Anleitung zum Glücklichsein im Neuen Jahr
Das wäre doch einmal ein ordentlicher Neujahrsvorsatz: Märtyrer werden! Medienaufmerksamkeit und verständnisvolle Zustimmungsgemeinde garantiert! Mitleid in Massen und von Massen. Aber einfach nur vor sich hin leiden genügt nicht. Da muss man schon gewisse Regeln befolgen und Strategien entwickeln. Deshalb: Aufmerksam weiterlesen.
Ein Geschäftsmodell mit Breitenwirkung
Märtyrer zu sein ist eine Vermarktungsidee, die uns Greenpeace, Global 2000, Vier Pfoten, und was derlei Vereine zur Rettung der Menschheit so um uns sind, bereits seit vielen Jahren mit Bravour vormachen. Sie machten Schluss mit diesen antiken, veralteten Himmelfahrts-Strategien, wo man ja wirklich den eigenen Leib, ja sogar die Jungfräulichkeit opfern musste, verbrannt, aufs Rad geflochten, gevierteilt oder gesteinigt wurde, nur um dann vielleicht in den Himmel zu kommen, wo bei manchen Religionen nicht einmal Jungfrauen zur freien Entnahme auf einen warten. Das spielt sich heute teilweise noch immer ab, aber imponiert keinem mehr so recht – passiert irgendwo und irgendwem, den man nicht kennt, und wer daran Schuld ist, weiß man ohnehin: Die USA, die jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung und die Pharmaindustrie. Und gegen die schimpft man ohnehin, soviel man kann.
Aber hier, in unserer europäischen Mitte, Leib und Lebensqualität für seine Überzeugung zu opfern, womöglich noch zum Nutzen von Kindern, oder von Blumen, Bäumen oder Tieren, (möglichst aussterbenden oder zumindest irgendwann möglicherweise aussterben könnenden) - auch Wasser klingt gut - das hat was!
Da tun sich besonders gerne und intensiv immer wieder Bio-Bauern hervor. Eigentlich die ganze Bio-Bewegung, die ja in ihrer religiös-affinen Aufstellung *) von ihren Jüngern immer wieder Opfer verlangt: Nur ja keine effizienten Pestizide verwenden, lieber große Teile der Ernte opfern oder wirkungslose aber umweltbelastende „Naturmittel“ aufbringen. Lieber in Knochenarbeit Käfer aufsammeln. Lieber die „kosmische Kraft“ mit Kuhhörnern und Quarzen auf die Scholle konzentrieren (nach Rudolf Steiner) und Scheiße auf Feldern entladen, die dann auf dem Gemüse klebt, als dosierbaren Kunstdünger aufbringen und mehr ernten.
Und weil sie so arm und opferbereit sind, werden sie mit ungeheuerlichen Subventionen der EU in ihrem Märtyrerdasein bestärkt: Es geht ja doch. Oder, wie die geistig verwandten Homöopathen zu sagen pflegen: Was wirkt, hat Recht. Was sie nicht dazusagen: Egal, auf wessen Kosten.
Dafür mag nun die EU gut sein - für alles andere gehört sie bei den „Schuldigen für Alles und Jedes“ eingereiht. Das ist bequem, man muss weder vorhandene Denkmuster ändern noch liebe Gewohnheiten stören. Ein wichtiges Gebot für angehende Märtyrer daher: nütze geliebte Feindbilder!
Wichtig: Klein und bescheiden
Eine absolut perfekte Vorbildfunktion als Märtyrerstrategin kann man einer Bioladen-Chefin aus Graz zuerkennen, die bis jetzt alles richtig gemacht hat. Zuerst die Vorgeschichte, wie in einer sofort mitempörten Zeitung zu lesen war: „Es war der 10. Juli 1979. Das Kellerlokal in der Schillerstraße 15 erreichte man über eine steile Treppe, die in das kleine, dunkle und nur halbtags geöffnete Geschäft führte. Die Rechnung wurde anfangs im Kopf erstellt. Die damaligen Studenten Ushij und Rupert Matzer waren eben echte Bio-Pioniere.“
No, ist für den Anfang einer Märtyrerkarriere nicht schlecht. Man hat sich durchgebissen. Das Studium hingeschmissen. Kinder gekriegt. Den banalen Namen Uschi ins finnische Ushij geändert.
Man schimpft gegen Bio-Ketten, betreibt aber selbst bald drei Bioläden, allerdings nur zu zweit (?). Und trotz großen Erfolges, wie immer wieder betont wird („...und das Geschäft florierte…“, „70 Kindergärten werden beliefert.“) mit einem kargen monatlichen Einkommen von 1.400 Euro („Ich bin praktisch nicht exekutierbar.“)
Egal. Offizielle Version: Ushij und ihr Mann betreiben einen Bio(!)Laden, angeblich den ältesten(!) Österreichs, von dem aus sie Kinder(!)gärten mit lakto-vegetarischer(!) Kost beliefert. Ausgezeichnete Voraussetzungen.
