Gastautor / 21.01.2017 / 06:12 / Foto: U.S. N.A.R.A / 7 / Seite ausdrucken

Der Nanny-Staat ist grün. Und links. Und weiblich.

Von Hans Peter Dietz

Ich habe seit etwa 20 Jahren ein professionelles Interesse an Risikoabschätzungen und der Art, wie Staat und Individuen mit (primär gesundheitlichen) Risiken umgehen. Es ist eine Debatte, die überall in der westlichen Welt stattfindet, auch in Australien, wo ich seit fast 20 Jahren lebe. Die Achse hat vor kurzem einen Beitrag veröffentlicht, der einen meiner akademischen Interessenbereiche berührt. Peter Heller beschreibt in „Vorzeitige Todesfälle“: Evergreen der Öko-Angstmacher" die Schnittmenge zwischen ökologischer Politik und "nanny state"-Bürokratie.

Der Beitrag liegt richtig mit seiner Anklage der "Öko-Angstmacher". Genaugenommen ist alles noch um einiges schlimmer, als Peter Heller es darstellt. In seinem ansonsten sehr gelungenen Artikel übersieht er zwei wesentliche Gesichtspunkte in der Entwicklung des Nanny- Staates. Es ist das "Law of diminishing returns", das Gesetz des abnehmenden Ertrags, und das Phänomen der "opportunity cost" zu deutsch der "Opportunitäts-Kosten".

Regulatorische Eingriffe gibt es nicht umsonst. Sie verursachen Kosten. Man muss Ressourcen darauf verwenden, Regeln zu definieren, zu etablieren und durchzusetzen- Ressourcen, die sonst anderswo eingesetzt werden könnten. Einfach gesagt: Polizisten und Gerichte, die sich mit der Durchsetzung eines Verbots von E-Zigaretten oder sexistischer Werbung oder hate speech befassen müssen, haben weniger Zeit für NAFRIs.

Regulatorische Eingriffe haben zwangsläufig Auswirkungen auf die individuelle oder institutionelle Produktivität, und man muss beileibe nicht die Polizei in NRW heranziehen, um diesen Punkt zu belegen. In der biomedizinischen Forschung ist dieses Phänomen besonders deutlich sichtbar. Zwischen 1967 und 1972 brauchte es fünf Jahre, um eine brilliante Idee (Steroide zur Lungenreifung bei Frühgeborenen) bis zum klinischen Einsatz zu bringen. Diese Behandlungsform hat inzwischen viele Millionen Leben gerettet. Heute würde eine solche Entwicklung wohl 15 bis 20 Jahre brauchen, weil die medizinische Forschung inzwischen in vielen Ländern massiv überreguliert ist.

In Sachen Meinungsfreiheit ist der Regulationswahn besonders gefährlich

Das ist aber nicht alles. Die Kosten neuer regulatorischer Eingriffe nehmen nämlich über die Zeit zu, weil die "niedrig hängenden Äpfel" zuerst geerntet werden.  In Indien lassen sich mit geringen Kosten viele Verkehrstote verhindern, doch in westlichen Ländern ist dies schwieriger. Seit ich denken kann, werden die Freiheiten des Autofahrers mehr und mehr eingeschränkt, doch hier in New South Wales gehen trotz immer einschneidenderer Gesetze die Verkehrstoten nicht mehr nach unten, sondern in den letzten Jahren sogar etwas nach oben.

Und natürlich reagiert niemand darauf  mit dem Eingeständnis, dass all die neuen Gesetze und Vorschriften nichts helfen. Ganz im Gegenteil: Neue, noch strengere Gesetze sollen her, wie zum Beispiel ein allgemeines Geschwindigkeitslimit von 80 km/h.  Wie von Peter Heller beschrieben ist diese Argumentation ein perpetuum mobile. Da Menschen Fehler machen, sind weitere Tote und damit die Argumente der “nanny staters“ absolut zukunftssicher – bis der Strassenverkehr irgendwann komplett eingestellt ist.

Die Kosten von Regulation, zum Beispiel pro vermiedenem tödlichen Unfall, gehen notwendigerweise über die Zeit nach oben. Massnahmen, die einfach, billig und wahrscheinlich effektiv sind wie Stoppschilder, Mittellinien oder Sitzgurte, werden als erste verwirklicht. Es wird dann mit der Zeit immer schwieriger, mit Regulation einen positiven Investitions-Ertrag zu erzielen. Früher oder später wird der Ertrag negativ, das heißt, die negativen Effekte des regulatorischen Eingriffs überwiegen die positiven. Das "law of diminishing returns" garantiert geradezu, dass regulatorische Eingriffe letztendlich in die Krise führen.

Es gibt wohl keinen Bereich unserer Gesellschaft, in dem der Regulationswahn der Nanny Staat-Anhänger gefährlicher ist als in der Beschränkung der Meinungsfreiheit. Political correctness, die freiwillige oder erzwungene Beschränkung von Sprache wie im Falle der NAFRI-Debatte, und der Nanny Staat der Raucher- und Fleischesser-Drangsalierung, sind zwei Seiten derselben Medaille. 

