Gastautor / 24.10.2016 / 06:00 / Foto: Ringtomirans / 3 / Seite ausdrucken

Fernöstliche Demokratur: Warum ist China so erfolgreich? (1)

Von Jochen Heistermann

Ich bin in dem Bewußtsein aufgewachsen, es gebe nur zwei maßgbliche politische Systeme: Die Demokratie mit der freien Marktwirtschaft und den Sozialismus mit seiner staatlich gelenkten Planwirtschaft. Ferner war ich überzeugt, das demokratische System sei dem Sozialismus überlegen, was sich vor allem an den Lebensbedingungen der Menschen in den jeweiligen Ländern zeigte. Offenbar war auch Michail Gorbatschow dieser Meinung und leitete während seiner Amtszeit als Parteichef der KPdSU von 1985 bis 1991 das Ende der Sowjetunion sowie ihrer Satellitenstaaten ein.

Ich sah die westliche Demokratie als Endpunkt einer Entwicklung, die nach Kriegen, Elend, feudalistisch-mittelalterlichen Gesellschaften sowie nach der französischen Revolution, der Aufklärung und der wissenschaftlich-technischen Revolution zur Entstehung und Vollendung moderner Staaten geführt hat. Zwar bestanden noch viele Probleme, aber schon Winston Churchill sagte treffend, Demokratie sei die schlechteste aller Regierungsformen, doch kenne er kein besseres System.

Etwa zur Jahrtausendwende hatte ich erstmals beruflich mit Chinesen zu tun. Es kamen recht schnell auch politische Themen zur Sprache. Ich war der Ansicht, die Volksrepublik werde sich demokratisieren und der Kommunismus chinesischer Prägung ähnlich zusammenbrechen wie der des Ostblocks. Nach meiner damaligen Einschätzung konnte das politische System der rasanten Entwicklung der Bildung und Technik in China nicht mehr folgen.

Aber zu meiner Überraschung erklärten mir die Chinesen, die Herrschaft der KP passe sehr gut zu dem Land und der Staat steuere die schnelle Entwicklung des Landes perfekt. Ein anderes System würde China zusammenbrechen lassen bzw. in Einzelteile zersplittern. Außerdem sagten sie, China sei gar nicht kommunistisch. Vielmehr stehe das Land in der Tradition seiner 4000 Jahre alten Hochkultur, die sogar die westlichen Demokratien überleben werde.

Stärken und Vorteile, die im Westen oft übersehen werden

Knapp 15 Jahre später bin ich mit einer Chinesin verheiratet (die so denkt wie meine früheren Gesprächspartner) und habe erkannt, dass China tatsächlich ein eigenes politisches System hat. Es ist völlig anders als unseres, enthält jedoch wesentliche stabilisierende Faktoren. Westliche Medien berichten oft über die Schwächen und Nachteile des Systems, die sich ja auch nicht leugnen lassen: Verstöße gegen Menschenrechte, Einschränkungen der Meinungsfeiheit, Anwendung der Todesstrafe, Ein-Parteien-Herrschaft, Vetternwirtschaft und Korruption, fehlende Rechtsstaatlichkeit. 

Aber die Volksrepublik hat auch Stärken und Vorteile, die oft unbeachtet bleiben. Darauf möchte ich mit diesem Beitrag hinweisen und zu bedenken geben, dass China damit Jahrtausende als Nation und Kultur überlebt hat. Vielleicht können wir im Westen das Land dann besser verstehen und einiges vom „Reich der Mitte“ lernen, ohne sein System zu befürworten oder sogar kopieren zu wollen. Letzteres wäre in Europa weder möglich noch erstrebenswert.

China ist flächenmäßig etwa so groß wie die USA und damit ca. 30 mal größer als Deutschland. Das Land hat derzeit über 1,3 Milliarden Einwohner und damit mehr als die EU, Russland und die USA zusammen. China rechnet seine Geschichte bis zur Xia-Dynastie zurück (etwa 2200 – 1600 v. Chr.). Schriftliche Aufzeichnungen existieren seit der darauf folgenden Shang-Dynastie. China bestand aus vielen Königreichen und Fürstentümern, die aber von Anfang an autoritär geführt wurden. Im Jahre 221 v. Chr. wandelte sich China in ein Kaiserreich um, das bis 1912 Bestand hatte.

