Jennifer Nathalie Pyka / 03.07.2015 / 10:50 / 2 / Seite ausdrucken

#JeSuisMartinSchulz

Den Griechen gebührt unser Mitgefühl. Von Regierungen gebeutelt, die mehr ausgaben, als sie einnahmen, müssen sie nun für 60 Euro Schlange stehen.

Doch aller Anteilnahme zum Trotz: Denkt eigentlich auch irgendjemand einmal an Martin Schulz, EU-Parlamentspräsident aus Leidenschaft, und vor allem daran, was aktuell in ihm vorgehen muss? Denn schließlich spielen sich die wahren Tragödien menschlicher Existenz nicht immer im Lichte der Scheinwerfer ab, sondern eher abseits desselbigen. So auch nun, da Martin Schulz – das griechische Volk im Herzen, die europäischen Vision auf den Lippen tragend - an wirklich keinem Mikrofon tatenlos vorbeigeht, nur um danach weiterhin die Trümmer seines Lebenswerks zu betrachten.

Jahrelang talkte er sich landauf, landab im Dienste der „europäischen Idee“ die Stimme heiser. Ob Illner, Plasberg oder Jauch, kein Weg war ihm zu weit, keine Frage zu unterkomplex, um nicht mit ruhiger Stimme bedacht zu werden. Natürlich: Manchmal musste er auch laut werden, gar seine Betriebstemperatur auf feurige 90°C-Sauna-Optik hochfahren. Immer dann etwa, wenn jemand sich erdreistete, die reine Lehre aus Brüssel anzuzweifeln. Denn auch Begegnungen mit lästigen Ketzern wie Wolfgang Bosbach oder Richard Sulik blieben ihm im Rahmen seiner Mission nicht erspart. Ketzer, die im Gegensatz zu ihm und trotz hörbaren Zuredens den Stein der Weisen bis heute nicht gefunden haben. Sie waren und sind es, die den waschechten Europäer davon abhielten, die ihm eigene Gelassenheit zu offenbaren, welche man innerhalb seiner Partei sonst nur von Helmut Schmidt gewohnt ist.

Allen Widrigkeiten zum Trotz blieb er jedoch stark, stets die Konsequenzen seines leichten Hangs zur Hypertonie in Kauf nehmend - denn schließlich ist Martin I. kein Choleriker, er sieht nur so aus. Und letztlich: Was tut man nicht alles für das Friedensprojekt Europa? Wahlkampf zum Beispiel. Fast hätte sie ja auch geklappt, die Sache mit dem Amt des Kommissionspräsidenten. An intellektuell aufdringlichen Slogans („Für ein Europa der Demokratie. Nicht der Bevormundung“) mangelte es jedenfalls nicht. Also: Fast hätte er das Rennen gewonnen, wenn, ja, wenn ihn Jean-Claude Juncker nicht auf der Zielgeraden überholt hätte.

Ein Martin Schulz aus Würselen gibt allerdings nicht auf. Sogar seinen hoch dotierten Job als Bürgermeister des gleichnamigen Städtchens ließ er einst sausen, nur um erst als Parlamentarier, später dann als Chef des europäischen Parlaments unter nahezu unzumutbaren finanziellen Entbehrungen (200.000€ Gehalt + 110.000€ Tagegeld steuerfrei p.a. für Sitzungen im Parlament, aber auch im Café oder im heimischen Wohnzimmer) an der Umsetzung der europäischen Idee mitzuwirken.

Doch nun, da Mister Schulz alles, wirklich alles - von der aussichtsreichen Karriere als Buchhändler bis hin zur innigen Männer-Freundschaft mit Silvio Berlusconi - aufs Spiel gesetzt hat, betreten die Griechen seine Bühne und schlagen alles kurz und klein. Die wollen kein Europa Würselener Art - die wollen Cash, weil sie es können. Was Martin Schulz, der freilich ausschließlich für „ein Europa der Menschen, nicht des Geldes“ einsteht, nicht verstehen kann.

Immerhin vermeldete Schulz schon zwei Tage nach Tsipras‘ Wahlsieg, er habe „keinen Bock auf ideologische Debatten“. Allein, die Standleitung nach Athen muss wohl defekt gewesen sein. Und so sah er sich erst neulich wieder genötigt, „ideologische Abrüstung“ im Verhandlungsmarathon um Griechenland anzuordnen.

Denn Ideologie ist des Schulzens Sache nicht. Er hat es mehr mit der Freiheit, zumindest aber mit seiner eigenen. Darum empfiehlt er den Griechen für das nahende Referendum nicht nur ein „Ja“ (... „für ein Europa der Demokratie, nicht der Bevormundung“), sondern auch gleich baldige Neuwahlen. Wenn die eine Regierung nicht passt, bedarf es eben einer anderen. Bis dahin wünscht er sich eine „technokratische Regierung“, mit der man verhandeln könne. Denn der Chef des europäischen Parlaments weiß: Was in Brüssel funktioniert, kann in Athen nicht scheitern.

