Warum ist es immer wieder Amerika? Warum stoppt die amerikanische Bankenaufsicht die Deutsche Bank auf ihren finanziellen Dschungelpfaden? Warum legt die amerikanische Justizministerin einer organisierten Gruppe internationaler Fußballgauner das Handwerk? Warum stellt die amerikanische Umweltagentur einen Akt dämlicher Gaunerei in einem überehrgeizigen deutschen Autokonzern bloß? Und wie passt der jüngste Skandal um die staatlich organisierte Dopingszene im russischen Sport in diese Reihe?
Wirtschaftskrieg? Kulturkampf? Puritanischer Sauberkeitswahn? Ja, ein bisschen davon auch. Wobei gerade die Strenge der US-Umwelt-Behörde das schiefe Amerika-Bild manches Deutschen erschüttert haben dürfte. Saubere Luft in den USA? Ja, gibt’s denn das? Offenbar. Sauberer als unsere? Das darf doch wohl nicht wahr sein.
Was also treibt die Amerikaner in all diesen Fällen um? Beim Fußball ist es, finde ich, die Entscheidungsfreiheit und die Kraft eines Landes, das in diesem korrupten Weltgebilde nur eine marginale Rolle spielt. Was ist schon Soccer in den USA. Traditionell ein Mädchen-Sport, der inzwischen auch von Männern aus Lateinamerika und Europa als Importware gespielt wird. Man gehört zwar irgendwie dazu, spielt aber in dem Klub der Korrupten keine Hauptrolle. Das macht es leichter, aufzuräumen, auch wenn es hier und da ein bisschen weh tut.
Die großen Fußballnationen hingegen leiden Höllenqualen, seit offiziell sichtbar wurde, welcher Sumpf der Käuflichkeit ihre Organisation war. Es sind vor allem Qualen der Enthüllung. Schließlich wusste jeder seit Jahrzehnten dass im internationalen Fußball alles, was einem an Gutem widerfährt, zum Beispiel die Austragung einer Weltmeisterschaft, seinen Preis hat. Wer nicht zahlte ging leer aus. Die Alternative war Verzicht oder Zahlemann und Söhne.
Ein netter Kerl wie Franz Beckenbauer, der seinem Land eine fußballerische Krönung beschaffen wollte, kann einem in dieser Gesellschaft leid tun. Es ist die Gesellschaft, in der er sein Leben verbracht hat. Eine Gesellschaft und ein Leben, das in Deutschland quasi zur Staatsraison gehört. Kein Wunder, dass es höllisch schmerzt, wenn der ganze Schmutz nun ans Tageslicht gezerrt wird. Und kein Wunder, dass hier kein Herkules heranwuchs, der den Augiasstall ausmistete. Das fiel den Amerikanern leichter, die ja seltsamerweise Baseball für die aufregendste Sportart halten.
Was die Deutsche Bank und VW angeht, so haben wir es mit einer Haltung zu tun, die den Kapitalismus als Staatsreligion betrachtet, aber auch entsprechend ernst nimmt. Unternehmer erfreuen sich in den USA einer großen Freiheit, aber wehe, wenn sie gegen die Regeln verstoßen. Dann gibt es keine Gnade. Einige amerikanische Konzerne haben das teuer erfahren. Alle wissen es und schummeln, wenn sie es tun, mit einem Mindestmaß an Brillanz.
Warum haben VW und die Deutsche Bank mit einem Höchstmaß an Nichtbrillanz geschummelt? Sie sind einem Missverständnis aufgesessen, das seinen Ursprung im deutschen Verständnis von Kapitalismus hat. Bei uns gilt der Kapitalismus als ein Dschungel, dessen Bestien in einen staatlichen Zoo eingesperrt werden müssen. In Amerika laufen sie scheinbar frei herum, nur den Gesetzen des Dschungels unterworfen. Irrtum. Der amerikanische Kapitalismus gleicht eher dem American Football oder dem angelsächsischen Rugby: Die Sache sieht brutal aus, die Spieler wirken beinhart, aber es gibt ein komplexes Regelwerk, das dafür sorgt, dass die Knochenbrüche selten sind.
Es ist eben kein Dschungel. Und wer meint, sich wie ein Dschungeltier regelfrei verhalten zu können, bekommt früher oder später eine kräftige Schrotladung aufs Fell gebrannt. Dass die Schrotladung bei ausländischen Regelbrechern spürbar härter ausfällt als bei einheimischen, ist sicherlich der Freude geschuldet, einer unliebsamen Konkurrenz ein Bein zu stellen. Aber das ist – aus amerikanischer Sicht – nur ein Bonus, den man gerne zusätzlich einstreicht.
Warum hat in Deutschland keiner Alarm geschlagen? Warum wohl. Weil wir alle eine große nette Familie sind. Die Deutschland AG als Kumpel-Betrieb. Da hängt man keinen hin. Das müssen schon andere machen. Und wenn die anderen es machen, leiden wir alle gemeinsam. Mitgefangen, mitgehangen und im Schmerz vereint.
Und was ist mit Putins nun enttarntem Dopingland? Die Welt-Anti-Doping-Agentur sitzt nicht in den USA sondern ein bisschen weiter oben in Montreal. Ihr Kampf gegen Doping-Künstler in der Leichtathletik war bisher nicht das Gelbe vom Ei. Aber nun, auf einmal, nach einem gekonnten Stück Enthüllungsjournalismus aus Deutschland, geht man die russische Doping-Mafia frontal an. Glückwunsch. Endlich traut man sich was.
Oder ist das Ganze doch nur ein Stück amerikanischer Politik, gespielt über die kanadische Bande? Wenn ja, was macht es? Auch das Doping ist eine Sumpfpflanze, die den Sport nicht weniger verhunzt als die Korruption, und die man nicht ungebremst wuchern lassen sollte.
Auf diesem Feld ist Amerika aber nicht so neutral und unverwundbar wie beim Soccer. Bei den olympischen Spielen ist man ganz vorne dabei. Man kann sogar Sieger werden, wenn die gemeinen Russen ausfallen. Nur: Wie sauber ist man selber? Ich will ja nichts behaupten, aber einige der prächtigen US-Athleten sehen mir stark nach Kunstgebilden aus.
So weit diese Reise durchs wilde Korruptistan. In einer dunklen Welt der Bestechung und des Betrugs freut man sich über jeden, der – aus welchen Motiven auch immer - den Scheinwerfer drauf hält und den dort versammelten Größten, Schnellsten und scheinbar Cleversten ein paar Schrecksekunden verpasst. Ob das nachhaltig ist, kann man bezweifeln. Der Ehrliche wird noch lange der Dumme sein. Nur schön, dass ein paar Unehrliche ab und zu erwischt werden und dann auch dumm aussehen. Schadenfreude ist nicht immer schlecht.