Günter Ederer
Was für ein Wahlabend am vergangenen Sonntag! Welches Ergebnis betrifft uns Deutsche am meisten? Und wer sind bei genauem Hinschauen die Sieger und Verlierer? Beginnen wir in Schleswig-Holstein. Dort erklärten sich die etablierten Parteien alle zum Sieger. Die CDU, weil sie die meisten Stimmen erhielt, die SPD, weil sie höchstwahrscheinlich den Ministerpräsidenten stellt. Die Grünen, weil sie zugenommen und die FDP, weil sie überlebt hat.
Dabei haben alle vier und auch noch die Linken und der dänische SSW an Stimmen verloren. Die CDU fast 100 000, die FDP 120 000, die Grünen immerhin noch 25 000. Nur die SPD ist mit Minus 4000 glimpflich davon gekommen. Sie hatte bei der letzten Wahl über 100 000 Wähler verloren und konnte diese nicht zurückgewinnen. Aber: die selbsternannten Sieger sind alle Verlierer. CDU und SPD zusammen haben weniger Stimmen als der Block der Nichtwähler. Die beiden großen Volksparteien sind zu Repräsentanten einer Minderheit verkommen. Und da alle Parteien daraus keine Konsequenzen ziehen, ist es für den Rest der Republik ziemlich unbedeutend, wer in Kiel regiert.
Ganz anders das Wahlergebnis in Frankreich. Dort hat der Sozialist François Hollande etwas mehr als die Hälfte der Wähler hinter sich geschart. Er will 60 000 Lehrer neu einstellen, die Rente mit 60 wieder einführen, die Benzinpreise einfrieren, Banken mit einer Sondersteuer belegen und Millionäre mit 75 Prozent besteuern. Vor 31 Jahren hat das der Linke François Mitterrand sogar noch intensiver betrieben. Er hat Banken und Großkonzerne sogar verstaatlicht. Das alles geht uns eigentlich nichts an. Wenn Hollande mit Schulden den Staat zusätzlich belastet und damit die Wirtschaft nachhaltig beschädigt, ist es Sache der Franzosen, die ihn gewählt haben, auch die Konsequenzen durch höhere Inflation und Arbeitslosigkeit zu ertragen.
Mitterrands Schocktherapie hat damals zu einer schleichenden Abwertung des Franc geführt. Aber genau da liegt heute der Unterschied. Dank der gemeinsamen Währung erwartet Hollande, dass Deutschland seine Schuldenwirtschaft mitbezahlt. Der Euro zwingt uns dazu, uns in die innerfranzösischen Angelegenheiten einzumischen, was keine Freunde schafft. Mitterrands sozialistischer Ausflug hat das deutsch-französische Verhältnis nicht belastet. Hollandes Vorstellungen aber können zu einer Zerreißprobe zwischen Paris und Berlin führen. Der Euro wird zum Spaltpilz Europas.
Noch mehr trifft dies auf das chaotische Wahlergebnis in Griechenland zu. Nur Träumer sind davon überrascht, dass die linken und rechten Radikalen gewonnen haben. So lange die Griechen ihre Drachme hatten, konnten sie ihre Währung abwerten und mussten so selbst für ihr seltsames Wirtschaften mit niedrigem Lebensstandard aufkommen. Da die Euro-Regierungschefs an der Fiktion festhielten, dass der Euro um jeden Preis verteidigt werden muss, wurde Griechenland in eine Armutsspirale getrieben, die nie und nimmer gutgehen konnte. Jetzt erklären die linken Siegerparteien, dass sie alle Vereinbarungen mit der EU kündigen und keine Schulden mehr abbezahlen werden – nachdem Europa eine kaum zu beziffernde Summe von über hundert Milliarden Euro schon überwiesen hat. Ohne die Rückkehr zu einer stark abgewerteten Drachme hat das Land keine Zukunft. Das müssen endlich auch unsere Regierung in Berlin und die Bürokraten in Brüssel akzeptieren.
In den nächsten Wochen soll nun der Bundestag über den dauerhaften ESM abstimmen – eine Art Ermächtigungsgesetz für einen europäischen Rettungsfonds, mit dem Deutschland sich unter anderem verpflichtet, ohne Einspruchsmöglichkeit viele Milliarden Euro sofort zu überweisen – für die griechische Chaosrepublik, die französischen sozialistischen Experimente, die spanischen Bausünden.
Jeder Abgeordnete, der nach den Wahlergebnissen des vergangenen Sonntags immer noch für den ESM stimmt, hat entweder nichts begriffen oder handelt bewusst gegen die Interessen seiner Wähler, nur um es sich nicht mit seiner Fraktion zu verderben. Das erhöht dann die Zahl der Nichtwähler. Siehe Schleswig-Holstein.
Zuerst erschienen am 12. Mai 2012, in der Fuldaer Zeitung.