Hansjörg Müller / 24.06.2012 / 13:37 / 0 / Seite ausdrucken

Kein Ausweg, nirgends

J. R. Ewing im Altersheim, gezeichnet von Krebs und Depressionen. Der kleine Kabelsender TNT lässt die Serie «Dallas» wieder aufleben, 21 Jahre nach dem Ende der bisher letzten Staffel – und zwei Jahrzehnte gehen an niemandem spurlos vorüber, nicht mal am größten Schurken der TV-Geschichte. Trotzdem: Wer «Dallas» kennt, wird kaum damit rechnen, dass J. R. (Larry Hagman, mittlerweile 81) und sein jüngerer Bruder Bobby (Patrick Duffy, auch schon 63) ihre Rivalität nun begraben, nur weil sich ihre Lebenszeit dem Ende zuneigt. Es ist ein archaisches Gesetz, das in den weiten Ebenen des amerikanischen Westens genauso zu gelten scheint wie in den Bergen Nordalbaniens: Feindschaften werden vererbt, einen Ausweg gibt es nicht. Und so sind es J. R.s Sohn John Ross III. (Josh Henderson) und Bobbys Adoptivsohn Christopher (Jesse Metcalfe), die ihrer Väter Fehde weiterführen müssen. Als läge der Fluch des Öls unerbittlich über der texanischen Farmerfamilie Ewing, auf deren ausgedehnter Ranch das schwarze, dickflüssige Gold seit nunmehr 34 Jahren aus dem Erdboden sprudelt.

Amerika 1978. Im Weißen Haus sitzt der frömmelnde Laienprediger Jimmy Carter, ein Erdnussfarmer aus Georgia, der seinen Landsleuten Maßhalten und Verzicht predigt. Darauf haben die Amerikaner wenig Lust, und so ersetzen sie Carter bald durch den unerschütterlichen Optimisten Ronald Reagan. Reagan bringt die Wirtschaft in Gang, und «Dallas» wird dabei so etwas wie die offiziöse Fernsehsaga der Reagan-Ära: Lustvoll jagen die Ewings dem Geld nach. Das Wort von Amerika als dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, es erscheint uns heute so abgegriffen wie eine alte 5-Cent-Münze, und dennoch: In den 80er-Jahren beginnt man wieder daran zu glauben, zumindest ein bisschen.

Auch in Europa erreicht «Dallas» Einschaltquoten in Rekordhöhe. Nicht einmal Intellektuelle können sich der Texas-Oper entziehen. «Es ist so faszinierend schlecht, dass ich keine Folge versäume», gibt der schwedische Film-Regisseur Ingmar Bergman zu. «Die Handlung ist abstrus und unlogisch, die Kameraführung grauenhaft, die Regie entsetzlich, und unglaublich viele schlechte Schauspieler und Schauspielerinnen spielen unglaublich schlecht. Aber es ist irre faszinierend!»

Im Fernsehsessel lassen sich die Europäer einen wohligen Schauder über den Rücken jagen: ungehemmtes Gewinnstreben, zwei Brüder, die sich aus Habgier bis aufs Blut bekämpfen, ein Land, in dem das Recht des Stärkeren herrscht und ein platter Materialismus den Ton angibt – so sind sie doch, die Amerikaner, hatte man das nicht schon immer geahnt? Die vulgär eingerichtete Ranch der Ewings rundet das Bild vollends ab: So viel Geld, und doch so wenig Geschmack. Keine andere Seifenoper habe das weltweite Amerikabild so geprägt wie «Dallas», konstatiert die «Frankfurter Allgemeine Zeitung». Das Zerrbild von den USA wird so zum Mittel der europäischen Selbstvergewisserung.

Die Zeiten haben sich geändert seit den 80er-Jahren. Statt eines ehemaligen Hollywood-Schauspielers residiert heute ein distinguierter Jura-Professor im Weißen Haus, und das Amerika der Obama-Ära macht sich Gedanken über die Zukunft seiner Energieversorgung. Erdöl sei die Energie der Vergangenheit, und irgendwann werde es ohnehin zur Neige gehen, hält Christopher Ewing seinem Cousin John Ross in einer hitzigen Diskussion entgegen.

Die in den Medien allgegenwärtige Energiedebatte, selbst bei den Ewings findet sie heute statt, auch wenn sie hier bald ungleich dramatischere Züge annehmen wird als auf den Meinungsseiten des «Wall Street Journal»: Wenige Szenen später kommt es zur wüsten handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen den jungen Männern, als Christopher John Ross von der Ausbeutung neu entdeckter Ölvorkommen auf der Ranch abhalten will.

Christopher und sein Adoptivvater haben andere Pläne. Die Ranch will Bobby an eine Naturschutzstiftung verkaufen. «Ewing Alternative Energy» heißt Christophers neue Firma. Abschied vom Ölgeschäft will er nehmen, in die Energiequelle der Zukunft investieren: Brennendes Eis. Klingt paradox, und als Christopher auf dem Balkon der Ranch einen pflastersteingroßen Eisklumpen anzündet, da staunen die Anwesenden erstmal nicht schlecht.

Alles klar also? Gut gegen Böse, schmutziges Öl gegen saubere Alternativenergien? Nein, und das ist eine Überraschung, so einfach machen es uns die Drehbuchautoren nicht. Christophers vermeintlich so ökologische Pläne sind nämlich mit erheblichen Risiken verbunden. Bei dem brennbaren Eis handelt es sich um gefrorenes Methan, das vor der Küste Chinas tief unter dem Meer liegt. Dessen Abbau bringt den Meeresboden ins Rutschen und löst einen Tsunami aus. Die ewig rotierende Energiediskussion: Wer Atomkraftwerke abschalten will, muss Gaskraftwerke bauen, wer Ethanol statt Benzin tankt, fördert indirekt den Hunger in der Dritten Welt. Und so weiter und so fort. Widersprüche, aus denen es keinen Ausweg gibt – genauso wenig wie aus der familiären Erbfeindschaft der Ewings.

Was sonst noch geschieht? J. R.s Ex-Frau Sue Ellen (Linda Grey), in den früheren Staffeln noch eine notorische Alkoholikerin, strebt nun souverän nach politischen Weihen. Die glutäugige Elena (Jordana Brewster) ist hin- und hergerissen zwischen Christopher und John Ross. Und J. R.? Der ist keineswegs so hinfällig, wie es zunächst einmal scheinen will. Schon bald greift er wieder ein ins Intrigenspiel. Denn, wie er seinem Sohn grinsend anvertraut: «Bobby ist vielleicht nicht blöd – aber ich bin verdammt viel smarter.»

Erschienen in der „Basler Zeitung“ vom 24. Juni 2012

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