Thomas Petersen / 18.10.2014 / 09:32 / 6 / Seite ausdrucken

Klopfzeichen aus der Welt der Sozialwissenschaften (45): Soziale Konditionierung

Wer eine Ahnung davon bekommen möchte, wie die Berichterstattung der Massenmedien durch die Verwendung stereotyper Begriffe die Wahrnehmung von Politik beeinflusst und damit letztlich auch die inhaltliche politische Meinungsbildung, kann dies mit einem kleinen Gedankenexperiment tun und die folgende Frage beantworten: „An welche Partei denken Sie, wenn sie das Wort ‚Klientelpolitik’ hören?“

Die meisten Menschen werden bei diesem Stichwort spontan an die FDP denken. Doch warum eigentlich? Warum denkt kaum jemand spontan an die Grünen, die in den letzten Jahren mit gewaltigem propagandistischen Aufwand durchgesetzt haben, dass ihre Kernwähler von Studiengebühren befreit wurden - auf Kosten der Berufstätigen, von denen die meisten nie eine Universität von innen gesehen haben? Warum denkt man nicht an die Sozialdemokraten, die seit vielen Jahrzehnten kaum eine politische Grundsatzentscheidung treffen, ohne sich vorher intensiv mit den Gewerkschaften abzustimmen? Der Grund ist vermutlich einfach, dass das Stichwort „Klientelpolitik“ fast immer im Zusammenhang mit der Politik der FDP in der Berichterstattung auftaucht, praktisch nie mit der der Grünen oder der SPD.

Das Wort „Klientelpolitik“ ist ein Beispiel für ein Phänomen, das ich seit einigen Jahren „soziale Konditionierung“ nenne, und das meiner Meinung nach für das Verständnis der Mechanismen der Medienwirkung von großer Bedeutung ist. Die These der „sozialen Konditionierung“ stützt sich auf drei in der Sozialforschung gut dokumentierte Befunde:

1.: Menschen neigen dazu, bestimmten Begriffen oder schlagworthaften Formulierungen Bedeutungen hinzuzufügen, die objektiv gar nicht darin enthalten sein müssen.

2.: Es gibt ein bestimmtes Vokabular, das praktisch ausschließlich in den Medien verwendet wird, und das offensichtlich solche Beiklänge transportiert. Man spricht auch von „Mediensprache“. Beispiele sind Begriffe wie „umstritten“, „Zahlmeister“ oder eben auch „Klientelpolitik“. Kein Mensch würde am Gartenzaun im Gespräch mit dem Nachbarn das Wort „Klientelpolitik“ verwenden - außer er plappert gerade nach, was er im Fernsehen gehört hat.

3.: Diese Begriffe können ein erhebliches Drohpotential entwickeln, das den Verlauf ganzer Diskussionen bestimmt. Wer es nicht glaubt, möge in einer Diskussionsrunde mal einem Teilnehmer soziale Kälte vorhalten und beobachten, wie dieser allein durch dieses Wort in die Defensive gerät, und zwar auch dann wenn es inhaltlich vollkommen unangebracht ist.

Stellt man sich nun die Frage, wie denn die implizite Bedeutung solcher Formulierungen zustande kommt, wie also Elemente der Mediensprache mit wertenden Beiklängen aufgeladen werden, und verknüpft diese Frage mit der seit den frühen 1970er Jahren bekannten Erkenntnis, dass die Wirkung der Massenmedien auf die Meinungsbildung auf, wie es in der Fachsprache heißt, Kumulation und der Konsonanz beruht, also der Aufnahme gleicher oder ähnlicher Medienbotschaften über einen längeren Zeitraum hinweg, dann drängt sich einem die These der „sozialen Konditionierung“ regelrecht auf.

Medieninhaltsanalysen zeigen, dass die Berichterstattung zu politischen Themen oft von starken Wertungen geprägt ist, und zwar medienübergreifend. Die redaktionellen Linien der einzelnen Zeitungen, Zeitschriften oder Fernsehsender unterscheiden sich zwar, doch ein Wechsel in der Bewertung eines Gegenstandes, einer Person oder Institution wird in der Tendenz von allen oder zumindest den meisten meinungsbildenden Medien nachvollzogen. Wenn nun die Medienberichterstattung wiederholt die gleichen Argumente mit den gleichen Begriffen präsentiert und gleichzeitig übereinstimmende Bewertungen vornimmt, dann heißt das, dass die Leser und Zuschauer die stereotype Formulierung der Mediensprache auch zusammen mit der gleichzeitig vermittelten Wertung aufnehmen und im Gedächtnis abspeichern.

