Hansjörg Müller / 19.02.2012 / 11:32 / 0 / Seite ausdrucken

Eher Nixon als Bush

Der Vorwahlkampf der amerikanischen Republikaner hat in Europa, vorab im deutschsprachigen Raum, liebgewordene Ressentiments bestätigt: Laut und schrill ging es zu, persönliche Angriffe dominierten, politische Argumente kamen, wenn überhaupt, nur am Rande vor. Keiner der Kandidaten vermochte so recht zu überzeugen. So sehen wir Europäer die Amerikaner gern: vulgär, unbelehrbar, potenziell gefährlich. Über all dem kleinlichen Gezänk, so sehen es europäische Kommentatoren, steht der Harvard-Absolvent Barack Obama wie die personifizierte Vernunft. Sind die republikanischen Thronprätendenten erst einmal pauschal für Simpel erklärt worden, ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit deren politischen Positionen nicht mehr notwendig. Dabei lohnt es sich, den Unterschied zwischen verschiedenen Strömungen des amerikanischen Konservatismus einmal näher zu betrachten. Die Republikanische Partei ist heute weit weniger homogen, als es auf den ersten Blick den Anschein macht, und vielleicht kann uns ein tieferer Blick Auskunft geben über den Kurs, den die Supermacht in den nächsten Jahren und Jahrzehnten einschlagen wird.

Obamas Vorgänger, George Bush der Jüngere, stand innerhalb der amerikanischen Rechten für die neokonservative Strömung. Unterdrückten Völkern wollte er Freiheit bringen – wenn es sein musste, mit Waffengewalt. Vereinzelt fragten Kritiker, ob dies überhaupt eine konservative Position sei. Tatsächlich lässt sich Bushs idealistischer Ansatz auf den demokratischen Präsidenten Woodrow Wilson zurückführen. «The world must be made safe for democracy» – wir müssen die Demokratie überall auf der Welt verteidigen, forderte Wilson 1917, als er dem Deutschen Reich den Krieg erklärte. Bush und Wilson – das entbehrt nicht ganz der Ironie, denn Wilson, vor seinem Einstieg in die Politik Jura-Professor in Princeton, galt als Progressiver. Er war es, der die Gründung des Völkerbundes, der Vorgängerorganisation der Vereinten Nationen, propagierte. Doch auch einige Vordenker der heutigen Neokonservativen sind ja frühere Linke – etwa Irving Kristol, Norman Podhoretz und Nathan Glazer. Und Bushs engster Verbündeter, Tony Blair, ist als Mitglied der Labour-Partei zumindest nominell noch immer ein Sozialdemokrat.

Von Bush aus gesehen steht Ron Paul auf der entgegengesetzten Seite des politischen Spektrums. In vielen Punkten steht Paul dem äußersten linken Flügel der Demokraten näher als seinen eigenen Parteikollegen. Der Arzt aus Texas fordert zwar niedrige Steuern und einen Staat, der sich so weit wie nur möglich aus dem Leben der Bürger heraushält. Doch andererseits lehnt Paul auch militärische Interventionen im Ausland strikt ab. Er ist ein Bewunderer der Schweiz, und so wie die Eidgenossenschaft hätte er auch sein eigenes Land gerne: Amerika als große Schweiz, die sich von allen imperialen Ambitionen verabschiedet. Angesichts eines ausgelaugten, kriegsmüden Amerika ist es nicht weiter erstaunlich, dass der Isolationist Paul, der vor wenigen Jahren noch als einsamer politischer Exzentriker galt, nun auf einmal als (relativ) populär gilt. Doch am Ende wird sich Pauls radikale Anti-Kriegsposition nicht durchsetzen. Eine Aussicht, welche die friedensbewegten Europäer, die sich so gerne über den schiesswütigen «Cowboy» Bush mokiert haben, eher beruhigen sollte: Die amerikanische Bereitschaft, weiterhin für die Verteidigung Europas zu bezahlen, dürfte unter einem Präsidenten Paul noch geringer sein, als sie es in der Obama-Administration ohnehin schon ist.

Anhänger einer konservativen Außenpolitik alter Schule dürften weder mit Bush noch mit Paul zufrieden sein. Unter einer konservativen Politik klassischer Prägung versteht man ein Vorgehen, das sich an den eigenen Interessen orientiert und dabei hehre Ideale außer Acht lässt (auch in Amerika verwendet man dafür das deutsche Wort «Realpolitik»). Als typische Vertreter dieses Ansatzes gelten Richard Nixon und sein Berater und zeitweiliger Außenminister Henry Kissinger. «Er ist ein Hurensohn, aber er ist unser Hurensohn», soll Nixon über den nicaraguanischen Diktator Somoza gesagt haben. Von neokonservativer Seite wird nun argumentiert, eine solche Politik sei unmoralisch, weil sie dazu führe, dass man gegebenenfalls einen Bund mit dem Teufel eingehe. Das ist richtig – und trotzdem ist es nicht so einfach, wie manche denken: Dass Nixon und Kissinger 1973 Augusto Pinochet an die Macht brachten und dabei die demokratische Entscheidung des chilenischen Volkes für den Sozialisten Allende missachteten, wird heute in allen politischen Lagern zu Recht verurteilt. Andererseits hält man es rundherum für einen genialen Schachzug, dass sich der Präsident und sein Berater in Peking mit dem Massenmörder Mao Zedong an einen Tisch setzten – man verschaffte sich dadurch schließlich strategischen Spielraum im Kalten Krieg und trug zu der politischen und wirtschaftlichen Öffnung Chinas bei, die unter Maos Nachfolger Deng Xiaoping fortgesetzt werden sollte.

