Neun Monate soll Schriftsteller Akif Pirinçci ins Gefängnis. Weil er zum Hass aufgestachelt habe und wegen seiner Gesinnung, befindet das Bonner Amtsgericht. Berufung folgt.
„Glückwunsch zu einer ganzen Schwangerschaft“, gratuliert Ihr Prozessbeobachter dem frisch – aber nicht rechtskräftig – Verurteilten noch im Gerichtssaal. Denn neun Monate ohne Bewährung sind für ihn herausgesprungen. Akif Pirinçci ist am letzten Verhandlungstag gut aufgelegt, und lässt sich durch das Verdikt nicht die Stimmung vermiesen. Die mündliche Begründung des Richters löst bei ihm allerdings Kopfschütteln aus. Der erstinstanzlich der Volksverhetzung schuldig gesprochene Schriftsteller nimmt sie als mehrfach wiederholte Phrasen mit dem Ziel wahr, dass man am besten gar nicht mehr über bestimmte Personengruppen schreibe.
Der Bonner Amtsrichter Christian Schneider geht noch über die sieben bewährungslosen Monate hinaus, die die Staatsanwaltschaft gefordert hatte. Wie zuvor – über den bisherigen Prozessverlauf hatte ich Ihnen Bericht erstattet – wirkt er auch am letzten Prozesstag nicht immer wie eine Autorität. Aber das lässt sich ja durch das Autoritäre im Urteil wettmachen.
Als er am Anfang der Verhandlung die Ablehnung auch des zweiten Befangenheitsantrages gegen ihn erwähnt, erklärt Pirinçcis Verteidiger Mustafa Kaplan, dass ihm die Stellungnahme des Richters zu diesem nicht zugestellt worden sei und er sie deshalb nicht habe erwidern können. Die Beteiligten wirken unsicher über die prozessuale Bedeutung dieses möglichen Formfehlers. Nach einer kurzen Unterbrechung wischt Schneider Bedenken beiseite und fährt fort.
So holprig gestaltete sich das Verfahren ab Beginn. Wenn Kaplan in seinem Abschlussplädoyer dem Gericht vorwirft, es habe mit dem Angeklagten von Anfang an „kurzen Prozess im wahrsten Sinne des Wortes“ machen wollen, so muss das Vorhaben zumindest in einer Hinsicht als gescheitert gelten: Ganze vier Verhandlungstage hat man gebraucht, obwohl kein einziger Zeuge vernommen wurde und man beim inkriminierten Blog-Eintrag Pirinçcis nicht allzu tief in die Textexegese vorgedrungen ist.
„Ausländerisierung“
Die Hoffnung, endlich im Detail zu erfahren, welche Äußerungen aus dem Blog-Artikel nun volksverhetzend sein sollen, erfüllt sich im Bonner Gerichtssaal nur eingeschränkt. Die Anklageschrift, für den Verteidiger „eine der allerschlechtesten“, die ihm ihn 25 Jahren Berufsausübung begegnet sind, ließ das mit ihren großflächigen Zitaten und knappen eigenen Worten weitgehend unbeantwortet.
In einem Interview, das sich ein Bonner Mainstream-Lokalradioformat jüngst mit Pirinçci zu führen traute, spekulierte er, dass man ihm bereits das Wort „Moslems“ statt „Muslime“ als Volksverhetzung ausgelegt haben könnte. Und vielleicht sei „abschlachten“ schon zu viel, die einschlägigen Opfer hätte er ganz nüchtern als „getötet“ bezeichnen müssen. Aber er könne doch nicht auf „Beamtendeutsch“ schreiben, schließlich wolle er als „Schriftsteller, als Polemiker“ einen „bestimmten künstlerischen Effekt“ erzielen.
Staatsanwalt Erdinç Ünükür erwähnt in seinem Plädoyer wenigstens ein paar Formulierungen aus dem Artikel: „Ausländerisierung“ und „bestialische Verbrechen“, die ab 2015 eingewanderte Flüchtlingen begehen (Pirinçci: „vor allem an Frauen“), scheinen irgendwie problematisch zu sein. Das Erfinden neuer Begriffe wie „Ausländerisierung“ ist nicht verboten, wendet der Verteidiger ein. Schriftsteller Pirinçci nimmt übrigens für sich in Anspruch, einst das inzwischen in der deutschen Alltagssprache verbreitete Wort „Kopfkino“ erfunden zu haben.
