Die böse, böse EU beweist schon wieder einmal den Vorschriftenwahn, hei, da unterschreibt man doch gerne und gleich einen Protest gegen „schamlosen Lobbyistengehorsam“ und hat wieder etwas Gutes für die Menschheit getan. Umso lieber, wenn es ums Essen geht, noch dazu ums „Gut Essen“, um „alte Sorten“ und „Topköche“, mit denen man gerne alle möglichen Dinge in einen Topf wirft: Die müssen sich doch mit Töpfen auskennen, wer sonst? Und vielleicht fällt auch noch ein bisserl Öffentlichkeit und PR ab.
Und so fabulieren dann in Österreich „Geschmackspäpste“ wie Severin Corti im Standard wilde Anschuldigungen wegen geplanter EU-Saatgutverordnungen, die wieder einmal selbstverständlich nur der Industrie nützen. Gemeinsam mit – man hätte es nie erraten – Global 2000 und der (keinen Gewinn machen wollenden???)Firma Arche Noah in Schiltern, nördlich der Donau im Waldviertel, mit ihrem angeblich einzigartigen Sortenarchiv, der letzten Rettung von Geschmack und Qualität in der weiten Wüste der erzwungenen Einheitspampe.
Da übersieht man dann gerne, dass gegen diese Firma bereits seit Mai 2013 einen Antrag bei der Staatanwaltschaft liegt, in dem sich die Arche Noah dem Vorwurf gewerbsmäßigen Betruges stellen sollte. Unter anderem geht es in erwähnter Sachverhaltsdarstellung darum, dass die Arche Noah im Namen der Vielfalt überteuert Sorten abgeben soll, die gar keine besonderen sind, behauptet, pflanzengenetische Ressourcen zu retten, die sie selbst von bestehenden staatlichen Genbanken beziehen, und Saatgut zu verkaufen, das Pflanzenkrankheiten übertragen kann.
Angeblich rare, vom Aussterben bedrohte Pflanzen wie Blaue Erdäpfel, Kipfler-Bohnen, Znaimer Gurke, die Paprikasorte Wiener Calvill, Wiener Haferbirne oder Zuckerwurz, Einkorn oder Brünnerling und wie viele der angebotenen Obst-, Gemüse- oder Kornsorten alle heißen - oft marketingstrategisch unterschiedlich bezeichnet - sind in vielen Genbanken gut geschützt, können auch von kleinen Saatgutbeziehern gekauft werden und sind von der EU als Sortenvielfalt anerkannt. Wie zum Beispiel 3.500 Sorten von Tomaten. Wer sich dafür interessiert, wo welches Saatgut in Österreich angeboten wird: http://www.genbank.at , in Deutschland unter anderem: http://www.genres.de.
Wer gegen EU-Verordnungen wettert, sollte sich einmal klarmachen, wozu sie da sind. Im Falle der Saatgutverordnung nicht, um vor allem die teuflische Industrie zu schützen, sondern in erster Linie den Verbraucher. Was man dagegen haben kann, dass verlangt wird, dass das Saatgut rein, besatzfrei, keimfähig, sorten- und formenecht (also unterscheidbar und nicht mit sinnlosen Phantasienamen versehen, die den Konsumenten verwirren) und beständig sein muss, ist unverständlich. Oder dass es phytosanitären Mindeststandards entsprechen muss, um eine Erkrankung der Pflanzen und des Bodens zu vermeiden. Oder dass es sich problemlos weiterzüchten lässt.
Vielfalt ist gut und nützlich. Nicht immer billig, denn viele Sorten eignen sich nicht gut zur Lagerung oder zum Transport und bringen nur schwache Erträge – weshalb sie eben nicht so gerne gepflanzt werden. Doch der EU ständig Dinge vorzuwerfen, die eigentlich viel Nützliches enthalten (nobody ist perfect, keine Frage) ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken oder nachzuforschen, ist erbärmlich.