Claudio Casula / 03.11.2022 / 12:00 / Foto: U.S. Department of State / 29 / Seite ausdrucken

Israel nach den Wahlen: König Bibi ist zurück

Das rechte Lager hat die Wahlen zur 25. Knesset gewonnen, das Mitte-Links-Lager liegt am Boden. Bibi Netanjahu hat sein zweites Comeback geschafft und schickt sich an, Israel aus der lähmenden Patt-Situation zu befreien. 

Bibi ist zurück. Nach Auszählung von 93 Prozent der abgegebenen Stimmen sieht alles danach aus, als könne der Block rechter Parteien eine komfortable Mehrheit von 65 der 120 Sitze in der Knesset erreichen. Ausgezählt werden müssen noch Stimmen der Soldaten, des diplomatischen Personals im Ausland, der Insassen der Gefängnisse und einiger anderer Gruppen, doch ist es eher unwahrscheinlich, dass diese noch einen entscheidenden Einfluss auf das Endergebnis haben könnten. 

Die linke Meretz und Balad, die Partei der arabischen Hardliner, scheitern wohl knapp an der 3,25-Prozent-Hürde, womit letztlich zehn Parteien ins Parlament in Jerusalem einziehen dürften. Stärkste Partei mit ungefähr einem Viertel der Knesset-Mandate wurde Bibi Netanjahus Likud, gefolgt von der Zukunftspartei des aktuellen Premierministers Yair Lapid und den Nationalreligiösen um die rechten Shooting-Stars Smotrich und Ben-Gvir. Dahinter rangiert die Partei der „Nationalen Einheit“ (Mitte) von Ex-Premier Benny Gantz, Shas (die Partei der religiösen Mizrachim, also der orientalischen Juden, um den ewigen Arye Deri), das Vereinigte Thora-Judentum (ashkenasisch-ultraorthodox), „Unser Haus Israel“ von Avigdor Lieberman, den beiden arabischen Parteien Ra’am und Hadash-Ta’al und der guten alten Arbeitspartei, die einst drei Jahrzehnte die israelische Politik dominierte und mehrere Ministerpräsidenten stellte, heute jedoch nur noch ein Schatten ihrer selbst ist und, wenn sie überhaupt die Hürde schafft, nur noch auf schlappe vier Mandate kommt. 

Die fünfte Wahl binnen weniger als vier Jahren war notwendig geworden, weil der Acht-Parteien-Koalition, die im Juni zerbrach, von Anfang an keine lange Lebensdauer beschieden war. Parteien aller Couleur von rechts bis links, inklusive einer arabischen, hatten sich zusammengetan, mit dem einzigen gemeinsamen Nenner, Netanjahu loszuwerden. Das konnte auf Dauer nicht gutgehen, und das unnatürliche Bündnis fiel vorzeitig auseinander. Anders, als man in Deutschland denken mag, spielte das Verhältnis zu den Palästinensern im Wahlkampf keine herausragende Rolle. Nach den Erfahrungen, die man mit Arafat und seinem Nachfolger Abu Mazen (Mahmud Abbas) gemacht hat, glauben nur noch die wenigsten Israelis, dass mit der palästinensischen Autonomiebehörde ein Frieden zu erreichen sein könnte, der diesen Namen auch verdient. 

Klima- und Geschlechtergedöns waren keine Wahlkampfthemen

Stattdessen spielten andere Themen eine Rolle. Neben der Sicherheit etwa lag den meisten Israelis wohl am Herzen, die lähmende politische Pattsituation zu beenden und endlich wieder eine stabile Regierung zu bekommen, außerdem ging es um Steuersenkungen, Schritte zur Bekämpfung der Teuerung, um Wohnungsbau (immer ein wichtiges Thema in Israel, die Bevölkerung wächst rasant, und das auf kleinem Raum), Projekte zur Ankurbelung der Wirtschaft, Unabhängigkeit der Justiz und Gewaltenteilung, Förderung strukturschwacher Regionen, weitere Verbesserung der Beziehungen zu arabischen Staaten bei gleichzeitiger Weigerung, den Palästinensern noch weiter entgegenzukommen.

Während es den Haredim – wie immer – darum geht, möglichst viele Vorteile für sich herauszuschlagen, zielt Liebermans Streben eher darauf ab, den Strengreligiösen ihre Privilegien zu streichen. Die arabischen Parteien wiederum haben ganz andere Anliegen: Abbau der Siedlungen im Westjordanland, die Schaffung eines Palästinenserstaates, Abschaffung von ihrer Ansicht nach „rassistischen“ Gesetzen, Erhöhung des Mindestlohns et cetera. Klima- und Geschlechtergedöns und ähnliche Luxusprobleme treiben die pragmatischen Israelis eher nicht um, es geht um Handfestes.

