Robert von Loewenstern / 29.08.2023 / 06:00 / Foto: R.v.Loewenstern / 60 / Seite ausdrucken

Die AfD wirkt

Am vergangenen Sonntag stand die nächste Kür eines AfD-Mannes für ein kommunales Amt an. Achgut-Wahlbeobachter wagten sich in den braunen Sumpf – und gewannen überraschende Erkenntnisse.

Die Machtergreifung der braunen Horden rückt näher. Wir waren dabei, die beste kleine Frau von allen und ich. Zugegeben, beim Ortstermin in Seelow, Brandenburg, 20 Kilometer vor der polnischen Grenze, konnten wir keine Aufmärsche fahnenschwenkender Swastikaträger entdecken. Aber es ist da, muss da sein, das schreckliche Geschwerl.

Klammheimlich und hinterrücks wählten die Seelower an diesem Sonntag zu 31,5 Prozent einen AfD-Mann. Sicher, das reichte nicht, um den ersten hauptamtlichen AfD-Bürgermeister einer Kreisstadt in Deutschland zu küren. Aber 31,5 Prozent für die Blaumänner sind gleichbedeutend mit rund einem Drittel an „braunem Bodensatz“ – so die zwingende Logik etwa eines Stephan J. Kramer. Der Spezialist fürs humane Sediment ist nicht irgendwer, sondern hauptberuflich Verfassungsschutzchef in Thüringen. Er sieht bei der AfD dunkle Mächte am Werk. Nach der Landratswahl im thüringischen Sonneberg raunte Kramer, die Partei sei der „parlamentarische Arm einer viel größeren Verschwörung“.

Wer genau da wie mit wem konspiriert, erläuterte Kramer nicht. Aber der gelernte Sozialpädagoge muss es wissen, denn er wurde aus bestimmt sehr guten geheimen Gründen vor acht Jahren Geheimdienstler. Ich habe mir daher vorgenommen, in Zukunft mehr auf versteckte Signale zu achten. Beispiel Seelow. Angeblich eine Kreisstadt – hat aber nicht einmal eine Ampel! Und wofür steht die verdächtig hohe Anzahl von Verkehrskreiseln? Richtig. Wir haben es offensichtlich mit einer roten Hochburg zu tun. Schließlich verkehrt jedes Rondell die natürliche Ordnung der Dinge ins Gegenteil. Statt rechts vor links wird links vor rechts verordnet, meist gleich vierfach.

Widersprüchliche Signale

Zeichen hin oder her, etwas komplizierter ist es natürlich schon mit der politischen Verortung. Ich will mal so sagen: Seelow sendet widersprüchliche Signale. Gegen die rote Hochburg spricht, dass dort alles hübsch und sauber und ordentlich ist. Fein sanierte Häuser, liebevolle Bepflanzung um die Straßenbäume, ein sorgfältig restauriertes historisches Rathaus – alles wirkt gepflegt. Man kümmert sich.

Da ist kein Müll im öffentlichen Raum, es finden sich keine To-go-Becher in der Botanik und keine pekigen Matratzen oder kaputten Röhrenbildschirme mit Klebezettel „zu verschenken“ auf den Bürgersteigen. Wer Kreuzberger Leitkultur gewöhnt ist, wähnt sich in einem Paralleluniversum. Sogar die AfD-Wahlplakate hängen, als hätte man sie eben erst an die Laternen getackert: jungfräulich wie frisch aus dem Copyshop, weder beschmiert noch zerrissen.

Kurz, Seelow präsentiert sich als das, was früher „gutbürgerlich“ hieß und jetzt „Neue Rechte“ genannt wird. Den Oberknaller bemerkten wir erst nach einer Weile. Man sieht ja leichter das, was da ist, als das, was fehlt. Nicht ein Graffito verziert Wände oder Rollläden. Für solcherlei Stadtschmuck sorgt erfahrungsgemäß eine Klientel, die jemand wie Stephan Kramer wohl als „roten Dreck“ bezeichnen würde, wenn sein Rechtsverständnis nicht das eines Linksverstehers wäre. 

Antifa und andere Unwertschöpfende

Ich sehe zwei Möglichkeiten. Entweder gibt es in Seelow tatsächlich keine Antifa und andere Unwertschöpfende mit überschießender Tages- und Nachtfreizeit. Oder der „braune Bodensatz“ hat den „roten Dreck“ gut im Griff. Man weiß schließlich nie, was sich hinter den blitzsauberen Fassaden abspielt.

Sehen wir uns daher die Eingeborenen näher an. Die haben offensichtlich etwas zu verbergen, denn sie wollen nicht reden. Das berichteten Medienvertreter, die den 5.600 Seelowern im Vorfeld des großen Showdowns nachstellten. Die Frage, ob der braune Marsch durch die Institutionen noch gestoppt werden kann, treibt spätestens seit der Niederschlagung des Aufstandes von Prinz Putsch und seiner Cordhosenbande nationale wie internationale Beobachter um.

