Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 13.06.2012 / 13:29 / 0 / Seite ausdrucken

Der Glaube an den Osterhasen der europäischen Geldpolitik

Etwas wirklich Neues zur Euro-Krise zu sagen, wird mit fortschreitender Zeit immer schwieriger. Die Probleme ändern sich nicht - nur die Summen, um die es geht. Eine sprunghafte Erhöhung der impliziten Haftung Deutschlands für Europas Probleme um einige hundert Milliarden Euro in noch nicht einmal einem Jahr ist allerdings noch der Erwähnung wert.

Als ich das letzte Mal über die wenig beneidenswerte Position der Bundesbank innerhalb des Eurosystems schrieb (Europe’s hidden doomsday machine, 8. November 2011), hatte die deutsche Zentralbank Forderungen gegen andere europäische Zentralbanken in Höhe von insgesamt € 462 Mrd. angehäuft (auf Basis der Bundesbank-Zahlen für September 2011). Letzte Woche gab die Bundesbank bekannt, dass diese Zahl sich bis Ende Mai 2012 auf die neue Rekordhöhe von € 699 Mrd. hochgeschraubt hat – das bedeutet eine Steigerung um € 237 Mrd. in nur acht Monaten.

Während europäische Politiker um ein vergleichsweise mickriges Rettungspaket von € 100 Mrd. für Spanien feilschen, leistet die Bundesbank den Ländern der Euro-Peripherie praktisch fortlaufend eine ähnliche Unterstützung, indem sie ein Auflaufen dieser Forderungen zulässt. Leider hat sich die deutsche Zentralbank damit in ein finanzielles Pulverfass verwandelt. Ein unkontrolliertes Auseinanderbrechen der Eurozone ist inzwischen imstande, Deutschlands Staatsfinanzen und seinen Bankensektor zu ruinieren.

Das System, das die Risiken der Bundesbank verursachte, ist kompliziert, das Grundproblem ist jedoch einfach. Die Länder, die im Mittelpunkt der Euro-Krise stehen, haben keinen Zugang zu Kapital mehr, mit dem sie ihre Handelsdefizite finanzieren könnten. Zugleich tritt das Kapital auf der Suche nach einem sicheren Hafen die Flucht aus ihren Volkswirtschaften an.

Solche Entwicklungen würden unter normalen Umständen zu einer Anpassung über den Wechselkurs führen, in der Eurozone geschieht jedoch etwas anderes. Die Zentralbanken der Krisenländer drucken virtuell Geld, um ihre Finanzinstitute mit Liquidität zu versorgen. Durch das Zahlungssystem ‘Target 2’ der Europäischen Zentralbank wird diese Liquidität den Banken in den gesünderen Euroländern zugeführt.

In diesem Prozess sammeln sich in den Zentralbanken der Euro-Kernländer Forderungen gegen das Eurosystem, d.h gegen andere europäische Zentralbanken. Auf diese Weise häufen die Zentralbanken in Deutschland, Finnland, den Niederlanden und Luxemburg (DFNL-Länder) allmählich immer höhere Positionen gegen die übrigen Zentralbanken der Eurozone an. Ihre Forderungen sind zusammen rund € 1 Billion wert - zumindest nach dem Nominalwert - und steigen Monat für Monat. Wie viel sie wirklich wert sind, hängt von der Fähigkeit ab, die Eurozone am Leben zu erhalten. Zerfällt der Euro, müssten die DFNL-Forderungen wenigstens teilweise abgeschrieben werden.

Die Aussicht, dass die Bundesbank einen Teil ihrer Target 2-Position von € 699 Mrd. verlieren könnte, mag für Deutschland schon nicht besonders erfreulich klingen, doch das ist nur das erste der Probleme, die im Falle eines unkontrollierten Auseinanderbrechens des Euro auf Deutschland zukämen.

Dann würden nicht nur die Abschreibungen die Aktivseite der Bundesbank-Bilanz vernichten, die zu fast zwei Dritteln aus zweifelhaften Target 2-Forderungen besteht. Gerät die Bundesbank in Schwierigkeiten, ist auch die Stabilität des deutschen Bankensektors gefährdet.