Selbstverständlich erwähnt Ünükür auch die „Schmarotzer“ und Mikroben“, als welche der Angeklagte einschlägige Personenkreise, laut Berichten des WDR und der Lokalzeitung konkret „Moslems und Afros“, bezeichnet haben soll. Dass das gar nicht zutrifft, sondern es sich dabei um ein Missverständnis handelt, ist schon dargelegt worden. Flüchtlinge seien laut Artikel, so die Lesart des Staatsanwalts, die „Ursache allen Übels“. In seinem kurzen Schlusswort vor Gericht wendet der Autor ein, dass es in dem Text gar nicht um Flüchtlinge gehe. In der Tat: Sie finden wie vieles andere Erwähnung – so auch etwa Missstände, die mit Asylanten gar nichts zu tun haben –, im Kern geht es aber um die Etikettierung „rechts“.
Stimmungsmache und „Bewährungsversagen“
Pirinçcis Bemerkung im Artikel, dass die „Bezeichnung des Nazis kurzzeitig auf alle ausgeweitet [wurde], die mit Deutschland und deutscher Identität noch etwas anzufangen wussten, die schleichende Landnahme ihrer Heimat durch Fremde ablehnten“, kam beim Staatsanwalt auch schlecht an. Stimmungsmache, „Diffamierung“ und „hetzerische Abwertung“ liest er insgesamt aus dem Text heraus.
Für eine Volksverhetzung muss außerdem das Tatbestandsmerkmal einer Störung des öffentlichen Friedens erfüllt sein. Das sieht Ünükür gleich doppelt: Erstens bekämen Flüchtlinge durch die Lektüre ein Unsicherheitsgefühl, zweitens könnten Leser zu „Rechtsbrüchen gegenüber Flüchtlingen“ verleitet werden. Dass jemals ein Flüchtling den Beitrag gelesen hat und sich in einer „Rechtssicherheit“ erschüttert gefühlt haben könnte, scheint weit hergeholt. Und was die Rechtsbrüche angeht, so benennt der frühere Bestsellerautor nur, was die Justiz umgekehrt mehr beschäftigt, nämlich, was einschlägige Migranten an Deutschen so begehen.
Beim dritten Verhandlungstermin Mitte Januar verwies Pirinçci in diesem Zusammenhang auf Messerkriminalität (die es als Massenphänomen noch nicht gab, als er 1969 erstmals deutschen Boden betrat) und andere Straftaten sowie auf den Transferleistungsbezug von Flüchtlingen. Er verteidigte sowohl den Begriff der „Landnahme“ und auch den der „Ausländerisierung“. „Ich hab‘ ja nicht ‚Vernegerung‘ gesagt.“ Das Ansinnen der Staatsanwaltschaft, ihm etwas anzuhängen, bezeichnete er als „schäbig“. Die Behörde leide unter „Verfolgungswahn“.
Strafverfolger Ünükür sieht in Pirinçci einen „Bewährungsversager“ mit ungünstiger Sozialprognose. Dem folgt Richter Schneider in seiner mündlichen Urteilsbegründung gerne und will ihn ebenso hinter schwedischen Gardinen sehen. Zuvor widmet er sich der rechtlichen Würdigung: Der Tatbestand der Volksverhetzung sei zweimal verwirklicht: Einmal durch Aufstacheln zum Hass gegen eine im Gesetz benannte Gruppe (§ 130 Abs. 1 Nr. 1 StGB), zum zweiten durch den Angriff auf deren Menschenwürde (§ 130 Abs. 1 Nr. 2 StGB). Die Rechtsnorm spricht hier von „einer nationalen, rassischen, religiösen oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmten Gruppe“ bzw. „Teilen der Bevölkerung“.
Gericht sagt: „minderwertig“
Für den Richter sind das nicht die Flüchtlinge, die der Staatsanwalt ins Spiel brachte, sondern ganz pauschal „Migranten“. Die sehe Pirinçci einseitig negativ nur als ungebildete Sozialtouristen, Vergewaltiger und Mörder, mithin als „minderwertig“, was sich gegen ihre Menschenwürde richte – sowie als Gefahr für die Bevölkerung und als Belastung für den Staat, was zum Hass gegen sie aufstachele. Bei dieser Interpretation müsste Migrant Akif Pirinçci auch sich selbst „minderwertig“ finden. Aber mit Interpretation hält sich Schneider gar nicht auf, es gebe „keinen Interpretationsspielraum“. Mit einzelnen Formulierungen und Aussagen ebenso wenig, denn: „Was der Text aussagt, liegt auf der Hand“. Der Text besteht nicht nur aus den in der Anklageschrift inkriminierten Passagen und auch im Hinblick auf diese versteigt der Richter sich zu einer bemerkenswerten Auslegung.
Durch den Verweis auf die Menschenwürde – als absolute Schranke – entbindet er sich der Einfachheit halber von der Pflicht, eine Abwägung mit der Meinungsfreiheit vorzunehmen. Würde der von Schneider und Ünükür angeführte „unbefangene Durchschnittsempfänger“ ebenfalls dem Text solch weitreichende Herabwürdigungen entnehmen, die die Menschenwürde tangieren? Wie beide sich in einen unvoreingenommenen Leser hineinversetzen wollen, bleibt jedenfalls ihr Geheimnis.
