Wozu sich die USA die Mühe machen, ein ausgefeiltes Spionagenetz für horrende Kosten zu installieren, bleibt Spiegel-Lesern ein Rätsel. Sie erfahren stets, was wirklich Sache ist.
Wie gut, zu wissen, dass ein Türke, der nicht versteht, warum seine beiden Söhne in den Dschihad gezogen sind, auf einem grünen Plastiksessel sitzt, dass seine farblosen Augen tränen und sein Gehstock am Plastikstuhl - vermutlich an jenem grünen - lehnt. Auch höchst informativ, wie Martin Schulz seinen Kaffee trinkt: „...Vor Schulz steht ein Espresso. Er nimmt einen Zuckerwürfel, er schweigt. Schulz wickelt den Zuckerwürfel aus seiner Hülle, und es ist einer dieser Momente, in denen Papier kracht. Es muss nur diese traurige Stille herrschen, dann kracht Papier, fast als würde ein Haus einstürzen. ...“. Wenn man wissen will, wie es weitergeht, wenn die Spannung ins Unermessliche steigt, wird man Gott sei Dank viele Absätze weiter aufgeklärt: „...Nachdem der Zuckerwürfel in den Espresso gefallen ist, findet Martin Schulz heraus aus seiner Traurigkeit. …“.
Szenenwechsel, allerdings ohne besonderen Stilwechsel. Es geht um Mordanschlag im Millionärsparadies Monaco. Und so erfährt man, dass der Chauffeur von Milliardärin Pastor ein Sakko mit hellem Hemd und Krawatte trägt. Leider nicht, welche Farbe das Sakko hatte. Aber dann erfährt man doch noch Intimes über die Reichen und Schönen und wie sie ihren Kaffee am liebsten mögen: „ ...und winkt den Kellner herbei; der Kaffee ist nicht heiß genug, dabei hat sie ausdrücklich heißen Kaffee bestellt. ...“. Jetzt wissen auch wir Unterprivilegierten, dass man sich lauwarmen Kaffee nicht gefallen lassen muss!
Dass es jemandem, der Stimmen hört, passieren kann, dass „...schwarzes Haar ihr über die Schulter fällt…“ ist ein warnender Hinweis. Oder? Was man allerdings mit dem Hinweis anfangen soll, dass, wenn einen Günther Nonnenmacher auf seine schwarze (soso) Ledercouch bittet, Unglaubliches passiert („...die Sekretärin reicht seine Roten Gauloises herein. ...“), bedarf noch längerer Analysen.
So weit aktuelle Zitate aus dem Intellektuellen-Magazin Spiegel.
Aber natürlich wurde man auch in der Vergangenheit nicht ahnungslos den Weltproblemen überlassen. So durfte man erfahren, dass nicht alle Banker mickrige Dünnbrettbohrer sind: „...Einer von ihnen trat am 19. Mai vor dem High Court auf: Steve Bracy aus New York hat ein breites Kreuz, es spannt seinen dunklen Anzug; er könnte auch in einer Footballmannschaft spielen. …“
Ebenfalls erfahren durfte man nicht nur, dass Katrin Göring-Eckardt in ihrem Büro auf einem Trampolin hüpft, sondern auch, was sie da so sieht: Eine Würstchenbude, die Neuland-Fleisch verwendet! Und noch mehr: „...Manchmal kommt ein Mann im Bärenkostüm vorbei, setzt seinen Bärenkopf ab und isst eine Currywurst. ...“. Wahnsinn! Und sie muss das auch noch mitansehen, manchmal. Was sie genau sieht, wenn der Mann mit dem Bärenkopf kommt, ist geradezu erschütternd, sie „...sieht den Bärenkopf neben dem Bärenmann liegen. ...“ Da weiss man endlich, was Politiker so bewegt. Das hätte man wohl nicht gedacht!
Oder wie sie sich kleiden und schmücken, diese Politikerinnen! „An diesem Nachmittag trägt sie ein rosa Seidentop, dazu eine schwarze Hose, hochhackige Pumps, Diamanten am Ringfinger und an den Ohren. Sie hat leicht gewelltes Haar, ein ebenmäßiges Gesicht, helle Haut. ...“. Nein, hier ist nicht von Merkel die Rede, sondern von Stéphanie Villedrouin, Ministerin für Tourismus in Haiti. Merkel hingegen nennt viele bunte Handtaschen verschiedener Größen ihr Eigen – was schon eine Fotostrecke wert ist, schließlich sagt ein Bild mehr als tausend Worte. Und dann erst viele Bilder von vielen Handtaschen!
Leider gab es kein Bild vom Vater des ermordeten palästinensischen Jungen bei der Trauerfeier. Und so erfährt man wenigstens in blumigen Worten, dass er seinen vielgeliebten Marmorkuchen (so nah war ich dran!!!) nicht isst: „...Vor ihm liegt ein in Zellophan verpackter Marmorkuchen. Er hat den ganzen Tag nichts gegessen und getrunken, es ist ja Ramadan. Er isst auch jetzt am Abend nichts. …“.
Wie schön, dass auch Intellektuelle sich um die kleinen Dinge des Lebens kümmern. Daraus ist ja schließlich die Welt zusammengesetzt.