Wird nun, beispielsweise in einem persönlichen Gespräch oder durch die Lektüre eines „Achgut“-Eintrags, ein Teil dieser aus zwei Komponenten bestehenden Information aufgerufen, dann wird die gemeinsam mit ihr gelernte zweite Komponente mitaktiviert. Sagt jemand „Klientelpolitik“, liefert das Gehirn den Begriff „FDP“ gleich mit, ob man will oder nicht. Letztlich handelt es sich um einen klassischen Konditionierungsvorgang: Das Glöckchen klingelt - und der Hund denkt ans Fressen. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Untersuchungen, die darauf hindeuten, dass das Prinzip der Konditionierung zumindest im Prinzip auch auf den Menschen angewendet werden kann.

Findet dies nun über die Verknüpfung von Begriffen in der Medienberichterstattung statt, ist es angemessen, von „sozialer Konditionierung“ zu sprechen, nicht einfach von „Konditionierung“, weil der Vorgang durch die Beteiligung der Massenmedien eine ganz neue Dimension bekommt. Die Konditionierung findet nicht in Einzelfällen statt, sondern zehntausendfach, tendenziell gleichgerichtet über das ganze Land verteilt, und zwar praktisch jederzeit. Ihr ist nicht nur eine Vielzahl von Individuen ausgesetzt, sondern in Konsequenz die ganze Gesellschaft oder zumindest erhebliche gesellschaftliche Gruppen. Wer die Sprache beherrscht, beherrscht die Gesellschaft. Vorsicht also, wenn man merkt, dass man in den Medien mit einem schlagworthaften Etikett versehen werden soll. Es kann noch so unsinnig, ja lächerlich sein - wenn es nur oft genug geschieht, bleibt es auf Dauer kleben. Dies sei allen Klimaleugnern ins Stammbuch geschrieben.

Neuerscheinung von Thomas Petersen: “Der Fragebogen in der Sozialforschung. Konstanz: UVK, 2014”.

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Aaron Gal / 19.10.2014

Schöner Text! Trotzdem: Es ist ja nicht so, dass bestimmten Begriffen Assoziationen anhaften, die dann mittels solcher trojanischer Pferde unweigerlich in unseren Köpfen Platz greifen. Man versteht doch, ob ein vermeintlich neutraler Begriff negativen Beigeschmack bekommen hat. Ich unterstelle Politikern, Journalisten und aufmerksamen Bürgern, dass sie solches bemerken. Die Sprache selbst entwickelt doch keine unbeabsichtigte Eigendynamik, die der Sprecher nicht mehr zu beherrschen vermag, sondern sie wird mit ihrer Bedeutung gezielt angewendet. Wir leben im Gutmenschenzeitalter, da wird die “soziale Kälte” eben zu einem Kampfbegriff vor dem sich Politiker zu Recht fürchten.  Genauso vermeiden sie es Worte wie “Heinrich Himmler, Adolf Hitler oder Joseph Goebbels” öffentlich auszusprechen. Es kommt dabei nicht auf den logischen Zusammenhang an, denn Fernsehzuschauer gewinnen keine Erkenntnisse, sondern sie nehmen Witterungen auf.

Hildegard Behrendt / 19.10.2014

Und warum kein Hinweis auf Ulfkottes neues Buch, das dieses Thema u.a. auch, aber weitreichener behandelt und dabei auf weltweite Verknüpfungen der besonderen Art hinweist? Die “Gekauften Journalisten” werden irgendwie sehr beredt verschwiegen.

Thomas Petersen / 18.10.2014

Lieber Herr Limburg, das können Sie gerne tun. Ich freue mich über Ihr Interesse. Mit freundlichen Grüßen Thomas Petersen

Bennedikt Hurtig / 18.10.2014

Mit der Verschiebung meiner politischen An/Einsichten in den letzten Jahren konnte ich diese Konditionierung aktiv an mir selbst sehen. Wer sich frustriert abwendet von den linksliberalen Leitmedien plus ÖRTV und in die Welt von Blogs und weniger multikulti angehauchten Webseiten abtaucht, der ist auch mit ganz anderen normativen Begrifflichkeiten konfrontiert. Das war zu Beginn recht seltsam, aber mittlerweile kommen mir Ausdrüke wie Gurmensch, linksgrün versifft, Multikultigedöns, etc in Gedanken recht zu über die Lippen. Bei den normalen Lippen halte ich mich noch etwas zurück, sonst wäre mein privates Tofu-Trullala-Umfeld wahrscheinlich zu sehr pikiert..

Bernhard Fleischmann / 18.10.2014

Eine subtile Form der Manipulation. Wie könnte man diese entlarven? Vielleicht in dem man klar macht, dass es auch Linkspopulismus, Christophobie etc gibt.

Michael Limburg / 18.10.2014

Lieber Herr Petersen, ein erhellender Aufsatz. Würden wir gern auf EIKE übernehmen. Dürfen wir? Natürlich unter Verweis auf ACHGUT als Quelle. mfG M. Limburg EIKE

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