„Jahrhundert der Schande“

Die Republik China, die 1912 ausgerufen wurde, stand nie unter einem guten Stern. Bürgerkrieg und die Besetzung Chinas durch Japan führten dazu, dass sich die Regierung nach Taiwan zurückzog. Die Volksrepublik China wurde nach dem Sieg der Kommunisten im chinesischen Bürgerkrieg am 1. Oktober 1949 von Mao Zedong auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking ausgerufen und hat bis heute Bestand.

Die 100 Jahre vor dem 1. Oktober 1949 gelten als „Jahrhundert der Schande“, da das Land wegen innerer Zerrissenheit leichte Beute der Europäer und Japaner war. Sie haben das schwache China besetzt und geplündert, ohne dass sich das Land dagegen wehren konnte.

Es ist wichtig, zu wissen, dass die Chinesen diese schlimme Zeit vor allem auf die innere Spaltung und Zerrissenheit des Landes zurückführen, und dass diese Erfahrung für sie ähnlich traumatisch ist wie etwa für Deutsche und Europäer das „Dritte Reich“. Nicht zuletzt deshalb wünschen sich viele Chinesen einen starken Staat und eine Abschottung ihres Landes zur Außenwelt, um die Souveränität des Landes zu sichern.

Die Wende zur Marktwirtschaft

Chinas Kommunisten regieren das „Reich der Mitte“ als alleinige politische Kraft. Viele Chinesen sehen in dieser Form der Führung eine geradezu logische Fortsetzung des Kaiserreichs. Mao nimmt trotz desaströser Politik mit Millionen von Toten einen Ehrenplatz in der chinesischen Geschichte ein. Gefördert von der staatlichen Propaganda, betrachten zahlreiche Chinesen den roten Diktator vor allem als Wiedervereiniger des Landes, der das „Jahrhundert der Schande“ beendet und die verlorene Selbstbestimmung wieder hergestellt habe. Seitdem herrscht in China die Überzeugung vor, die Stärke der Nation sei ein Eckpfeiler für das weitere Bestehen der eigenen Kultur.

Aus meiner Sicht spricht aber nichts dagegen, das kommunistische System durch ein demokratisches abzulösen, das die konservative Politik weiterführt. Dazu sagen mir Chinesen, das sei bereits geschehen: In der Amtszeit von Deng Xiaoping, der als Parteichef von 1979 bis 1997 die Volksrepublik geführt hat. Deng war berühmt dafür, komplexe Sachverhalte mit einfachsten Metaphern (meist aus der Tierwelt) darzustellen: „Es spielt keine Rolle, ob die Katze schwarz oder weiß ist; solange sie Mäuse fängt, ist sie bereits eine gute Katze“, lautete seine bekannteste Äußerung. Damit spielte er auf die Politik unter Mao an, bei der im Rahmen von sozialistischen Fünfjahresplänen genau vorgeschrieben wurde, was wirtschaftlich zu tun sei, und das Volk permanent erzogen und belehrt wurde.

Klassischer Kommunismus stillschweigend abgeschafft

Deng hielt es für übermenschlich, dass Funktionäre in Peking genau wissen konnten, wie man in dem ganzen riesigen Reich arbeiten muss und was, wo und mit welchen Methoden und Mitteln herzustellen sei. Er richtete Sonderwirtschaftszonen ein, um an deren Ergebnissen abzulesen,  wie gut sie liefen. Ob das nach streng kommunistischen Regeln geschah oder einfach pragmatisch, war ihm egal.

