt, dass sich Journalisten von Personen, die versuchten, die Reputation anderer Menschen zu zerstören, für deren Zwecke missbrauchen ließen. Das war nur möglich, weil die Anwürfe in die Frames der Journalisten passten.

Im einen Fall handelt es sich um eine Kollegin an einem Universitätsinstitut. Ein Mann, der sich vergeblich auf eine Stelle an dem Institut beworben hatte, hat sich anscheinend vorgenommen, dem Institut nun durch Plagiatsvorwürfe möglichst großen Schaden zuzufügen. Als erstes Opfer suchte er sich eine Juniorprofessorin aus und behauptete,  es gebe in ihrer Doktorarbeit Plagiate. Ich kann nicht beurteilen, ob zu recht, jedenfalls warf die Betroffene nach wenigen Wochen das Handtuch und kündigte ihre Stelle. Dann kam die genannte Kollegin an die Reihe. Auch hier behauptet er, wesentliche Teile ihrer Doktorarbeit seien plagiiert. Hier nun kenne ich die Arbeit und die Autorin. Der Plagiatsvorwurf ist schlicht und einfach lächerlich. Doch die örtliche Presse griff den Fall auf, denn er passte in den seit dem Fall zu Guttenberg gesetzten Frame, zur Vorstellung, dass Wissenschaftler überall und massenhaft plagiierten. Kein Gedanke daran, dass damit leichtfertig die Reputation, die Selbstachtung und die Berufsperspektiven einer Unschuldigen ruiniert werden.

Der zweite Fall betrifft meine langjährige Lehrerin und Chefin am Allensbacher Institut Elisabeth Noelle-Neumann. Sie hat sich im Laufe ihres Lebens Feinde gemacht, die sie seit Jahrzehnten, selbst über den Tod hinaus, mit einer nicht nachlassenden Besessenheit verfolgen und versuchen, sie in der Öffentlichkeit als Nazi zu diffamieren. Kürzlich hat einer dieser Menschen ein ganzes Buch dazu veröffentlicht, ein groteskes Machwerk, dessen Anschuldigungen sich leicht widerlegen lassen. Jede auch nur oberflächliche Prüfung hätte den Verlag schon aus Selbstschutz davon abhalten müssen, es zu drucken. Doch es wurde gedruckt, und bereitwillig stellten führende Massenmedien ganze Seiten für diesen Unsinn zur Verfügung. Auch hier wird die Reputation eines Menschen beschädigt, weil die Anwürfe sich gut in vorhandene Frames einfügen: Eine konservative Intellektuelle, die im Dritten Reich als Journalistin gearbeitet hat - man hört geradezu, wie es in den Gehirnen einrastet: „Die muss doch ein Nazi gewesen sein.“ Und so unterblieb die Prüfung, die das Gegenteil ergeben hätte.

Die beiden Beispiele zeigen, wie wichtig es ist, sich bei Diskussionen um den Konflikt zwischen Pressefreiheit und Persönlichkeitsrecht auch um das Thema Frames zu kümmern. Es müsste zur Grundausbildung an den Journalistenschulen gehören, dass eine Information, die dazu geeignet ist, das Ansehen einer Person in der Öffentlichkeit zu ruinieren, um so gründlicher zu überprüfen ist, je mehr sie dem Redakteur spontan einleuchtet. Gängige Praxis scheint eher das Gegenteil zu sein.

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