Anders als bei den Kollegen von den richtigen Medien zeigten sich die angeblich verschlossenen Märkisch-Oderländer uns gegenüber offen und auskunftsfreudig. Kein Wunder, finde ich persönlich, angesichts meines objektiv sonnigen Gemütes und überhaupt in jeder Hinsicht einnehmenden Wesens. Wie üblich widerspricht die kleine Frau und behauptet, es läge an den freundlichen Seelowern. Ihr Wortbeitrag soll unkommentiert bleiben. Ein erfahrener Gatte geht nicht auf jede Mikroaggression ein.

„Kein Mann der Altparteien!“

Unbestreitbar ist jedenfalls meine clevere Interviewtechnik. Statt des auf der Hand liegenden „Hey, sind Sie einer von den Nazis hier?“ näherte ich mich dem Wahlvolk über Bande: „Hallöchen! Und? Was denken Sie, wer gewinnt?“ Das solchermaßen geschickt erhobene Meinungsbild war eindeutig. Die meisten meinten zwar, dass es knapp werden könnte, aber dass sich letztendlich doch der parteilose Robert Nitz durchsetzen werde.

Nitz ist aufstrebender Jungstar und amtierender Nachfolger des langjährigen, weithin geachteten und im Frühjahr unerwartet verstorbenen Stadtoberhauptes Jörg Schröder. Unterstützt wurde er von allen Parteien außer der AfD. Deren Kandidat Falk Janke ist fast doppelt so alt wie Nitz und warb auf Plakaten mit eigenwilligen Sachargumenten für sich: „Unbequem. Angenehm. Anders.“, „Beharrlich aus Überzeugung!“und „Kein Mann der Altparteien!“.

Letzteres stimmt nicht so ganz, denn Janke war mal CDU-Mann. Anschließend legte er einen Zwischenstopp bei der Schill-Partei ein, später hatte er enge Verbindungen zur rechtsextremen DVU, heißt es. Die Kreis-AfD wollte ihn deshalb zunächst nicht aufnehmen, nach Intervention von Alexander Gauland klappte es aber doch irgendwie.

Es wurde persönlich

So richtig übel fanden die politischen Gegner den AfD-Janke offenbar nicht, im Kommunalparlament herrschte angenehme Atmosphäre. Man duzte sich und ging freundlich-konstruktiv miteinander um. So erzählte es uns jedenfalls am Sonntag ein kundiger Seelower, der zufälligerweise erstens von der Linkspartei und zweitens auch noch Mitglied der Stadtverordnetenversammlung ist.

Der Insider bezweifelt allerdings, dass es in Zukunft so harmonisch weitergeht mit der kommunalen Zusammenarbeit. Schließlich war der Wahlkampf „intensiv und schmutzig“, wie der Berliner Tagesspiegel schreibt. Der Linksverordnete formuliert es etwas zurückhaltender: „Es wurde persönlich.“ Da ist zum Beispiel eine ominöse Sprachaufnahme, die dem Janke-nahen YouTube-Kanal „Seelow TV“ zugespielt wurde. Angeblich ist der Bruder des parteilosen Nitz zu hören, wie er in Bezug auf den AfD-Kandidaten äußert: „… und ick hoffe, ick treff ihn richtig in de Schnauze, Alter. Also, das ist ein elender Typ, Alter, elendig.“

Janke wiederum wird die Verbreitung von Falschbehauptungen und die grafische Manipulation eines Nitz-Plakates vorgeworfen. Sogar am Wahlsonntag setzten sich die Nickeligkeiten fort. Um 12.20 Uhr meldete moz.de im „Live-Ticker“ einen Zwischenfall: „Der AfD-Bürgermeisterkandidat Falk Janke beobachtet seinen Gegenkandidaten Robert Nitz bei Gesprächen mit Bürgern in der Nähe des Wahllokals in der Remise Neulangsow. Er habe darüber Wahlleiter Simeon Apostolow informiert, da er das für unzulässige Wählerbeeinflussung halte, so Janke.“

Weder braun noch rot versumpft

Mal abgesehen von den Kandidaten-Kabbeleien gibt es kaum Streit, so hörten wir es aus allen Richtungen. Es läuft in Seelow. Der kleinen Kreisstadt geht es gut. Man hat Kinder, ein Wohnungsbauprogramm und erfolgreiche Schulpolitik. Man ist zufrieden, Wechselstimmung ist nicht zu spüren. Wer in Seelow AfD wählt, tut es in erster Linie, um seine Ablehnung der Bundespolitik zu bekunden. Auf kommunaler Ebene herrscht nicht einmal beim Thema Migration Dissens. Weitere Flüchtlingsunterkünfte will man nicht – da stimmen alle zu, die beiden Bürgermeisterkandidaten ebenso wie unser neuer Freund von der Linkspartei.

