Es ist schwer, Menschen zu verteidigen, die sich dem Verdacht des Rassismus ausgesetzt haben. Die Schwelle ist extrem niedrig, Empörungsexzesse gehen in solchen Fällen in Ordnung. Das muss beunruhigen. Im Fall Hermanis muss man fragen, ob die Leitmedien in ihrem Feuilleton wirklich kampagnenartig auf den lettischen Theatermann Alvis Hermanis eindreschen müssen. Ihn rechts von Pegida zu zu stellen, wo er de facto nicht hingehört - ist das die neue “kultivierte” Version der Nazi-Keule? Gehört das jetzt in den feuilletonistischen Mainstream? Aussagen wie “Der Lette an sich mag keine Fremden” - sind das Töne einer angemessen guten pro-europäischen Notwehr? Wenn von Feuilletonisten der Versuch unternommen wird, gleich die gesamte Theaterarbeit des international renommierten Regisseurs zu verhöhnen mit der Schilderung versehrter Echsen, seiner “vierten Wand” (etwa als Brett vor dem Kopf?) oder mit dem wehleidigen Gesicht, das der Schauspielers Martin Wuttke 2012 im “Platonow” an die Butzenscheibe drücken musste, “in einem Raum totaler Illusion” - ist das nicht eine Nummer zu groß? Der Leser soll erfahren, wie leicht es für einen Feuilletonisten ist, einen Regisseur madig zu machen, dessen Produktionen er nicht verstanden hat? Das Adjektiv für derlei Kunst bleibt zum Glück unausgesprochen. Überhaupt sei “das gesamte lettische Theater infiziert vom Primat der Psychologie…” Ein Feuilleton-Kollege empört sich sogar darüber, dass sich der Thalia-Intendant Joachim Lux entschlossen hat, eine weitere Hermanis-Inszenierung (Isaac B. Singers “Späte Nachbarn”) im Spielplan zu belassen und fordert, das Stück abzusetzen! Zum Schluss verwendet er einen Begriff aus einem Zitat aus einem Dostojewskis - soviel Kultur muss sein! -, um es dem “rassistischen” Delinquenten als Schimpfwort hinterherzurufen: “hohles Scheinwesen”. Die Welt schaut auf Deutschland - oder nicht? Wir sollten uns diesen hysterischen Umgang mit Künstlern ganz entschieden und solidarisch verbitten. Der Journalist als Scharfrichter - das erinnert sehr an den Kulturbetrieb der DDR. Ich will mich nicht daran gewöhnen!
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