Bis dahin allerdings muss er tatenlos zusehen, wie die ungehobelte Boy-Group aus Athen nicht nur das Ansehen der europäischen Idee, sondern auch seine Image als kompetenter Europa-Architekt in einer Art und Weise erschüttert, die man nur von Erdbeben der Stärke 8 aufwärts kennt. Dabei ist Martin Schulz mitsamt seiner Brüsseler Brüder im Bürokraten-Geiste ja gar nicht unfähig, der ideologische Unterbau, auf dem sie operieren, keine Katastrophe. Es wirkt eben nur aktuell so. Und das ist der eigentliche Kern der griechischen Tragödie mit Martin I. in der Hauptrolle.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Matthias Elger / 06.07.2015

@Helge-Rainer Decke, Ihre Meinung teile ich nicht. Alles was die derzeitige EU so problematisch macht, wurde humorvoll angedeutet. Es geht nicht für oder gegen eine europäische Union, denn niemand würde darüber schreiben, wenn es uninteressant wäre, sondern es geht um die Ausgestaltung der EU. Sprich, die EU offenbart sich als überhebliches, ideologisches, technokratisches, geldsüchtiges, machtgieriges Konstrukt, dass keinerlei Interesse hat ihre Bürger demokratisch zu beteiligen, sie mitzunehmen und schon gar keine Lust daran hat irgendwelche Konsequenzen aus Kritik zu ziehen bzw. Kritiker beschimpft. Eine riesige Union aus abgehobenen Politikern aber die die Bürger in Scharen davonlaufen, eine hohle Union. Die EU muss dringend eine Reset - Taste drücken, d. h. zurück zur EWG, ohne EU Parlament, ohne EU Kommissionen, ohne Euro und ohne solche unnützen Typen, wie M. Schulz. Es reicht vorerst aus, wenn die europäische Union eine feste Handelsplattform und Kommunikationsplattform für die Mitglieder ist, die aber den Bürgern der Staaten nicht vorschreibt, welche Glühbirnen sie kaufen dürfen und schon gar nicht solche Unsummen verschwendet.

Helge-Rainer Decke / 03.07.2015

Ich empfehle Ihnen, Frau Pyka, den Artikel des Schweizer Journalisten Thomas Straubhaar, der heute in der Welt erschien, in Ruhe und mit Bedacht zu studieren, weniger das Geschnatter, das u.a., -nicht nur hier in Achgut-, täglich zum Thema Europa ertönt. Zum Geschnatter tragen Sie, gnädige Frau, aus meinem Horizont mit Ihrem heutigen Beitrag über Herrn Schulz, nachplappernd, mehr oder weniger bei.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Jennifer Nathalie Pyka / 07.11.2016 / 12:00 / 15

Die Amerikaner sind und bleiben ein großartiges Volk

Das erkennt man schon daran, dass sie die letzten Monate überstanden haben, ohne kollektiv ihre Fernsehgeräte aus dem Fenster zu werfen, die Heugabeln herauszuholen oder…/ mehr

Jennifer Nathalie Pyka / 16.09.2016 / 08:17 / 18

Donald Trump: Der Siebener im Lotto für die Feinde des Westens

Donald John Trump aus Queens ist ein fleißiger Mann. Mit Immobilien, Hotels, Misswahlen und vielen anderen hübschen Dingen hat er sich nicht nur einen Namen,…/ mehr

Jennifer Nathalie Pyka / 01.08.2016 / 06:15 / 10

Auf in den totalen Frieden

Die Bestürzung war groß, als im Januar 2015 mehrere Terroristen erst ein Blutbad in der Pariser „Charlie Hebdo“ Redaktion veranstalteten, nur um anschließend noch vier…/ mehr

Jennifer Nathalie Pyka / 08.03.2016 / 06:30 / 10

Europa wartet auf Erleuchtung durch die Merkelsche Allheil-Lehre

Zu den entzückendsten Details der Flüchtlingskrise gehört vor allem der Eiertanz rund um die Türkei. Blickt man in die grün-dunkelrote Ecke, so erwischt man dort…/ mehr

Jennifer Nathalie Pyka / 24.01.2016 / 10:00 / 3

Davos: Topmanager in der geistigen Tiefgarage

„Ich stelle mir das ganz schlimm vor“, bemerkte Sahra Wagenknecht, als sie sich gemeinsam mit weiteren Oppositions-Kollegen im Oktober vergangenen Jahres in einem „original“ Flüchtlingsschlauchboot…/ mehr

Jennifer Nathalie Pyka / 31.08.2015 / 06:30 / 10

Vater Staat und die 800.000 Mündel

Deutschland führt ja bekanntlich gerade eine hitzige Debatte über Flüchtlinge. Unklar ist nur, wo genau die überhaupt stattfindet. Natürlich, es wird viel doziert, gesagt und…/ mehr

Jennifer Nathalie Pyka / 22.02.2015 / 18:52 / 2

Es lebe die jüdisch-muslimische Symbiose!

Wem an Frieden und Völkerverständigung gelegen ist, der kommt an Oslo nicht vorbei. Denn die norwegische Hauptstadt ist keineswegs nur Geburtsstätte der gleichnamigen Nahost-Friedensabkommen und…/ mehr

Jennifer Nathalie Pyka / 17.06.2014 / 18:09 / 13

Es ist nicht alles schlecht im Zweistromland

Allmählich wird es eng für Vollzeit-Pazifisten und Teilzeit-Käßmannisten. Von Nigeria und Kenia über Gaza bis hin nach Kabul bringt sich mittlerweile jede sadistisch veranlagte Gestalt…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com