Politik an sich ist eine schöne Sache. Als Politiker kommt man bzw. frau rum, wird meist ordentlich bezahlt, kann nebenbei Bücher schreiben und Vorträge halten, muss sich um seine Altersversorgung nicht kümmern, und wenn es daheim vorbei ist, wird man mit einem Job bei der EU in Brüssel getröstet.
Wenn da bloß nicht ein paar Risikofaktoren wären. Wahlen zum Beispiel können eine Politikerkarriere ruinieren. Zwölf Jahre lang war Heide Simonis (SPD) Ministerpräsidentin von Schleswig Holstein, als die dann abgewählt wurde, konnte sie es nicht fassen. „Und was wird aus mir?“, fragte sie verzweifelt. Bald darauf hatte sie sich wieder gefangen und trat in der RTL-Show „Let’s dance“ auf - aber nur um als UNICEF-Botschafterin für das Kinderhilfswerk zu werben.
Und nun Claudia Roth. Sie hatte eine Urwahl der grünen Spitzenkandidaten für die kommende Bundestagswahl durchgesetzt, in der sicheren Erwartung, von der Basis gekürt zu werden. Als die Stimmen aber ausgezählt waren, lag sie abgeschlagen auf dem vierten Platz – hinter dem alterten Jürgen Trittin, der biederen Katrin Göring-Eckart und der säuerlichen Renate Künast.
Shit happens, könnte man sagen, mit so was muss ein Politiker fertig werden, wie ein Boxer mit einem verlorenen Kampf. Aber Roth nahm es persönlich. Sie zog sich für ganze zwei Tage aus der Politik zurück – die längste Zeit, die man sie nicht in den Nachrichten gehört oder in einer Talk-Show gesehen hatte – und als sie dann letzten Montag aus dem inneren Exil wieder auftauchte, da war sie eine ganz andere.
Statt der üblichen bunten Klamotten trug sie ein schwarzes Kleid, hatte verheulte Augen und sprach mit belegter Stimme bedeutungsschwere Sätze. „Es geht in erster Linie nicht um mich, es geht… nicht um meine Enttäuschung, sondern es geht um etwas Wichtigeres, es geht um die Ablösung von Schwarz-Gelb.“ Nach dieser Niederlage habe sie daran gedacht, als Vorsitzende der Grünen aufzugeben, aber sie habe „so viel Zuspruch“ aus der gesamten Partei erhalten, dass sie beschlossen habe, der Partei zuliebe weiterzumachen.
Am nächsten Wochenende werde sie sich beim Parteitag der Grünen zur Wiederwahl als Vorsitzende stellen.
Und da kann eigentlich nichts schief gehen. Es gibt keinen Gegenkandidaten.
Erschienen in der Weltwoche vom 15.11.12