Sissy Hewson / 28.02.2014 / 20:57 / 1 / Seite ausdrucken

Im Film ist immer Vollmond

Es gibt Dinge, über die keiner nachdenkt. Oder fast keiner, denn ich tue es ja gerade. Man übernimmt sie, diese Denk-Klischees, diese Moden, möglicherweise, weil sie nicht wirklich wichtig sind. Weil man mit diesen Marginalien sein Hirn nicht belasten möchte und es keinen stört. Aber wo ist die Grenze zum unkritischen Übernehmen wichtigerer Dinge? Wird es nicht so sein, dass auch andere Dinge, die vielleicht doch einmal wichtig sein könnten oder es bereits sind, akzeptiert werden, ohne dass es man merkt? Dass da falsche Weltbilder ihren Anfang nehmen könnten?

Die Sache mit dem Vollmond in Filmen ist ja nun wirklich wurscht (aber wahr!), außer dass Kinder irgendwann vielleicht filmgebildet nur noch Vollmonde zeichnen werden und kein grinsendes Mondsichelprofil (was früher eher schon der Fall war, wenn ich mich recht erinnere). Und außer dass man, wenn man einmal darauf aufmerksam wurde, durch den Anblick des Klischeemondes von da an immer aus der Filmstimmung gerissen wird: ach, ist ja nur Kulisse. Brecht hat das dereinst schon irgendwie vorhergesehen, indem er vor dem Bühnenmond als deutlichem Papiermond warnte: Glotzt nicht so romantisch! Also sorry, von nun ab sehen Sie Film-Mondlicht leider mit unromantischen Augen.

Vom ewigen Vollmond einmal abgesehen muss man sich allerdings doch immer wieder eingestehen, dass man über Dinge nicht nachgedacht und sie bedenkenlos akzeptiert hat, weil sie einen so selbstverständlichen Eindruck machen.

Gerade wenn man sich näher mit Esoterik beschäftigt, gar nicht unweit des ewigen Vollmondes angesiedelt. Immer wieder werden diese schädlichen Wasseradern beschworen, und selbst wenn man nicht daran geglaubt hat, dass Wasser strahlt (und Wasser aus der Erde offenbar stärker als Wasser aus der Leitung - ach ja, ist ja auch „belebtes“ Wasser), was Wasseradern sein sollen, fragt niemand nach. Unterirdische Flüsse / Bäche / Rinnsale? Die gibt es auch, aber höchst selten, da sich Wasser in schwammartigem Gestein flächig sammelt. Aber immer wieder wird damit argumentiert, und nie klärt das jemand auf.

Oder Vollmond (wenn wir schon beim Thema sind) und Gezeiten. Wird immer wieder zitiert, wenn der Einfluss des Mondes auf den Menschen „erklärt“ wird. Hat nichts miteinander zu tun, stimmt nicht überein, wird aber auch von Kritikern des Mondglaubens nie ins Treffen geführt.

Homöopathie und Impfung: Scheint irgendwie ähnlich zu sein, „similia similibus“, Gleiches behandelt Gleiches, da kann man doch dran glauben? Ist natürlich Quatsch, in der Homöopathie werden die Effekte irgendeiner Pflanze oder eines Minerals hergenommen und dann gegen Krankheiten mit vergleichbaren Effekten eingesetzt - besonders krass: Stücke der Berliner Mauer gegen Trennungsängste (gibt es!) - und nicht Immunreaktionen des Körpers angeregt. Aber klar und deutlich wird das auch von Homöopathiegegnern nie ins Treffen geführt.

Überhaupt Homöopathie: Wirkt angeblich seit 200 Jahren, rundum hat es gewirkt, da muss wohl was drin sein in diesen weißen Zuckerkügelchen, wovon halt Wissenschaftler keinen Schimmer haben. Kann nichts können, nix drin, nix dran. Ja schon, heißt es dann, aber da kenne ich jemanden ... Und wieder ist immer Vollmond.

Bio wird von vielen als Synomym für „gesund“ begriffen, mitnichten. Freilandhühner haben zum Beispiel mehr Parasiten und sind viel stärker Dioxin-belastet als Hühner aus Indoor-Bodenhaltung. Die Eier ebenso. Bio-Gemüse ist immer wieder durch Fäkalien (euphemistisch „Naturdünger“) belastet. Und Bio-Wein hinterlässt giftiges Kupfer im Boden. Aber man informiert sich nicht, was dahintersteckt hinter dem Begriff, kauft teures Bio und freut sich, gesund zu leben. Lieber nachplappern als nachforschen.

Endlos kann das weitergeführt werden: gerade besonders aktuell die Impfgegner, die sich über schädliches Aluminium in Totimpfstoffen aufregen, aber oft als Homöopathen, Anthroposophen oder Ayurvedamediziner von ebensolchen Schwermetallen als Heilmittel schwärmen. Und: Mit der normalen Nahrung nimmt ein Erwachsener wöchentlich etwa 70mg auf, eine Impfdosis enthält 1mg. Interessiert diese Information irgend jemanden der Impfgegner? Natürlich nicht, sind sie doch umgeben von ihresgleichen, die sie im Nachplappern bestärken: Die normative Kraft des Faktischen.
Jeder von uns fällt gerne auf diese Traditions-Gebetsmühlen herein: Auch schlichte Dinge wie die heiße Zitronenlimonade bei Verkühlung ist Humbug. Vitamin C zersetzt sich bei höheren Temperaturen und ist so wirkungslos. Aber immer noch erfreut sich dieses alte Hausmittel größter Beliebtheit. Bis vor kurzem auch bei mir, trotz anschließendem Magenweh.

Sei es also Aberglaube, Mode (warum tragen Männer Hosen und Frauen Röcke? Sollte das nicht anatomisch gesehen umgekehrt sein?) oder Filmszenerien – versuchen wir doch, diese unbemerkten Klischees zu entdecken. Wenn Regisseure wieder einmal jemanden in finstere Zimmer tappen lassen, aus denen seltsame Geräusche kommen, ohne das Licht aufzudrehen; wenn Pärchen einander, kaum haben sie sich kennengelernt und eine Wohnung betreten, IMMER schon im Vorzimmer die Kleider vom Leibe reißen müssen; wenn Schauspieler NIE eine Tür hinter sich zumachen; wenn Taxis immer gleich zur Hand sind und auch nie bezahlt werden müssen.

Und wenn wir selbst Vieles denkfaul akzeptieren. Nicht ganz einfach, das zu orten. Hilfreich: Zuhören, auch wenn jemand anderer Meinung ist. Und dann vielleicht doch einmal dem Partner im Vorzimmer die Kleider vom Leib reißen – nicht jedes Klischee ist immer falsch?

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Martin Lahnstein / 01.03.2014

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