Henryk M. Broder / 10.01.2013 / 01:07 / 0 / Seite ausdrucken

Der Fluchhafen

Seit der Berliner Schuster Friedrich Wilhelm Voigt im Jahre 1906 sich eine Militäruniform besorgte, einen Trupp Wachsoldaten seinem Kommando unterstellte, mit ihnen das Rathaus der Stadt Cöpenick bei Berlin besetzte, den Bürgermeister für verhaftet erklärte und sich mit der Stadtkasse davon machte, seit 107 Jahren also hat Berlin nicht mehr so gelacht wie am vergangenen Montag, als bekannt wurde, dass die Eröffnung des neuen Berliner Flughafens wieder verschoben werden muss – zum dritten oder vierten Mal, niemand weiß es mehr so genau.

Fest steht nur, dass der im Bau befindliche Flughafen zu klein geplant wurde, dass er jetzt schon saniert werden muss und dass er am Ende das Zwei- oder Dreifache der Summe kosten wird, die anfangs geplant war. Es liegt aber nicht nur, wie oft behauptet, am fehlerhaften Brandschutz, der nachgebessert werden muss, Sachverständige haben Tausende von Mängeln festgestellt, von denen die Risse in den Bodenplatten noch zu den harmloseren gehören.

Die Berliner selbst nehmens, wie immer, mit Humor. „Niemand hat die Ansicht, einen Flughafen“ zu bauen, sagen sie, in Anspielung an den Satz von Walter Ulbricht vom 15. Juni 1961, niemand habe die Absicht, eine Mauer zu errichten. Ob der neue Flughafen ein Jahr früher, ein Jahr später oder gar nicht in Betrieb genommen wird, ist ihnen eigentlich „wurscht“, denn sie erwarten von der politischen Führung eigentlich nichts anderes als Versagen.

Der Regierende Bürger-meister Wowereit (SPD) hat schon mit den Grünen und der Linkspartei zusammen regiert, jetzt steht er an der Spitze einer Großen Koalition aus SPD und CDU. Freilich: Egal, wer im Roten Rathaus bzw. im Abgeordnetenhaus das Sagen hat, Berlin bleibt, von einigen maroden Gemeinden im Ruhrgebiet abgesehen, die am höchsten verschuldete Stadt der Bundesrepublik, die Stadt mit der höchsten Arbeitslosigkeit und dem höchsten Anteil an Sozialhilfeempfängern. Das ist nicht mehr „arm aber sexy“ (Wowereit), das ist nur noch arm und armselig.

Sollte der neue Berliner Flughafen wider Erwarten doch noch fertig gestellt werden, würde sich der 16. Oktober 2016 als Eröffnungstag anbieten. Zu Ehren des „Haupt-manns von Köpenick“, der am 16. Oktober 1906 das bewiesen hat, was den Berliner Politikern heute abgeht: Mut zur Tat.

Erschienen in der Weltwoche vom 10.1.13

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