Eine Verliererin dieser Wahl ist Merav Michaeli, die es geschafft hat, die altehrwürdige Avoda (Arbeitspartei) mit ihrer Weltfremdheit so weit herunterzuwirtschaften, dass sie um den Verbleib in der Knesset bangen muss. Eine zweite ist die agile Innenministerin Ayelet Shaked, einst Mitstreiterin von Naftali Bennett nach der Ausbremsung von Bibi Netanjahu. Ihre Partei holte nur 1,8 Prozent.

Benny Gantz‘ Partei der Nationalen Einheit hat einer Beteiligung an einer Regierung unter Netanjahu bereits eine Absage erteilt und will in die Opposition gehen.

„Bibibibitte, nicht der schon wieder!“

Große Gewinner der 25. Wahlen zur Knesset sind der knallrechte Itamar Ben-Gvir, der aus einer Splitterpartei die drittstärkste Fraktion im Parlament machte und damit zum Königsmacher avancierte, und natürlich Benjamin „Bibi“ Netanjahu. Der mittlerweile 73-Jährige, der schon von 1996–1999 sowie von 2013–2021 Regierungschef war und mit diesen insgesamt 15 Jahren bereits Rekordhalter ist und damit den legendären Staatsgründer David Ben-Gurion überflügelt hat, hat sein zweites Comeback hingelegt. „Bibibibitte, nicht der schon wieder!“ barmte die taz bereits am 28. Oktober, das von ihr so empfundene Unheil vorausahnend.

Nach Lage der Dinge wird Bibi wohl  mit den Nationalreligiösen sowie zwei Haredi-Parteien (Shas und Vereinigtes Thora-Judentum) eine Koalition schmieden, die länger halten dürfte als die Kabinette seit seiner Verdrängung aus dem Amt im Juni 2021. Es wird auf jeden Fall eine, die, zu Recht oder nicht, in unseren Netanjahu eher nicht zugeneigten Medien als die „rechteste Regierung, die Israel je hatte“ bezeichnet werden wird. Diverse Strafverfahren unter anderem wegen Vorteilsnahme im Amt hat Bibi, der von manchen Anhängern als „König von Israel“ gefeiert wird, zwar noch am Hacken, aber zur Stunde ist der mit allen Wassern gewaschene Polit-Profi wieder einmal obenauf.

Was nicht heißt, dass es nicht schon bald nach der Bildung einer neuen Regierung richtig Ärger geben kann – vor allem mit dem engsten Verbündeten, den Vereinigten Staaten von Amerika. Sollte eine rechte Regierung unter dem Einfluss Ben-Gvirs in Bezug auf die Palästinenser eine Politik verfolgen, die manche von Israels Freunden nachhaltig verstört, seien sogar Sanktionen zu befürchten, so die Jerusalem Post.

Die nächsten Tage und Wochen werden zeigen, wohin die Reise geht.

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Leserpost

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W. Renner / 03.11.2022

Ein ausgezeichneter Politiker und einer der wenigen, welche Krisen bewältigen und - obwohl polarisierend - auch vereinigen können. Aber genau wegen der Ausführungen im letzten Absatz des Artikels, schrieb ich in einem anderen Post, der richtige Mann zum falschen Zeitpunkt. Ich wünsche ihm, dass er das Gegenteil beweisen mag und die Midterms in den US ihm den debilen von der Hacke halten sowie die Proteste im Iran dort zu einem Umsturz führen.

armin_ulrich / 03.11.2022

Nochmal Nachtrag: “Didi” Hallervorden sang vor nicht langer Zeit: “Magst Du Netanjahu nit, bist Du gleich Antisemit.” (von Didi zu Bibi sozusagen). Malte Lehming hat (zumindest für sich selbst) einen Ausweg aus dem Dilemma gefunden: Du bist Antisemit, gerade wenn Du Netanjahu magst.

armin_ulrich / 03.11.2022

Nachtrag: Malte Lehming meinte auch im Tagesspiegel:” Mit Davidstern in der Palästinenser-Demo: Nicht alles, was erlaubt ist, ist auch klug.”  vielleicht sollte sich Herr Lehming an einen Beauftragten wie Dr. Michael Blume wenden.

