Unlängst, noch vor der großen Wahl, bin ich in Wien einem großen Tier aus Brüssel begegnet. Der Name tut nichts zur Sache. Er würde kaum jemandem etwas sagen. Der europäische Bekanntheitsgrad des Mannes steht in keinem Verhältnis zu dem Einfluss des Beamten auf die Politik der EU. Als einer der Generaldirektoren der EU-Kommission zählt er zu den ranghöchsten Willensvollstreckern der politisch ausgewählten EU-Kommissare. Seit bald zwanzig Jahren kennt er den Laden. In der Kommission hat der gebürtige Österreicher Karriere gemacht; sie ist sein Leben. Er weiß, wie der Hase läuft in Brüssel.
Um darüber Auskunft zu geben, hatte ihn der ORF an einem späten Sonntagabend eingeladen, mit anderen über das Thema „Mehr oder weniger Europa – was wollen wir?“ zu diskutieren. Ich saß dem Insider sozusagen auf der Gegenseite gegenüber: als einer der „Menschen“, denen man geduldig und immer aufs neue klar machen muss, dass sie mit der EU und ihrem politisch-administrativen Apparat das große Los der Weltgeschichte gezogen haben.
Der Generaldirektor (GD) erklärte dann auch umgehend, dass die zunehmende Zentralisation, die Konzentration der Macht auf einer supranationalen Ebene die hohe Schule der Demokratie sei. Mir dagegen wollte das ganz und gar nicht einleuchten, weil ich dann ja immerhin verstehen müsste, was da in Brüssel getrieben und warum dort wie entschieden würde, im Fall der neuen Verordnung über die Standarisierung des Pizzadurchmessers oder bei der Verhängung, besser gesagt, bei der Nichtverhängung von Sanktionen gegen Russland als Schutzmacht der Separatisten in der Ukraine.
So viel Naivität versetzt nun wiederum den GD in Erstaunen. Wieso wollte ich überhaupt etwas verstehen, wo es doch die Kommission gibt, Männer wie ihn, die das alles ohnehin besser verstünden, weil sie gar nicht erst auf die Idee kommen, dass sie etwas nicht beherrschen könnten. Schließlich – und insofern trafen wir uns am Ende doch wieder – sei Europa schon immer ein Projekt der Eliten gewesen.
Vor wenigen Tagen erst, erzählte der GD nachher beim gemeinsamen Bier, habe ihm sein Sohn von der Bekanntschaft mit einem anderen Jungen berichtet, der wohl „behindert“ sein müsse, da er „nur zwei Sprachen spreche“. So etwas sei für seine eigenen Kinder schlichtweg unvorstellbar. Sie redeten natürlich englisch, französisch, spanisch und auch deutsch. Die Tochter habe sich im vergangenen Jahr, den Sommer über, außerdem noch Russisch beigebracht.
Das ließ mich aufhorchen, da konnte ich mitreden. Habe ich diese Sprache doch selbst einmal gelernt, nicht gerade mit heißem Bemühen, aber immerhin mit schulischem Ernst und mehrere Jahre lang. Die Grammatik, der Wortschatz und die Aussprache fliegen einem nicht so nebenher zu. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie das Mädchen beherrscht, was ihr der Vater als Fähigkeit zuschrieb.
Alles, was ich danach noch über die fachliche Exzellenz der Brüsseler Beamten zu hören bekam, erinnerte mich an das Scheppern leerer Töpfe und ein bisschen auch an die Geschichte des alten Zeus. Auch er musste sich vorzeiten als weißer Stier herausputzen, um die schöne Europa zu entführen.
Aber nein, das geht nun doch zu weit. Das könnte den großen Tieren aus Brüssel so passen, dass wir sie mit dem stampfenden Göttervater vergleichen.