Giuseppe Gracia, Gastautor / 07.08.2017 / 18:15 / 5 / Seite ausdrucken

Helden der Freiheit nur noch im Kino

Von Giuseppe Gracia.

Eine beliebte Platitüde unserer Zeit lautet, dass die Gesellschaft durch den geringeren Einfluss von Kirche und Religion freier und kritischer geworden sei. Trotzdem erleben wir seit dem Verdunsten des Christentums kein Heranwachsen geistiger Freiheiten, sondern wie in vielen Jahrhunderten nur den Stabwechsel von einer moralischen Macht zur anderen.

Inzwischen ist die moralische Macht weniger zentral und fassbar wie zu Zeiten des römischen Senats. Es herrscht eher eine frei schwebende, digitale Schwarmintelligenz, die aber nicht weniger Einfluss hat. Die Konformität des Denkens und das Aneignen mehrheitsfähiger Meinungen scheinen heute sogar besonders ausgeprägt. Durch die sozialen Medien werden menschliche Angelegenheiten öffentlicher und transparenter, was den Anpassungsdruck erhöht. Gedanken zu vertreten, die deutlich anders sind als andere und die möglicherweise derart auffallen, dass sie der Karriere schaden, gilt eher als Dummheit denn als Ausdruck persönlicher Freiheit. War es früher das kaiserliche oder religiöse Denken, das Dogmen vorgegeben hat, so übernehmen dies heute Opinion Leaders aus Medien, Politik und Kultur.

Zu beobachten ist das etwa beim Thema Ökologie. Dazu meinte Professor Silvio Borner von der Universität Basel kürzlich in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), der Klimawandel sei „zum religiösen Ersatz für die Hölle verkommen“. Der Professor hat recht. Bei diesem Thema herrscht ein Dogma, das sich so zusammenfassen liesse: „Der globale Klimawandel ist menschengemacht. Die Natur liegt in unsrer Hand, nicht umgekehrt.“ Wer an diesem Dogma öffentlich zweifelt, gilt als Klimaleugner und Naturfeind.

Ein anderes Beispiel wäre das Thema Islam. Hier lautet das Dogma: „Terroranschläge, Unterwerfung der Frau, Christenverfolgung und Judenhass haben nichts mit dem Islam zu tun. Das ist ein Missbrauch der Religion für einen politischen Kampf gegen den Westen, den wir übrigens selber verursachen (Kolonialismus, Nahostpolitik, Waffenindustrie).“ Wer an diesem Dogma öffentlich zweifelt, gilt als Feind des Islam und der friedlichen Koexistenz der Kulturen.

Überhaupt die Migrationspolitik. Hier lautet das Dogma: „Migranten sind Opfer des westlichen Imperialismus. Deswegen müssen wir möglichst viele aufnehmen, als Wiedergutmachung und als Bereicherung unserer Monokultur.“ Wer an diesem Dogma öffentlich zweifelt, gilt als Rassist und Neofaschist.

Es gibt kaum ein umstrittenes Thema, bei dem das Abweichen vom herrschenden Dogma ungestraft bleibt. Oft erfolgt der Ausschluss aus der Glaubensgemeinschaft weltoffener Humanisten. Im Regelfall vermindert das alle Chancen auf eine höhere Position in Politik, Kultur und Bildung.

Das sind natürlich Tatsachen, die niemand gern zugibt. Aber das spielt keine Rolle. Entscheidend ist nicht, was die Leute zugeben, sondern wie sie handeln. Wobei es einfach zu beobachten ist, dass sich die meisten Menschen im öffentlichen Raum an die geltenden Dogmen halten und persönliche Risiken meiden. Helden der Freiheit überlässt man lieber dem Kino.

Giuseppe Gracia (49) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur. Sein neuer Roman „Der Abschied“, ist im Bucher Verlag erschienen.

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Leserpost

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P. Gossner / 08.08.2017

Ausgezeichneter Beitrag. Genauso ist es. Und die meisten stört das nicht, viele merken es gar nicht - sie haben keinen eigenen Verstand, außer, wenn es um ihre (beruflichen) und sonstigen Vorteile geht.  Anpassung und Kuschen ist alles - speziell in Deutschland.  Es gibt immer nur Eine richtige Meinung in diesem Land - wie bereits aus der Geschichte bekannt.

Winfried Sautter / 07.08.2017

... das entscheidende Manko dieser neuen Dogmen: Sie haben kein Transzendenz-Versprechen. Wer ihnen folgt, kann noch nicht einmal sicher sein, dass er/sie erlöst sein wird. Es bleibt nur das kleine und erbärmliche Einrichten im Diesseits.

Andreas Arndt / 07.08.2017

Tja und eines Tages werden Ihre Kinder sagen: Wie habt Ihr das nur zulassen können? Sie fühlen sich dann wider moralisch überlegen, wie sich Ihre Eltern auch moralisch überlegen gefühlt haben. Im Ernstfall aber sind 92% der Bevölkerung Opportunisten. Insbesondere wenn sie Brot und Spiele geboten bekommen und mit Scheinproblemen und Scheinskandalen abgelenkt werden. Man fühlt sich von VW betrogen, weil Abgaswerte, die niemandem real schaden, nicht eingehalten werden. Aber, dass unsere Gesellschaft destabilisiert, die Energieversorgung ruiniert und die Ersparnisse entsorgt werden merkt keiner, Weil is nicht in der Tagesschau kommt.

Renate Menges / 07.08.2017

Sehr geehrter Herr Gracia, vielen Dank für Ihren Artikel. In der DDR habe ich gelernt, dass jeder Mensch seinen Preis hat, jeder. In der BRD habe ich gelernt, dass die meisten Menschen halt recht billig zu haben sind.

Udo Kemmerling / 07.08.2017

Kurz zusammengefasst, warum ich trotzdem Afd wähle.

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