Thomas Rietzschel / 03.08.2016 / 18:15 / 8 / Seite ausdrucken

Fauler Zauber im Hohen Haus

Die Heuchler machen Druck. Die SPD hat ihrer Genossin Petra Hinz vorgeworfen, was sie nicht einmal Thilo Sarrazin und Sebastian Edathy, dem kunstsinnigen Liebhaber erotischer Knabenbilder, unterstellen wollte: „Schweres parteischädigendes Verhalten“. Die Genossin soll sich schnellstens vom Acker machen, ihren Krempel packen und den Bundestag stante pede verlassen. Allein Frau Hinze möchte noch ein bisschen Katz und Maus spielen. Erst Mitte September, ließ sie unterdessen verlauten, werde sie mit dem Bundestagspräsidenten über einen möglichen Mandatsverzicht sprechen. Die Parteiführung schäumt; die Medien ereifern sich über die „Dreistigkeit“ und die „Raffgier“ der Hochstaplerin.

Nur, was hat die Frau eigentlich verbrochen, dass ihresgleichen jetzt glaubt, sich moralisch aufplustern zu müssen? Sicher, sie hat ihren Lebenslauf frisiert, hat sich akademische Abschlüsse zugeschrieben, die nur in ihrer Phantasie existierten. Die Examina waren ebenso erfunden wie die juristische Berufserfahrung, mit der sie Eindruck schinden wollte. Der Erfolg gab ihr dann lange recht. Im Vertrauen auf die vorgetäuschte Qualifikation wurde Petra Hinz unter anderem in den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages entsandt. Ein Sachverhalt, der normalerweise den Straftatbestand der Urkundenfälschung erfüllen würde.

Wie aber verhält es sich damit in der intellektuell verlotterten Gesellschaft unserer Tage? Hat sich die Dame da nicht schlichtweg nach den Spielregeln eines Gemeinwesens verhalten, in dem der Schein mehr gilt als das Sein? Haben ihre Genossen im Verbund mit den anderen Parteien über Jahrzehnte hin nicht alles getan, die höhere Bildung derart zu entwerten, dass die akademischen Titel wohlfeil wurden, ihr Missbrauch zum Kavaliersdelikt schrumpfte und sich jedermann ein Jux daraus machen konnte, ihre Träger zu verspotten?

Gerhard Schröder und der "Professor aus Heidelberg"

Erinnert sei nur an Gerhard Schröder, wie er sich einst über Paul Kirchhof, den „Professor aus Heidelberg“, lustig machte. Oder an Angela Merkel, die den überführten Plagiator Karl-Theodor zu Guttenberg mit der Bemerkung verteidigte, sie habe das „politische Talent“ schließlich „nicht als wissenschaftlichen Assistenten“ eingestellt.

Nein, ich will mich hier nicht zum Anwalt der Hochstapler und schon gar nicht zu dem von Petra Hinz aufschwingen. Wer die Bürger, die er zu vertreten vorgibt, so unverschämt beschwindelt, wie sie es getan hat, sollte im Bundestag - und jeder anderen Volksvertretung - nichts zu suchen haben. Pure Heuchelei jedoch ist es, wenn ihr der Prozess jetzt ausgerechnet von denen gemacht, die es soweit haben kommen lassen.

Die des Betrugs überführte Genossin mag in einem oder in zwei Monaten, vielleicht auch erst zum Ende der Legislaturperiode aus dem Parlament ausscheiden. Die Diäten, die sie bis dahin bezieht, werden das Land nicht ruinieren. Viel bedrohlicher sind die Zustände, die solchen Karrieren Vorschub leisten. Wie muss es um die SPD und den Deutschen Bundestag bestellt sein, wenn da Frauen oder Männer aufsteigen können, bloß weil sie behaupten, über diese oder jene Qualifikation zu verfügen, Abschlüsse zu haben, deren Nachweis niemand einfordert? Wie viele Rosstäuscher mögen sich da noch bei den Parteien und im Hohen Haus eingeschlichen haben?  

Den Heuchlern, die jetzt Druck machen, ist nicht zu trauen. Ihre versprochene „Aufarbeitung“ riecht nach dem faulen Zauber, mit dem sie das Volk seit jeher einzulullen versuchen. Auch den Fall der Petra Hinz hätten sie vermutlich weiter unter der Decke gehalten, hätten ihre Mitarbeiter nicht den Stein ins Rollen gebracht, weil es ihnen langsam zu dumm wurde, sich von der durchgeknallten "Juristin" schikanieren zu lassen. Am Ende, irgendwann, geht eben doch wieder alle Macht vom Volke aus, hoffentlich.