Der erfolgreiche Holzweg
Und jetzt die Kür: Wie werde ich zum Opfer. Man nehme irgendwelche Ämter (im Zweifelsfall tut es auch und immer wieder die EU), die kontrollieren und einiges nicht in Ordnung finden. In diesem Fall offene Abfalleimer und alte Holzutensilien (wie brüchige Kochlöffel, kaputte Holzarbeitsplatten etc.), mangelnde Hygieneschulung der Mitarbeiter und die Weigerung, Kühlschrank, Geschirrspüler, Koch- und Auslieferungstemperaturen überprüfen zu lassen. Dass es dabei um allgemeine Hygiene-Vorschriften geht, die jeder vernünftige Mensch begrüßen müsste, um Lebensmittelsicherheit und Gesundheitsvorsorge – geschenkt. Dass diese Beanstandungen Jahre ignoriert wurden und schließlich vor Gericht gingen, dass dadurch schließlich 550 Euro Gerichtskosten anfielen – tut doch nichts zur Sache. Dass es kein Verbot von Holz, keinen Zwang zu Plastik gab – wer weiß das schon. Einfach ein bisschen umformuliert, hier was weggelassen, dort was hinzugefügt, schon gibt das was her für eine Märtyrerkarriere.
Man liefert den Zeitungen und Presseagenturen dann weinerlich „Fakten“, die so ähnlich lauten wie: „Sie wollen mich dazu zwingen(!), Plastik(!) zu verwenden – der Abrieb vergiftet(!) Kinder(!)!“. Oder: „Einen Mistkübel mit Deckel muss ich immer berühren, eine Tretvorrichtung ist nicht sauber zu halten!“ Und die Schulung, die Kontrolle der Gar- und Kühltemperaturen? „Das sind Schikanen!“
Jetzt noch ein wenig Leidensweg und Bereitwilligkeit zum Opfer übertrieben: „Da gehe ich lieber ins Gefängnis!“ (was in dem Fall selbst mit größter Bemühung rechtlich weder gefordert noch möglich ist, wurscht). „Zweieinhalb Tage! Aus Protest(!).“
Und wenn man das dann auch noch knapp vor irgendwelchen Wahlen (in diesem Fall Wirtschaftskammerwahlen im Februar) durchzieht – perfekt! Da freuen sich die Medien und faseln die Politiker: „Ich setze mich liebend gerne mit Frau Matzer die zwei Tage ins Gefängnis, sogar mit Liveübertragung, um die Symbolik zu unterstreichen”, so Kammerpräsident Josef Herk; auch der Präsident der Wirtschaftskammer Österreich möchte da nicht zurückstehen, am liebsten gleich mitkommen und drückt sein Mitgefühl aus: „Ich werde sie besuchen.“ Auch als überlasteter Politiker muss man Prioritäten setzen.
Jetzt noch ein bisschen Weltfrieden zum Drüberstreuen: “Herzlichen Dank an Alle und ich hoffe, dass mehr Menschen den Mut finden, sich zu wehren, wenn es um ihre Grundrechte auf gesunde Ernährung und Freiheit im Denken geht.”, so Ushij auf der Homepage an ihre begeisterte Jüngerschar.
Und fertig ist das Märtyrerpaket, das Rauschen und Brausen in den Redaktionen beginnt:
Skandal! Gefängnis, da Holzkochlöffel verboten! EU schreibt Plastik-Utensilien vor!
Oder
Fürs Holzbrett ins Gefängnis
oder
Kochlöffel-Rebellin geht ins Gefängnis
Wir fassen als Märtyreranleitung zusammen:
a) richtiges Thema wählen - Kindern, Blumen, Bäume, (aussterbende) Tiere, Wasser ...
b) entbehrungsreiche Vorgeschichte vorweisen (zusammenbauen)
c) ein beliebtes Feindbild finden
d) ein einfaches, jedem bekanntes, möglichst harmloses Utensil, irgendeine Tradition herauskramen und sich auf die Fahne heften
e) stur zu seiner Überzeugung stehen
e) sich als weit übertrieben bestrafte Unschuld generieren
f) möglichst vor Wahlen an die wahrscheinlich sympathisierenden Politiker wenden
Als Sahnehäubchen kann man noch das passende Aussehen in die Schlacht werfen, wie, das reime sich der geneigte Leser selbst zusammen oder orientiere sich wieder an unserer Ushij.
Deshalb gebührt ihr, die wirklich nichts falsch gemacht hat, zum Jahresende auch die Goldene Dornenkrone mit Kreuz am Gängelband.
Und Ihnen, edle Leserschaft, viel Glück auf dem Weg zum „Märtyrer 2015“.
*) siehe „Bio Ketzer Buch“, Elisabeth Hewson & Doc Farmwell, Signum Verlag