Aus rechts, autoritär und männlich wurde links, autoritär und weiblich

Und leider sind Grün-ökologische Gruppen und die von ihnen durchdrungenen Parteien und Organisationen in vielen Ländern besonders aktiv, was exzessive Regulation angeht. In Deutschland erinnert man sich an Forderungen der Grünen, Deutschlandfahnen zu verbieten, den Fleischkonsum einzuschränken und nackte Haut aus der Werbung zu verbannen. Das war ja alles noch irgendwie lustig – die Hate speech Debatte oder die kürzlichen Angriffe auf regierungskritische Blogs und Publikationen sind nun wirklich nicht mehr zum Lachen. Man meint, Zeuge zu sein bei der Geburt eines neuen Faschismus. Dieser neue Faschismus ist der ultimative negative Investment-Ertrag: die Zerstörung dessen was man vorgibt, als höchstes Gut bewahren zu wollen.

Es ist schon seltsam: In meiner Jugend in West-Deutschland empfand ich staatliche Einmischung als rechts und autoritär und ganz fraglos männlich. Sie bedrohte zumindest potentiell die Demokratie. Heute sind staatliche Übergriffe meist grün und links und feministisch, und mindestens ebenso gefährlich. Der Nanny-Staat ist viel zu oft grün. Und links. Und weiblich.

Hans Peter Dietz ist Arzt und lebt seit 1997 in Australien.

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Leserpost

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Evelin van Gucht / 21.01.2017

Danke, Herr Dietz, Sie sprechen mir aus der Seele. Genau diese Erscheinung nehme ich seit einiger Zeit mit immer größer werdendem Unbehagen wahr. Sehr suspekt erscheint mir unsere Führungsriege. Eine Frau an der Spitze des Staates, die maßgebliche Posten mit einer befreundeten weiblichen Seilschaft besetzt. Qualifikation und Eignung scheint keine Rolle zu spielen. Ich bin selbst auch eine Frau - und fange an, mich zu schämen. Das ist Diskriminierung - der Männer. Der Regulierungswahn und die Denkverordnungen, gepaart mit Intoleranz und Diskussionsverweigerung, nehmen in der politischen Landschaft und in der Folge in der Gesellschaft besorgniserregend zu. Jede Meinung wird - wenn überhaupt - mit Nachdruck und zunehmender Aggression vertreten. Manchmal sehr sehr unpassend und unprofessionell, wenn es denn durchgeht. Hurra, das nenne ich gespaltene und aufgehetzte Gesellschaft. Wo kommt diese Stimmung her? Sie wurde gemacht. Von oben verordnet. Und das geht immer weiter. Ich bekomme Angst und sehe keinen Gegenwind.

J. Schnerr / 21.01.2017

Hallo Herr Dietz, Gruß nach Australien. Ihr Text ist absolut zutreffend! Aus meiner Berufszeit bis 2014 kann ich auf ein ähnliches Beispiel verweisen. Die Energieeffizienz! Da läuft es durch die Überregulierung auch mittlerweile wie in einer Exponentialkurve, welche nach hinten raus immer flacher wird. Mit immer mehr materiellem Einsatz sind immer weniger Watt Energiegewinn erzielbar. Damit werden die Häuser immer teurer und zusätzlich produziert man z.B. durch die Kunststoffdämmung immer mehr Sondermüll für die Zukunft.

Jürgen Althoff / 21.01.2017

Der damals noch nicht bekiffte Kabarettist Wolfgang Neuss hat vor etwa 50 Jahren mit Blick auf die damalige kritikfeindliche Bundesregierung gesagt: “Gläubige Dummheit, und niemals die Intelligenz des Zweifelns, ist es, was den Totalitarismus in Deutschland vernichtend wieder zum Leben erwecken wird.” Im Politikerjargon füge ich heute hinzu: Und dabei sind wir auf einem guten Wege.

Bärbel Schmidt / 21.01.2017

Ich glaube, dass bald viele das auch so sehen und sich etwas einfallen lassen, um das zu ändern.  Trumps Erfolg macht mich optimistisch.

Julia Westermann / 21.01.2017

Danke für die Darstellung von Zusammenhängen, die jeder normal denkende Mensch intuitiv erfasst, aber nicht so klar hätte erklären können. Abgesehen davon bin ich allerdings überzeugt, dass die die problematischen Grenzlinien in Politik und Gesellschaft nicht mehr hauptsächlich zwischen links und rechts verlaufen, sondern zwischen oben und unten sowie im Kampf um Identitäten zwischen immer zahlreicher werdenden Gruppen einer “offenen” Gesellschaft, in der der geschichtlich gereifte Konsens von Haltungen und Werten gezielt der Beliebigkeit preisgegeben wird. Das wiederum scheint mir zum Teil die Regelungswut, speziell bezogen auf die Meinungsfreiheit, zu erklären.

Wolfgang Kaufmann / 21.01.2017

Googeln Sie mal „gender gap“ und „educational attainment“. In dieser Untersuchung des Weltwirtschaftsforums kommt Deutschland bei der Geschlechter-Schere in der Bildung auf den 50. Platz weltweit. Vermutlich ist dies eine lineare Fortsetzung der alten Ideologie vom Heimchen-am-Herd, festgeklopft durch unsere merkwürdige Halbtagsschule. Aber auch bei der Berufstätigkeit unterscheidet sich Deutschland massiv von seinen Nachbarn: in Frankreich sind 62% der Frauen berufstätig, in Deutschland gerade mal 26%. Frauen, die keine professionelle Verantwortung im Betrieb übernehmen (dürfen), werden ja quasi in die Rollen von Nanny und Nothelferin gedrängt.

Wilfried Cremer / 21.01.2017

Das Pendel ist in die Gegenrichtung ausgeschlagen und scheint dort festzukleben. Eine Lösung aber ist in Sicht, auch in Europa, und wieder mal zuerst von Frankreich aus (nicht Le Pen).

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