Auch in einem weiteren Punkt besteht Einigkeit unter den Befragten. Grüne Politik braucht man so dringend wie Nasenkrebs. Die Zusammensetzung der Stadtverordnetenversammlung erhärtet den anekdotischen Befund. Unter den vom Volk gewählten Mitgliedern finden sich alle möglichen politischen Kräfte – außer den Grünen. Damit steht das überraschende Ergebnis unseres Ortstermins fest. Die Seelower sind weder braun noch rot versumpft, sondern einfach durch und durch vernünftige, besonnene Leute.

Dass sich der AfD-Mann nicht durchsetzen konnte, ist bestimmt kein Schaden für Seelow – aber auch nicht für die AfD. Seit sie in Umfragen und Parlamenten wächst, werden die echten Probleme des Landes endlich zunehmend offen und öffentlich angesprochen. Das ist der eigentliche Produktvorteil der blauen Partei. Die AfD wirkt, auch ohne Regierungsbeteiligung. Oder gerade deswegen.

Foto: R.v. Löwenstern

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Leserpost

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A. Ostrovsky / 29.08.2023

@Paul Ehrlich : “Finis Germania”  Ja danke, endlich sagt mal jemand etwas, was mich aufbaut. Haben Sie den Sarg schon bestellt. Wenn erstmal alle bestellen, gibt es lange Wartezeiten. Es ist ja alles so schrecklich. Und die von der AfD, die schauen immer so schief. Die kann man nicht wählen, schon deshalb. Da ist eine Versicherung gegen Meteoriteneinschlag etwas Greifbares. Und, wie gesagt, rechtzeitig der Sarg unterm Bett. Dann kann der Komet kommen. Wir sind bereit! Immer bereit!

Leo Hohensee / 29.08.2023

@Albert Pelka - Whow - mir tief aus dem Herzen formuliert, Ihre Worte: “Ganz so eben, wie die journalistische Berufsehre “unserer”  Lücken-, Lügen-, Lumpen- und Latrinen-Medienmeute zu deren gegen Unendlich tendierenden “Haltungs”-Verschworenheiten.” - So ist es! beste Grüße

Lutz Liebezeit / 29.08.2023

Daß die AfD wirkt, ist nett gemeint, aber wirklich erkennen kann, ich die Wirkung nicht. Das kriminelle Parteienkartell würde es eher auf einen Bürgerkrieg ankommen lassen, als politisch irgendwas zu drehen. Die würden uns vorher alle den Wölfen zum Fraß vorwerfen, was die sowieso vorhaben. Ausser in ein paar gut überwachten Blogs tut sich nichts. Schauen wir, was die wohlpensionierten Damen der Tagesschau in der Headline haben: analyse Söder erhöht Druck auf Aiwanger “Koalitionen hängen nicht an einer einzigen Person”

Bodo Bastian / 29.08.2023

“Ja, Wahlen werden auch bei uns durch “Auszählen” beinflusst. AUS-zählen. Fragen Sie mal den amerikanischen ..hust… “Präsidenten.

Sam Lowry / 29.08.2023

Übrigens: n-tv lässt auf der Startseite beim Video “RTL/ntv-Trendbarometer” mal wieder den blauen Balken weg… mit allen Mitteln…

R.Camper / 29.08.2023

@Bodo Bastian Vielleicht sollten auch sie sich mal die Zeit nehmen, sich mit den Inhalten der AfD auseinanderzusetzen, dann würden sie nämlich ganz schnell feststellen, dass bei der AfD genau das in ihrem Programm geschrieben steht. Ua Bürgerentscheide nach Schweizer Vorbild und Abschaffung der GEZ Gebühren. 

Ulla Schneider / 29.08.2023

Das gefällt mir sehr. Möglichst unvorhereingenommen zu kommentieren!!!.

Ralf Pöhling / 29.08.2023

Zitat:“Die AfD wirkt, auch ohne Regierungsbeteiligung. Oder gerade deswegen.” Das will kaum jemand zugeben, aber es stimmt. Wir haben mindestens den gleichen Einfluss auf das Geschehen im Land wie die Grünen. Im Moment sogar mehr. Es dreht sich langsam wieder. Und das ist gut so. Der bisherige Weg war ein Irrweg. Man löst Probleme nicht dadurch, indem das Volk andauernd propagandistisch vernebelt, weil man Angst hat, das eigentlich darunter liegende Thema offen anzusprechen. Der stille Ansatz funktioniert immer nur bis zu einem gewissen Grad. Danach folgt unweigerlich die totale Verwirrung. Was dann die ursprüngliche Absicht ins Gegenteil verkehrt. Spätestens dann muss man die Strategie ändern, sonst bricht alles zusammen. Und genau diesen Strategiewechsel hat die AfD geliefert. Zugegebenermaßen mit der Keule, aber es hat funktioniert. Jetzt muss man nur aufpassen, dass uns nicht das gleiche passiert wie den Grünen und es zu sehr in die falsche Richtung ausartet. Man kennt ja das alte Problem in Deutschland: Das Pendel schwingt langsam, aber dann meist sehr hart ins Extreme aus. Darum braucht es jetzt an jeder Ecke ausgeworfene Anker, damit das Schiff wieder in ruhigeres Fahrwasser gerät und nicht absäuft.

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