Der Erfolg dieser Politik war so deutlich, dass Deng sie auf ganz China ausgedehnt hat. Damit wurde der klassische Kommunismus stillschweigend abgeschafft, jedenfalls nach ideologischen Maßstäben. Alledings gilt das nur für das Wirtschaftssystem, im politischen und kulturellen Raum blieben grundlegende Reformen weitgehend aus. Noch im Juni 1989 ließ das Regime die Demokratiebewegung blutig niederschlagen.

Dr. Jochen Heistermann hat in theoretischer Informatik promoviert. Er war dann selbstständig und lebt nun als Privatier am Bodensee.

Lesen Sie morgen im zweiten Teil:  Das Land ist nicht demokratisch und will es im Grunde auch gar nicht sein. Es praktiziert eine Art „Gulasch-Kommunismus“: Als Gegenleistung für politische Ruhe ermöglicht das Regime immer mehr Bürgern zunehmenden Wohlstand und maximale innere Sicherheit. Viele Chinesen glauben an die Überlegenheit des Systems. 

Foto: Ringtomirans CC BY-SA 3.0 via Wikimedia

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Peter Schweiger / 24.10.2016

Sie sind so erfolgreich weil sie NULL auf Umweltschutz geben(in mindestesn 1 Gegend müssen Menschen die Obstbäume bestäuben weil es keine Bienen mehr gibt.Reis wird mit Kunststoffe gestreckt))und in diesem neuen Sozialismus werden Schwerkranke auch nur behandelt wenn sie zahlen können. Die Wirtschaft funkt. dort eh nur auf dem Papier.Millionen Städte stehen leer,Stahl liegt nutzlos rum da ihn keiner will etc. Und mit der 1 Kind Politik hat sich China selbst zerstört.Wer soll die Arbeit dort bald machen?Wer die Alten pflegen? Man könnte Inder importieren.Nur die haben meistens keine Bildung.Wird wohl aber trotzdem geschehen. ps:Ich frage mich warum China keine Flüchtlinge aufnimmt,ja noch nicht mal die mit Geld wollen sie haben,obwohl wie schon gesagt ganze Städte leerstehen.Soviel zum Internationalen Sozialismus.

Jedediah M Schmitz / 24.10.2016

Ich behaupte, da Sie aus dem Bereich Technik und Naturwissenschaften kommen (so wie ich), gibt Ihnen das einen unverstellteren und neutraleren Blick auf China. Die weit überwiegende Anzahl von Mediendarstellung zu China wird von Autoren aus den Bereich Geisteswissenschaften produziert. Und ich behaupte, dass der Blick dieser Autoren oft verstellt ist. Die Demokratieforderung wird hier wie eine (Heils-)Ideologie vorgetragen, ohne Rückkopplung durch Beobachtungen an den “durchschnittlichen Menschen”. Diese müssen doch letztendlich die Träger einer funktionierenden Gesellschaftsform sein, nicht ein Minderheit Philosophierender mit Wunschvorstellungen. Und da stelle ich durchschnittlicher Mensch an mir und meinen durchschnittlichen Mitbürgern fest, dass wir gar nicht wild “aufbegehren”. Wir wollen mit unseren Familien ein vernünftiges Leben führen. Der Staat soll Schutz bieten, vor Kriminalität, Unglücksfällen, Altersarmut. Ein Staat mit innerem Zusammenhalt und Stabilität ist sehr wichtig. Leider etwas, was in Deutschland gerade geopfert wird für die bekannten ideologischen Phantasien von Grün und Links. Tja, und die anderen Einschränkungen und negativeren Erscheinungen, die Sie für China genannt haben, gibt es auch hier. Auch wenn man sie hier nicht so nennt, sondern zB “politisch korrektes Sprechen”.

Martin Lederer / 24.10.2016

Vielleicht gilt einfach: It’s the economy, stupid. Die BRD war deshalb so beliebt, weil sie wirtschaftlich so erfolgreich war. Auch die EU war so beleibt, weil sie auch für wirtschaftlichen Erfolg in den Staaten sorgte. Und die UdSSR ging unter, weil sie eben nicht wirtschaftlich erfolgreich war.

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