Richard Wagner / 30.05.2011 / 09:49 / 0 / Seite ausdrucken

Die Bundeswehr, günstig wie nie zuvor?

Die Bundesrepublik ist in ihrer Selbstdarstellung der bescheidendste Staat der deutschen Geschichte. Das hat Gründe, sie sind bekannt. Zum schlichten Auftritt gehört ein gewisses Understatement, auch was die Wahrnehmung der Sache durch den Bürger betrifft. Flagge zeigen, Hymne absingen, alles ein Problem, das zunächst einmal diskutiert werden muss.

Es wurde diskutiert, und es ist ausdiskutiert. Deutschland ist seit gut 20 Jahren wieder vereinigt, und es ist keine Gefahr für Europa daraus entstanden, sondern einer der wichtigsten Faktoren der Stabilität der westlichen Welt. Kurzum, die Bundesrepublik ist ein Erfolgsmodell.

Aber auch Erfolge verursachen Kosten. Und was man sich leistet, und worauf man verzichten kann, ist eine Frage der Einschätzung. Diese wiederum erweist sich als ein Ergebnis der Wertvorstellungen, die sich die Gesellschaft gegeben hat.

Die alte Bundesrepublik richtete sich in einer Normalität ein, die sich ständig gegen die jüngste deutsche Vergangenheit zu verteidigen hatte. Ihre Macht war stets infrage gestellt, weil es den Grundverdacht gab, den Verdacht auf Wiederholung. Davon lebte in der Nachkriegszeit so mancher Denker der Republik.

Da sich aber zuverlässig herausstellte, dass man aus einem Desaster nur durch Wiederherstellung der legitimen Institutionen herauskommt, wurde an dieser schlichten Erkenntnis und deren Folgen unentwegt laboriert und formuliert. Ein Beispiel sei genannt:  der Verfassungspatriotismus. Die Verfassung zu respektieren ist nicht eine Sache des Gefühls sondern der Überzeugung. Ein Demokrat ist nicht ein Demokrat , weil er an Gedenktagen zu heulen anfängt, sondern indem er darauf achtet, dass die Institutionen funktionieren.

Immerhin hatte auch die Nachkriegs- Bundesrepublik alles, was ein Staat so braucht. Mit einigem lobte sie sich, wie im Fall Sozialstaatsidee, mit anderem ging sie eher diskret um. Unter den mit Diskretion zu betrachtenden Angelegenheiten befand sich auch die Bundeswehr.

Es gab und gibt zwar in der deutschen Geschichte durchaus Identifikationsmomente, auch für den Soldaten, und das wurde in den Stäben auch so gesehen, aber die Verlautbarungen darüber suchte man eher im Kleingedruckten zu belassen.

Nun, nach 60 Jahren Staatsrealität seit der Katastrophe von 1945, davon 20 Jahre deutscher Einheit, mag vieles nicht mehr den Umständen entsprechen und anderes schwerfällig sein, zum Nierentisch geworden. Eine Krise äußert sich zunächst einmal in den Statistiken, das heißt im Haushalt, was aber nicht automatisch bedeutet, dass das Defizit auch die Ursache ist.

Die Ursachenforschung ist meistens kompliziert, und, was schlimmer ist, sie führt oft genug zu keinen brauchbaren Ergebnissen, jedenfalls nicht für den Augenblick. die Politik aber braucht für ihre Tätigkeit, und für die Rechtfertigung ihrer Tätigkeit, eine praktikable Erklärung. Die Unlösbarkeit hat in der Politik keinen Namen, nur ein Verlegenheitswort,  Rücktritt.

Politik kennt aber viele Hilfsmittel, um die Wahrheit als handhabbar darzustellen. Zu den wichtigsten Hilfsmitteln dieser Art gehört der Begriff Reform. Auch im Fall der Bundeswehr wird mit Vorliebe von Reform gesprochen. In der Diskussion taucht aber auffallend schnell der Begriff Sparprogramm auf. Die Reform soll die Kosten optimieren. Das aber ist kein zwingender Zusammenhang. Es ist sogar meistens so, dass eine Reform auch etwas kostet. Sie soll die Verhältnisse schließlich verbessern. Eine Reform ist nicht das Gegenteil einer Revolution, es ist vielmehr eine Revolution aus dem Kontor.