Da die deutschen Banken durch den konstanten Zufluss von frischem Zentralbankgeld aus der Euro-Peripherie in Liquidität schwimmen, wissen sie sich nicht anders zu helfen, als das Geld bei der Bundesbank zu parken. Dadurch ist die Bundesbank zum Nettoschuldner deutscher Finanzinstitute geworden –  nicht gerade die typische Situation einer Zentralbank und gewiss keine wünschenswerte Lage in einer Zeit, in der es um die Solidität der Bundesbank-Bilanz schlecht bestellt scheint.

Falls der Euro zerfällt und die deutschen Target 2 Forderungen nur teilweise eingezogen werden können, könnte die Bundesbank technisch von einem Tag auf den anderen bankrott sein. Aber was dann? Müssten Deutschlands Geschäftsbanken ihre Einlagen bei der Bundesbank ebenfalls abschreiben? Wäre die Bundesregierung in der Lage, die Bundesbank zu rekapitalisieren? Oder würde es der Zentralbank gelingen, sich um den Preis der Inflation am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen, indem sie zur Abwechslung einmal sich selbst Liquidität bereitstellt? Niemand weiß es.

Sicher ist nur, dass jede Korrektur der Target 2-Forderungen Deutschlands (und der anderen DNFL-Länder) außerordentlich schmerzhaft wäre – nicht für die Euro-Peripherie, sondern für das Euro-Kernland. Während es im bisherigen Verlauf der Euro-Krise die Peripherie-Länder waren, die am meisten gelitten haben, wird es im Euro-Endspiel die Kernländer am härtesten treffen. Sie werden plötzlich erkennen, wie groß ihre Risiken gegenüber dem übrigen Europa über ihre Zentralbanken geworden sind, und das nicht nur durch explizite Rettungspakete, den EFSF oder den ESM, die beherrschenden Themen in der öffentlichen Diskussion.

Für jeden, der eine Bilanz lesen kann, ist es offensichtlich, dass die DFNL-Zentralbanken in eine verwundbare und risikoreiche Lage gebracht wurden. Und doch ist die Antwort auf diese Entwicklung nicht ein Kurswechsel, sondern das Gegenteil: Mit ihren verzweifelten Versuchen, den Euro am Leben zu erhalten, lassen die Europäer zu, dass die Target 2-Bilanzen Monat für Monat weiter aufgebläht werden, so dass sich das Problem verschlimmert und die Rechnung am Ende noch höher wird.

Die offizielle Linie in dieser Misere besagt, dass es zu keiner Eskalation der Lage kommen wird, weil es keine Eskalation geben darf. Im Wunschdenken der EZB ist weder eine Auflösung der Währungsunion noch die Abschreibung von Target 2-Forderungen eine Option. Europas Zentralbanken beharren darauf, dass es keine technische Grenze dieser Forderungen gebe und sie sich im Laufe der Zeit von selbst verringern würden. Das ist die geldpolitische Version des Glaubens an den Osterhasen.

Europa hat diese Krise zu lange schwelen lassen. Nun gibt es keine einfachen Lösungen mehr. Target 2 jetzt einzustellen, wäre eine Katastrophe, da es den Bankensektor in der Euro-Peripherie vernichten würde. Target 2 am Leben zu erhalten, wird in Zukunft eine noch größere Katastrophe verursachen, da hierdurch die Zentralbanken der DFNL-Länder ruiniert werden. Darauf zu hoffen, dass das Target 2-Problem sich von selbst in Luft auflöst, ist jedoch die unverantwortlichste Option von allen.

Eine Fortsetzung des Target 2-Irrsinns verhindert die seit langem überfällige Berichtigung der innereuropäischen Handels- und Zahlungsbilanzen. Sie sperrt sowohl die PIIGS- als auch die DNFL-Länder in ein Währungssystem ein, das keinem von ihnen Vorteil bringt.

Wenn die Bürger Europas nur halbwegs verstünden, wie ernst dieses Problem ist, hätten wir morgen früh eine Revolution. Einstweilen jedoch bietet die Fußball-Europameisterschaft eine höchst willkommene Ablenkung.

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der The New Zealand Initiative (www.nzinitiative.org.nz).

‘Believing in Europe’s financial tooth fairy’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 12. Juni 2012. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).

 

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