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Leserpost

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B.Kröger / 04.08.2016

Ein Jurastudium war und ist für die Karriere ausgesprochen förderlich, nach “vertrauenswürdiger Art” fragt Sie niemand.  Das wußte auch Frau Hinz ganz genau.

Vaclav Endrst / 03.08.2016

Der Fisch stink vom Kopf heißt ein Spruch. Wie ist es mit unsere Kanzlerin? Doktor der Physik? Habe ich dort was übersehen? Ihre Dissertation ist echte Physikochemische Natur.  Wie kann es ein einfacher Wähler auseinander halten - schwierig. Aus dem Grund bleiben wir lieber bei Dr. der Physik, obwohl eigentlich die Sparte der Chemie zugeschrieben ist, aber kling halt nicht so populär.

Maria Ölllinger / 03.08.2016

Ich kapiere das ganze Theater nicht - die Dame muss ja prinzipiell überhaupt gar keine Qualifikation haben, um in den Bundestag zu kommen. Dahin wird man immer noch gewählt, und jeder kann MDB werden - auch ein ungelernter Arbeiter mit fehlendem Hauptschulabschluss. Ich frage mich vielmehr, was in einem demokratischen Land eigentlich los ist, in dem Leute ohne jede Ausbildung sich so mies fühlen und so gemobbt werden, dass sie einen Ausbildungslebenslauf erfinden müssen. Denn das ist doch wohl das eigentliche Problem! Das muss hier nämlich gefragt werden - ebenso wie bei zu Guttenberg, bei dieser FDP-Frau (Name vergessen), wie bei Frau Schavan etc. Es gab Zeiten, da konnten einfache Sattler Reichspräsident werden… und waren nicht schlecht… und wie viele Akademiker hatten wir schon, die nichts taugten.

Dr. Karl Landscheidt / 03.08.2016

Dabei war alles Täuschen überflüssig, gibt es doch unter den Volksvertretern diverse, sagen wir bildungsferne Personen, die aus ihrer gescheiterten Ausbildung keinen Hehl (mehr) machen. Gescheiterte Theologinnen, Theaterwissenschaftlerinnen, oder auch Taxifahrer und Fremdenführer u.v.a.m..

Ronald M. Hahn / 03.08.2016

Bedenklich ist, dass sich in einem Parlament, in dem vermutlich zweihundert Juristen rumsitzen, nicht einer gefunden hat, der diese Hochstaplerin entlarvt hat. Das dürfte doch für jemanden vom Fach ein Kinderspiel sein.

Christoph Andreas / 03.08.2016

“Wie muss es um die SPD und den Deutschen Bundestag bestellt sein, wenn da Frauen oder Männer aufsteigen können, bloß weil sie behaupten, über diese oder jene Qualifikation zu verfügen, Abschlüsse zu haben, deren Nachweis niemand einfordert? “ Ich halte die Fragestellung für falsch. Der “Beruf” Politiker ist einer der ganz wenigen, bei dem keinerlei berufliche Qualifikationen notwendig ist. Warum hätte die SPD danach fragen oder diese überprüfen sollen? Frau Hinz hätte es nicht nötig gehabt, eine Ausbildung zu türken. Bedenklich ist, dass dies offensichtlich einige Genossen in der Essener SPD seit Jahren wussten und schwiegen.

Dietrich Herrmann / 03.08.2016

“Wenn auch die Fähigkeit zu täuschen ein Zeichen von Scharfsinn und Macht zu sein scheint, so beweist doch die Absicht zu täuschen ohne Zweifel Bosheit oder Schwäche.” René Descartes und “Man sehe sich Menschen an, die eine Ikone küssen, an sie heran kriechen, sie anbeten und fürchten. Wenn es möglich war, Menschen in dieser Weise zu betrügen, dann gibt es keine Täuschung, der sie nicht erliegen würden.” Leo Nikolajewitsch Graf Tolstoi und “Schließt eure Herzen sorgfältiger als eure Tore. Es kommen die Zeiten des Betrugs, es ist ihm Freiheit gegeben. Die Nichtswürdigen werden regieren mit List, und der Edle wird in ihre Netze fallen.” Johann Wolfgang von Goethe

Peter Sonstwas / 03.08.2016

Sie setzen voraus, dass Hinz wegen ihres Titels gewählt wurde. Woher wissen Sie das? Vielleicht wurde sie ja gewählt, weil sie eine vertrauenswürdige Art hat. Oder weil sie etwas für ihren Wahlkreis geleistet hat.

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