Die Bundeswehr war in der Nachkriegszeit die harmloseste Armee der Welt. Obwohl es sie real gab, hatte sie bloß eine symbolische Präsenz. Sie war die Reserve für den hypothetischen Ernstfall. Sie sollte Fulda gegen die NVA verteidigen. Das hat sich seit den neunziger Jahren geändert. Die Normalität, die uns allgemein eingeholt hat, und die an unserem Erfolg nichts ändern konnte, hat auch die Bundeswehr erreicht. Im Ergebnis: Die Bündnispartner haben uns weltweit in die Pflicht genommen, und halten das sogar für selbstverständlich.

Die Bundeswehr hatte in der Öffentlichkeit zahlreiche Gegner, und kaum Befürworter. Die Gegner hatten es leicht, da sie unter Akklamation ideologisch argumentieren konnten. Sie lebten in einer hypothetischen Welt. Auch ihr Pazifismus war symbolisch. Die Befürworter hingegen befanden sich von Anfang an in der Defensive. Sie mussten zunächst einmal begründen, warum wir überhaupt eine Armee brauchen. Man hätte den so Fragenden durchaus antworten können: Um das Sozialamt zu verteidigen. Wer aber traute sich damals schon so etwas zu sagen. Keiner. Statt dessen musste man den Missbrauch von Tucholsky hinnehmen.

Eine solche Diskussion konnte sich ein besetztes Land leisten. Seid wir die volle Souveränität wieder erlangt haben, sollten wir mehr über die nationalen Sicherheitsinteressen sprechen, als das bisher der Fall war. De Maizière, der die Bundeswehr nun reformieren soll, hat dieses Problem tatsächlich angesprochen.

Der Mann steht nun vor einer gewaltigen Aufgabe. Er muss es allen recht machen, damit auch alle mitziehen, und er darf dabei den Gegenstand nicht aus den Augen verlieren. Die einen werden ihm die Sparmaßnahmen diktieren, die anderen werden vom Kaputtsparen reden. Wie will man die anfallenden weltpolitischen Verunsicherungen eindämmen und gleichzeitig weniger Geld ausgeben? Der Bürger wird zunächst einmal sein Steuergeld verteidigen wollen. Die Gefahr erkennt er ohnehin nur, wenn das närrische Mainz mit Bodentruppen angegriffen werden sollte.

Unsere Gesellschaft hat eine unverkennbare Neigung zu der Feststellung, dass die Welt sich verändert habe, dass man die Armee in der traditionellen Form nicht mehr brauche, dass die Kriege anders sein werden als bisher. Kurzum, man ist fürs Sparen und auch fürs Intervenieren. Die globale Wirtschaft braucht die globale Sicherheit. Und so weiter.

Was aber in diesen Überlegungen nicht vorkommt, ist der jeweilige lokale Grund dazu. Militärische Interventionen können nicht eine Gesellschaft von Grund auf verändern, sie können bloß den verloren gegangenen Ordnungsrahmen vorübergehend ersetzen, die Ordnungsfaktoren stärken. Wie sich die jeweilige Gesellschaft zu sich selbst und zu den Eingreifenden verhält, ist nicht abzusehen. Es ist ein gefürchtetes Problem, unlösbar und unauflösbar.

Bleibt die Frage: Was soll eigentlich durch die Reform der Bundeswehr, außer dem Einsparen von Geld, das wir eventuell für den Kauf von Atomstrom aus den Nachbarländern demnächst dringend brauchen, tatsächlich erreicht werden?

Was sagt das Kontor? Umkehrwechsel? Und sonst? Eine Berufsarmee? Was aber ist das? Die Heilsarmee für Afghanistan oder das Rote Kreuz für Libyen? Werksvertrag und quittierte Munition?

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