Von Volker Seitz
Im kleinsten Festlandstaat Afrikas, Gambia, steht offenbar zum ersten Mal seit der Unabhängigkeit 1965 ein friedlicher Machtwechsel bevor. Noch am Wahltag hatte „Seine Exzellenz Sheikh Professor Alhaji Dr. Yahya AJJ Jammeh Babili Mansa“ (wie der Präsident sich offiziell anreden ließ) angekündigt, dass er „eine Milliarde Jahre“ lang regieren werde, wenn „Allah das wünscht“. Nun scheint Adama Barrow die Wahl für sich entschieden zu haben.
Yahya Jammeh hatte sich 1994 im Alter von 28 Jahren an die Macht geputscht und war davon ausgegangen, dass „kein Sterblicher“ ihm „die Präsidentschaft nehmen kann“. Er wollte sich zum 5. Mal wiederwählen lassen. Mit dunkler Sonnenbrille fuhr er auf seiner Hummer Limousine siegesgewiss durch das Land. Oppositionsparteien wurden behindert und Journalisten lebten gefährlich. Human Rights Watch prangerte ein Spitzelsystem und häufige unnatürliche Todesfälle an. Die UN vermutete schwere Verstöße gegen internationale Standards für Gefängnisse: Überfüllung, mangelhafte Ernährung, unzureichender Zugang zu medizinischer Versorgung und schlechte sanitäre Einrichtungen.
Gambia ist derzeit eines der Hauptherkunftsländer für Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa wollen. Politische Verfolgung hatte seit einem gescheiterten Putschversuch gegen Jammeh Ende 2014 stark zugenommen, berichten Menschenrechtsgruppen. Viele junge Männer sahen nur in der Emigration eine Zukunftschance. Mehr als 15.000 Gambier kamen bislang nach Europa.
Dies ist eine riesige positive Überraschung
Ich beschäftige mich seit vielen Jahren mit den Mächtigen in Afrika, aber dass ein Staatschef mit unbeschränkter Macht und einem gewaltigen Überwachungsapparat nach einer Wahlniederlage widerstandslos seinen Posten räumt, ist ohne Beispiel. Dies ist eine riesige positive Überraschung, auch für die sonst gut unterrichtete BBC. Kaum jemand rechnete mit freien Wahlen. Europäische Wahlbeobachter waren nicht zugelassen. Noch vor Auszählung aller Stimmen hat der Amtsinhaber seine Niederlage eingestanden.
Die Wahl hatte noch in einem Klima der Angst stattgefunden. Unter Yahya Jammeh hat es immer wieder willkürliche Verhaftungen, Folter in Polizeigewahrsam und Entführungen gegeben. Im Vorjahr hatte Jammeh Gambia zur „Islamischen Republik“ erklärt und die Einführung der Sharia angekündigt. Jammeh trat seither nur noch mit dem Koran und der Gebetskette auf. Homosexuellen drohte er an, sie eigenhändig zu enthaupten. Er nannte sie „Ungeziefer“ und kündigte an, sie „wie Moskitos“ zu jagen. Dem US-Nachrichtendienst „Vice News“ zufolge hielt Jammeh eine Rede vor Bauern in einem Dorf, in der er in Bezug auf Homosexualität sagte: „Wenn ihr es tut, werde ich euch die Kehle durchschneiden. Wenn du ein Mann bist und einen anderen Mann heiraten willst und wir dich erwischen, wird niemand dich je wiedersehen und kein Weißer kann da irgendetwas tun.“
Seit 2007 „heilte“ Präsident Yahya Jammeh HIV-Infizierte mit einer Creme und einem Gebräu aus Pflanzen. Diese fragwürdigen Methoden behindern den Kampf gegen Aids und halten Patienten von Medikamenten und überlebenswichtigen Therapien fern.
Der neue muss das Klima der Angst aufarbeiten
Der Wahlgewinner, Adama Barrow, war bereits mehrfach erfolglos gegen Jammeh angetreten. In diesem Jahr wurde er von einem Bündnis von acht Parteien unterstützt. Er war Leibwächter des früheren, von Jammeh gestürzten Präsidenten Dwada Jaware gewesen, danach Immobilienunternehmer. Dreieinhalb Jahre lebte er in Großbritannien. Gambia war bis 1965 britische Kolonie. Von Barrow wird erwartet, dass Gambia dem Commenwealth of Nations, den das Land 2013 verlassen hat, wieder beitreten will.
Barrow muss vor allem das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen und das Klima der Angst der letzten 22 Jahre aufarbeiten. Dazu gehört auch, die zahlreichen politischen Gefangenen freizulassen. Arbeitsplätze wird er in einem der ärmsten Staaten der Welt nur in der Landwirtschaft und im Tourismus fördern können. Es gibt so gut wie keine Industrie.
Auf dem UN-Entwicklungsindex, der unter anderem Lebenserwartung, Schulbildung und Pro-Kopf-Einkommen berücksichtigt, belegt Gambia Platz 151 von 169 Ländern. Nach Erkenntnissen der Vereinten Nationen leben sechzig Prozent der auf 1,9 Millionen Menschen geschätzten Bevölkerung in Armut.
Ein friedlicher Machtwechsel ist in Afrika ein echter Fortschritt. Sollte sich Adama Barrow wirklich dem Rechtsstaat verpflichtet fühlen und ein echter Wechsel in dem Land einkehren, wäre dies ein positives Ereignis. Die Bevölkerung wird sich nach meinen Erfahrungen mit dem neuen System identifizieren, wenn es Menschenrechte achtet, wenn eine glaubhafte Politik Gemeinwohl formulieren und durchsetzen würde, und dies eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Masse der Menschen zum Ziele hat.
Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“, das im Herbst 2014 in erweiterter siebter Auflage bei dtv erschienen ist.