Während Anwalt Kaplan zu Recht bemerkt, der Beitrag lese sich ganz anders als frühere Äußerungen, für die sein Mandant verurteilt wurde – da finden sich weit krassere Formulierungen –, sieht Richter Schneider „Bilder von brennenden Asylbewerberheimen“ vor seinem geistigen Auge bzw. in seinem Kopfkino. Das unterstellt nicht nur jedem Kritiker politischer Missstände, für Straftaten Anderer verantwortlich zu sein, sondern auch den Lesern Pirinçcis Ungeheuerliches. Abgesehen davon ist man gut beraten, die Verursacher von Bränden in Asylantenheimen innerhalb dieser Einrichtungen suchen.
Gummiparagraph Volksverhetzung?
Den öffentlichen Frieden stört eher apokalyptisches Gerede von der untergehenden Welt und der verbrennenden Erde, weil sich Klimakleber mit diesem geistigen Rüstzeug in Auseinandersetzungen mit wütenden Verkehrsteilnehmern begeben. Da haben wir es allerdings nicht mit Volksverhetzung zu tun, denn die Menschheit insgesamt darf man ruhig als „Krebsgeschwür des Planeten“ verunglimpfen. Die ist nämlich nicht verhetzungsfähig, das sind nur die oben genannten Teilgruppen – wie praktisch.
Der, wie Pirinçci in seiner ihm eigenen Diktion formuliert, „gleich dem Arschlochmuskel sehr weit dehnbare Volksverhetzungsparagraph“ eignet sich vortrefflich gegen Oppositionelle. Er sollte wieder ganz abgeschafft werden, wie z.B. Sabine Beppler-Spahl bei Novo fordert, da er der Meinungsfreiheit und demokratischen Auseinandersetzung entgegensteht. Pirinçci hätte mit seinem Verständnis von Kunst- und Meinungsfreiheit in den USA weniger zu befürchten, aber auch z.B. in den Niederlanden hätte man ihn seltener bestraft.
Gesinnungsstrafrecht
Im Gerichtssaal kommt noch eine Neuerung zur Sprache, die nicht nur Volksverhetzung betrifft. Strafverschärfend wirkt sich nämlich, so der Richter, die „Gesinnung“ des Angeklagten aus. Sie haben richtig gelesen: In Deutschland herrscht Gesinnungsjustiz. § 46 StGB sieht seit 2015 vor, dass bestimmte Einstellungen eines Täters zu einer höheren Strafzumessung führen. Diese Hate-Crime-Norm wurde seither mehrfach um Gesinnungen erweitert – linksextreme zählen übrigens nicht dazu. Schneider unterstellt Pirinçci eine fremdenfeindliche. Das gilt als Synonym für ausländerfeindlich, und so braucht sich der Schriftsteller, der seit Jahrzehnten über einen deutschen Pass verfügt und den türkischen abgegeben hat, wenigstens nicht mit sich selbst anzulegen.
Was das Strafmaß angeht, hieß es schon im vorigen Urteil drohend: „Eine weitere Bewährungschance wird es in einem gleichgelagerten Fall nicht geben“. Der aktuelle Fall – Volksverhetzung statt Beleidigung – ist jedoch anders gelagert: Nachdem Pirinçci geschrieben hatte, er würde mit Luisa Neubauer trotz politischer Differenzen die Bettstatt teilen, senkte sich der Daumen, da er gerade keine politische Einlassung getätigt habe, sondern rein auf die Person gegangen sei. Egal – beides ein Äußerungsdelikt, so jetzt die mündliche Urteilsbegründung.
Nicht in der Verhandlung, sondern in dem angesprochenen Interview erklärte Pirinçci, hinter seinen Äußerungen zu stehen. „Alles, was ich geschrieben habe, ist wahr, ist eingetroffen, ich war ein großer Prophet.“ Er sei „in keiner Weise belehrbar“, heißt das bei Richter Schneider. Deshalb soll er weggesperrt werden. In Deutschland gilt nach Tucholsky bekanntlich „derjenige, der auf den Schmutz hinweist, für viel gefährlicher als der, der den Schmutz macht.“
Jetzt wird Berufung eingelegt. Anwalt Mustafa Kaplan ist Langstreckenläufer, auch in der Strafsache Pirinçci bereitet er sich auf einen Marathon vor. Je höher die Instanz, so seine Hoffnung, desto eher verhilft sie der Meinungsfreiheit zum Durchbruch.
Den vorigen Prozessbericht finden Sie hier.
Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.
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