Sollte demnächst tatsächlich ein Republikaner ins Weiße Haus einziehen, wird dessen Außenpolitik vermutlich eher derjenigen Nixons ähneln als jener Bushs. Allein schon weil ihm die wirtschaftlichen Realitäten keine andere Möglichkeit lassen werden. Muss man das bedauern? Eher nicht, denn eine neokonservative Politik birgt wie jeder idealistische Ansatz die Gefahr in sich, bald einmal in Heuchelei auszuarten. Man kann davon reden, der ganzen Welt Freiheit und Demokratie bringen zu wollen, konsequent umsetzen kann man das aber nicht. Anders gesagt: Ob es richtig war, im Irak einzumarschieren, um Saddam Hussein zu verjagen, darüber kann man streiten. Vernünftige Leute können hier aus vernünftigen Gründen unterschiedlicher Meinung sein. Mit anderen, größeren Diktatoren muss man sich jedoch arrangieren. Die kommunistischen Machthaber in Peking durch eine Militäroperation stürzen zu wollen, könnte nur einem Wahnsinnigen einfallen. Aus diesem Grund ist Pragmatismus der ehrlichere Ansatz.

Erschienen in der „Basler Zeitung“ vom 15. Februar 2012

© Basler Zeitung

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Hansjörg Müller / 23.11.2017 / 18:00 / 0

Hang on, Berlin busy

Verglichen mit anderen europäischen Ländern und gemessen an seiner politischen und wirtschaftlichen Bedeutung ist Deutschland in weiten Teilen der britischen Presse eher untervertreten. Das westliche…/ mehr

Hansjörg Müller / 02.10.2017 / 16:05 / 8

Ein Besuch in der “Islamischen Republik Tower Hamlets”

Von Hansjörg Müller. Es scheint, als sei es im Rathaus von Tower Hamlets nicht überall ratsam, laut zu reden. "Willkommen in Grossbritanniens dysfunktionalstem Bezirk", raunt…/ mehr

Hansjörg Müller / 16.08.2017 / 15:25 / 4

Wegschauen bis zum Gehtnichtmehr

Die skandalösen Vorgänge, die Grossbritannien derzeit beschäftigen, haben sich über Jahre hingezogen. Dasselbe gilt für ihre Aufklärung: Am Mittwoch befand ein Gericht in Newcastle 17…/ mehr

Hansjörg Müller / 23.04.2017 / 06:25 / 0

Der neue Klassenkampf: Bodenpersonal gegen Raumfahrer

Interview. Hansjörg Müller sprach mit David Goodhart. Diejenigen, über die wir an diesem Nachmittag reden, sieht man an David Goodharts Wohnort nicht: Wer in Hampstead…/ mehr

Hansjörg Müller / 12.11.2016 / 06:20 / 0

Wenn Donald die Brechstange wegpackt

Donald Trump ist eine politische Blackbox. Für Journalisten macht ihn das attraktiv: Man kann endlos darüber spekulieren, was er als Präsident wohl tun wird. Zwar…/ mehr

Hansjörg Müller / 10.06.2016 / 06:15 / 2

Brexit: Reden wir doch mal mit den Briten statt über sie

Wer sich als britischer Historiker dieser Tage politisch äussert, scheint gar nicht vorsichtig genug sein zu können: Einen Reporter von Le Devoir aus Montreal hat…/ mehr

Hansjörg Müller / 24.05.2016 / 09:05 / 1

Österreich: Der weniger problematische Obskurant hat gewonnen

Es fiel schwer, in diesem Wahlkampf Partei zu ergreifen. Alexander Van der Bellen, Österreichs neuen Bundespräsidenten, verband mit seinem Gegner Norbert Hofer mehr, als beider…/ mehr

Hansjörg Müller / 26.04.2016 / 10:45 / 3

Bundespräsidentenwahl: Österreich lechts und rinks

Auf das Wahlergebnis folgte – wie meist – der Moment der Phrasendrescherei: Heinz-Christian Strache, der Chef der rechten FPÖ, trat vor die Kameras, überdreht, das…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com