armin_ulrich / 03.11.2022

Heute: Malte Lehming mein Lieblingsjournalist aus meiner Lieblingszeitung, dem Berliner:Innen Tagesspiegel, hat sich wieder einmal selbst übertroffen: Überschrift:  “Netanjahu, Trump und Orban: Dieses Dreigespann lässt Übles ahnen Sie reden ähnlich, wettern gegen einen „tiefen Staat“, das „Establishment“ und „linke Medien“. Unter ihren Augen gedeihen Antisemitismus und Rassismus völlig ungestört. “ und weiter: “Im Geiste vereint ist Netanjahu mit Donald Trump und Viktor Orban. Unter den Augen dieses Dreigespanns können Rassisten und Antisemiten ihre Botschaften verbreiten, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. ” ... “Netanjahu, der Sieger der jüngsten Parlamentswahlen, war stets darauf bedacht, zu Trump und europäischen Rechtspopulisten ein gutes Verhältnis zu entwickeln. Wie diese wettert er gegen einen „tiefen Staat“, die Hetzjagden einer „linken Presse“, gegen „globalists“ und politisch motivierte Anklagen. Da schwingen Verschwörungsmythen mit, vieles zeugt von einer Verachtung staatlicher Institutionen. ” ...” So wird geduldet, was nicht zu dulden ist Trump, Netanjahu, Orban: Gemeinsam für ein Groß-Israel, gegen das linksliberale Establishment, gegen George Soros, gegen illoyale Bürger. Diesen Kampf zu führen, ist ihnen wichtiger, als Antisemiten und Rassisten in den eigenen Reihen zu kritisieren. Denn das würde die Geschlossenheit gefährden. Kritik an Marjorie Taylor Greene? Das könnte die Republikaner schwächen. Kritik an der antisemitischen Anti-Soros-Kampagne? Das wäre bei allen Rechten höchst unpopulär. So wird geduldet, was nicht zu dulden ist. ” ... “Ein Topos der antisemitischen Ideologie kreist um eine vermeintlich übergroße Macht von Juden. Wer ihn teilt, sieht sich vor die Wahl gestellt, entweder Juden zu bekämpfen, um diese imaginierte Macht zu brechen, oder sie zu umarmen, um an dieser imaginierten Macht teilzuhaben. Beiden Reaktionsweisen liegen ähnliche Vorurteile zugrunde. “  

Hans-Peter Dollhopf / 03.11.2022

S. Marek hat in seinem Kommentar zu Gerd Buurmanns Artikel “Wer ist Netanjahu?” gestern dankenswerterweise auf die Sendung “Everything is on the Line with these Elections” von Pulse of Israel und das Gespräch zwischen Avi Abelov und Caroline Glick aufmerksam gemacht. Frau Glick hat in unzähligen Veröffentlichungen eine außergewöhnliche analytische Begabung belegt. Und zum Beispiel wird sie im letzten Viertel dieser Sendung das Ränkespiel von Ajelet Schaked bei dieser Wahl offen legen. Ich selbst wäre nie auf einen solchen Zusammenhang aufmerksam geworden! Politiker treiben wahrhaft ein dreckiges Spiel um Macht, anstatt einfach nur selbstvergessen dem Wohle des gesamten Volkes dienen zu wollen, wie fälschlich ideell vorangenommen in verlogenen Inschriften verhimmelt ist (siehe nur etwa: “DEM DEUTSCHEN VOLKE” am heutigen Reichstagsgebäude).

Yehudit de Toledo Gruber / 03.11.2022

@) Meine Güte, Herr Düring, malen Sie bitte, bitte nicht die Meretz-LINKEN an die Wand. Man möchte es sich nicht ausmalen, bekäme deren Chefin Sehava Gal-On auch nur eine Knesset-Stimme mehr. Netanyahu wird hoffentlich wissen, mit wem genau und was jetzt zu tun ist - vor allem in Jerusalem, Judäa und Samaria. Und es sich (ähnlich wie schon Xi Jinping), seitens der EU verbitten, daß man sich in seine künftige Regierungspolitik einmischt. Ich wünsche ihm, seinem künftigen Team und allen Israelis Mazal tov. Und den deutschen “Vorreitern” sollten endlich die Reitpferde ausgehen - ob nun in Neumünster oder Madrid.

Franz Klar / 03.11.2022

“Sollte eine rechte Regierung unter dem Einfluss Ben-Gvirs in Bezug auf die Palästinenser eine Politik verfolgen, die manche von Israels Freunden nachhaltig verstört” , könnte man sich an Putins Politik in Bezug auf die Ukrainer erinnert fühlen ...

Chr. Kühn / 03.11.2022

So links kann Teutschland gar nicht mehr werden, um diese ganzen ganz räääächten Entwicklungen auszugleichen….oder etwa doch?

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