Kippt er nun, oder kippt er nicht? Warum sind es gerade die Journalisten, die so hartnäckig auf der Frage nach der Zukunft des Euro bestehen? Ist es die Realität, oder ist es die Katastrophe, die sie umtreibt? Der Sinn für die Realität oder die Verheißung der Katastrophe?
Geht es am Ende nicht doch um die betroffenen Länder, die alle angeblich nicht viel mehr als Schleswig-Holstein in die Waagschale werfen, und trotzdem die Währung Nummer zwei der Welt aus dem Gleichgewicht bringen, wie es heißt?
Ist es wirklich so, dass allein Spekulation und Finanztricks zur Krise geführt haben, wobei noch nicht einmal ausgemacht ist, worin diese eigentlich besteht? Jedenfalls für uns hier, in Europas Mitte, und bei den europäischen Fundamenten? Jetzt, wo die Arbeitslosigkeit zurückgeht, und dort, wo sie nicht zurückgeht, es meistens nicht an den fehlenden freien Stellen liegt, sondern an der fehlenden Qualifikation? Jetzt, wo die Auftragsbücher angeblich wieder voll sind, kann es ja nicht die Auftragslage sein, sondern eher die Unfähigkeit, der Nachfrage gerecht zu werden. Oder?
Jenseits des Palavers bleibt die Feststellung, dass die EU weder ein unüberwindliches Problem hat, oder gar darstellt, sondern einige ihr Beigetretene Schwierigkeiten mit der Umsetzung der Kriterien haben. Das aber liegt bei weitem nicht nur an den Kriterien, es liegt vielmehr an den Verhältnissen in den betreffenden Ländern, die mit diesen Kriterien nicht vereinbar zu sein scheinen.
Die Problematik hat zwei Horizonte. Der erste, der für uns harmlosere, bezieht sich auf die Fähigkeiten der Verwaltung der beigetretenen Länder, die Transfer- Perspektiven administrativ zu begleiten, kurz gesagt, die Budget-Vorteile zu nutzen, die Brüssel im Prinzip zur Regionalförderung abrufbereit hält. Dass diese Länder keine Vorreiter der Industriegesellschaft waren, und kein Motor der Moderne, lässt sich leider auch am Zustand ihrer Verwaltungsmoral ablesen. Ob es Griechenland ist, oder Portugal, Spanien oder Irland, es sind alles Länder aus Zonen der Peripherie des Industriezeitalters.
In all diesen Ländern gibt es eine erstaunliche entwickelte Protestkultur, die mit einer ebenso erstaunlich unterentwickelten Fähigkeit zur Selbstorganisation korrespondiert. Manchem mag sie sogar wie eine Wetterfront gegen das protestantische Ethos aus dem Norden erscheinen. Aber besteht das savoir vivre wirklich in der Lässigkeit, um nicht zu sagen in der Nachlässigkeit?
Der zweite Horizont stellt das größere Problem dar. Er betrifft ein Basis-Instrument der EU, den Euro. Durch die krisenhafte Situation in Ländern der Eurozone, die vor allem anderen den Eindruck der Zahlungsunfähigkeit erwecken, und damit die journalistische Ästhetik des Katastrophischen bedienen, wird immer öfter nach seiner Berechtigung gefragt. Das aber nagt am Image der Währung. Das Gewicht der Währungsreserven ist nicht zuletzt psychologisch geeicht.
Ist es nicht an der Zeit, die übliche Fragerei zu lassen, und die Fragen ernsthaft zu stellen? Vielleicht liegt hier ja ein grundsätzliches Problem vor, von dem wir bisher nur die Symptome beschrieben haben. Die Krisenländer sind alles Gesellschaften, die beim Beitritt weit unter den Standards der EU waren. Sie haben jeweils enorm profitiert, auch von den Töpfen in Brüssel. Es waren, im EU- Jargon gesprochen, Nehmerländer. Ihre Förderung hat jeweils zu einem lokalen Wirtschaftsboom geführt.
Das wurde stets positiv angemerkt, zurecht. Aber vielleicht auch zu Unrecht? Anders gefragt: Wurde die Infrastruktur dieser Länder sinnvoll ausgebaut, oder wurde das zu Verfügung stehende Geld verbaut? Der Boom in diesen Ländern war künstlich. Mehr noch, er hat auf Dauer die wahre Struktur dieser Staaten nicht grundsätzlich verändert. Das heißt, ihr Zustand ist der gleiche geblieben, und dass man plötzlich besser lebte, war nicht durch das eigene Zutun, sieht man vom Anlockungscharakter der Anpassung der Steuergesetzgebung ab, sondern im Gefolge des Prinzips der Umverteilung in der EU möglich geworden. Man kann mit Geld viel weniger bewirken, als wir allgemein annehmen. Geld begründet nicht eine Haltung, es unterstützt sie, die Verhaltensweise ist gegeben.
Man kann weder den Sinn für die Infrastruktur über Nacht erzaubern noch das Arbeitsethos auf neue Grundlagen stellen. Das Prekäre des Verhältnisses zwischen Zentrum und Peripherie ergibt sich aus der alltäglichen Wirksamkeit eines aufschlussreichen Widerspruchs. Im Zentrum hat sich die Arbeitszeit aus der Arbeitsleistung ergeben, das heißt die Fünftagewoche ist ein Resultat der Leistung und nicht des Anspruchs. Die Peripherie aber hat die Fünftagewoche nicht aus dem eigenen Leistungshorizont abgeleitet, sondern aus dem Angebot des Zentrums.
Es ist Zeit, die Frage nach dem mentalen Hintergrund zu stellen, nach den kollektiven Antriebskräften in den Krisenländern, nicht nur um die Gefahren, die sich daraus für die Perspektive der EU ergeben, zu erkennen, sondern auch die Diskussion über das Maß an Staatlichkeit, das die EU anstrebt in solider Weise begründen zu können. Die EU ist sicherlich mehr als der Euro, sie ist unter Umständen aber auch viel weniger. Sie ist Artusrunde und Fado.