Von Hansjörg Müller
Für gewöhnlich geben sich Amerikas unterlegene Präsidentschaftskandidaten für den Rest ihrer Tage mehr oder weniger nebensächlichen Tätigkeiten hin. Bob Dole (1996) verschwand fast vollständig aus der Öffentlichkeit. Al Gore (2000) meinte, die ganze Welt retten zu müssen, und setzte sich damit ein Ziel, das so gross und bedeutend tönte, dass sofort klar war, wie esoterisch und damit unbedeutend es in Wahrheit war. Mitt Romney (2012) tut seine Pflicht als Mormone und sammelt Geld für wohltätige Zwecke.
Michael Dukakis sammelt die Skelette von Truthähnen. «Das Knochengerüst eines Truthahns wegzuwerfen, ist eine absolute Sünde. Es liegt so viel Gutes darin», sagte der Demokrat aus Massachusetts, der 1988 gegen George H. W. Bush verlor, dieser Tage seiner Heimatzeitung, dem Boston Globe.
Die Überreste von sieben oder acht Truthähnen sammelt der 82-jährige Dukakis Jahr für Jahr Ende November ein, nachdem das Geflügel von seinen Landsleuten zu Thanksgiving in Massen verspeist wurde. Kein Knochengerüst lässt er sich entgehen. Wenn es sein muss, wird das, was vom Truthahn übrig ist, im Kofferraum mitgenommen oder im Zug von Washington nach Boston transportiert.
Mithilfe einer Geflügelschere zerlegt Dukakis die Skelette in ihre Einzelteile, um diese in Plastiktüten verpackt einzufrieren. Jeden zweiten Monat nimmt er eine der Tüten aus dem Gefrierschrank, um den Inhalt, angereichert mit einer Zwiebel, Karotten, viel Pfeffer und noch mehr Salz, für drei Stunden auf dem Herd vor sich hin simmern zu lassen. Er geniesse den Geruch, der dann das Haus erfülle, erklärte Dukakis den Reportern. Auch seine Enkel, ein Dutzend an der Zahl, schätzten seine Suppe.
Gemäss eigenen Angaben kocht der Ex-Politiker seit beinahe drei Jahrzehnten, seit seine Ehefrau Kitty im 23. Jahr ihrer Ehe von heute auf morgen gesagt habe: «Es reicht, ich koche nicht mehr.» Also habe er sich an den Herd begeben müssen, um nicht zu verhungern.
Michael Dukakis ist ein Grieche, wie ihn sich der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble wohl nicht einmal in seinen kühnsten Träumen ausmalt: ein Mann, dem Austerität über alles geht. Mit den Geiz-Eskapaden des Hausmannes unterhält der Globe seine Leser bereits seit Jahren. Seinen Kaffee, so erfuhr die Öffentlichkeit dabei, holt Dukakis bei der Supermarktkette Costco, für drei Cent pro Tasse. Dort kauft er auch gebratene Hühnchen ein, für je 4,95 Dollar. Aus einem Hühnchen, so behauptet er, machten seine Frau und er vier Mahlzeiten. Das macht 1,23 Dollar pro Mahlzeit, denn Salat und Gemüse zieht Dukakis im eigenen Garten heran.
All diese Informationen trug der Boston Globe zusammen, und wenn wir sie wiederverwerten, indem wir eine Kolumne daraus machen, handeln wir zweifellos in Michael Dukakis’ Sinn.
Zuerst erschienen in der Basler Zeitung