Vince Ebert / 08.09.2009 / 05:11 / 0 / Seite ausdrucken

Das Geschäft mit dem Nichts

Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde in Deutschland die „Sanfte Medizin“ erfunden. Ein nebeliges Biotop, in dem sich vorwiegend Hypochonder vermehren. Menschen, die zu schwach sind, um sich eine richtige Krankheit holen zu können. In der Sanften oder auch Alternativ-Medizin muss alles irgendwie „ganzheitlich“ gesehen werden. Nur dadurch können Allergien und andere sanfte Krankheiten ausfindig gemacht und behandelt werden. Ein Heilpraktiker in Nürnberg zum Beispiel erkannte bei einer älteren Frau nur mit Hilfe einer Wünschelrute, dass sie Wasser in den Beinen hatte.
Kinesiologen diagnostizieren Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten, indem sie eine Lebensmittel-Liste an die Wand hängen und in Anwesenheit des Patienten mit Dartpfeilen darauf werfen. Bei allen Produkten, auf denen die Pfeile stecken bleiben, drohen beim Klienten allergische Reaktionen. Wenn beide dabei auch noch die Augen zumachen, nennt man das in der Alternativ-Medizin eine Doppelblindstudie.
Auch der alte Spruch „von nix kommt nix“ gilt bei den sanften Heilern nicht mehr. Homöopathen – die absoluten Popstars der Huschi-Fuschi-Medizin – sehen die Sache ganz anders. Denn die arbeiten mit dem Prinzip der Hochverdünnung: Je dünner die Beweise für die Wirksamkeit der Homöopathie, desto populärer wird sie.
Meine Nachbarin jedenfalls schwört darauf. Obwohl sie sämtliche Staffeln von Grey’s Anatomy zuhause hat, verachtetet sie im richtigen Leben die Schulmedizin und therapiert sich lieber mit Bachblüten und Bioenergetik. Als ich neulich eine fiebrige Erkältung hatte, steckte sie mir sofort irgendwelche Zuckerkügelchen zu. Ich nahm sie dankend an, schmiss sie bei mir zuhause in den Mülleimer und ging ins Bett. Am nächsten Morgen wachte ich auf und die Erkältung war wie weggeblasen. Als ich ihr ein paar Tage später gestand, dass ich ihre Globuli weggeworfen habe, sagte sie nur: „Glaubst Du mir jetzt endlich? Obwohl der Mülleimer fast sechs Meter von Deinem Bett entfernt steht, konnten die Kügelchen das Fieber innerhalb von nur einer Nacht verschwinden lassen!“
Vor einigen Jahren führte die Universität Bern die wohl umfassendste und seriöseste Studie zum Thema Homöopathie durch und heraus kam: Nichts. In den Präparaten ist nicht nur nichts drin, sondern auch nichts dran. Ihre Wirkung ist um keinen Deut besser als ein Scheinmedikament.
Das verwundert nicht. Besonders, wenn man sich etwas genauer mit der angeblichen wissenschaftlichen Grundlage der Homöopathie beschäftigt. Die basiert auf dem sogenannten Simile- oder auch Ähnlichkeitsprinzip. Vor etwa 200 Jahren behauptete der deutsche Arzt Samuel Hahnemann, dass man eine Krankheit durch ein Mittel heilen kann, das bei einem gesunden Menschen ähnliche Symptome hervorruft. Wenn etwa ein Patient unter starken Kopfschmerzen leidet, muss man etwas finden, was bei einem Gesunden genau die selben Kopfschmerzen verursacht. Zum Beispiel einen wuchtigen Schlag mit einer Dachlatte gegen den Hinterkopf. Natürlich nur in homöopathischen Dosen.
Und die sind extrem wichtig. In dem Präparat Belladonna D30 wird die Ausgangssubstanz durch ein Lösungsmittel wie Alkohol oder Milchzucker 30mal hintereinander verdünnt. Und zwar – James Bond lässt grüßen – nicht durch Rühren, sondern durch Schütteln.
Ab der 24sten Verdünnungsstufe ist dann kein einziges Belladonna-Molekül mehr in der Lösung. Braucht es auch nicht, sagt der Homöopath. Denn die Information des Wirkstoffes werde durch das Schütteln mit Hilfe einer „geistartigen Kraft“ auf das Lösungsmittel übertragen. Und weil das Lösungsmittel ein Gedächtnis habe, speichert es die Information und erinnert sich auch nach mehreren Monaten noch daran. Die geistartigen Kräfte der diversen Verunreinigungen, die durch das ständige Schütteln entstehen, werden wundersamerweise nicht potenziert. Das Mittel weiß offenbar ganz genau, welche Geister es verstärken soll und welche nicht.
Faszinierend, oder? Es gibt Menschen, die sitzen in geschlossenen Psychiatrien für weit weniger.
Sicherlich springen jetzt einige von Ihnen entrüstet auf und brüllen: „Woher weiß dieser arrogante Fatzke, dass die Sache mit den Kügelchen Blödsinn ist? Die Globuli entziehen sich nun mal einer wissenschaftlichen Nachweisbarkeit!“
Mag sein, aber genauso gut könnte Reiner Calmund einem Marathon-Veranstalter Dogmatismus vorwerfen, weil er ihm verbietet, die Strecke aus Gründen mangelnder Fitness mit dem Auto zurückzulegen.
Der Gesetzgeber sieht das ganz anders. Aus irgendeinem dubiosen Grund verzichtet er im Gegensatz zu richtigen Arzneimitteln bei homöopathischen Produkten auf einen Wirksamkeitsnachweis, weil er der Meinung ist: „Die unwissenschaftliche Medizin soll nicht gegenüber der wissenschaftlichen diskriminiert werden.“
So erstatten die Krankenkassen jährlich 600 Millionen Euro für alternative Heilverfahren. Wieso dann nicht gleich Weihwasser? Das basiert schließlich auch nur auf dem Glauben.
Doch die Homöopathie ist nicht nur deswegen Humbug, weil sie nicht nachweisbar ist, sondern weil sie in direktem Widerspruch zu den fundamentalsten naturwissenschaftlichen Grundgesetzen steht. Wenn die Aussagen von Hahnemann stimmen würden, dann wären grundsätzliche Erkenntnisse aus der Molekularbiologie, aus der Atom-, Kernphysik und der Chemie – also nahezu der gesamten modernen Naturwissenschaft – komplett falsch.
„Na und?“ mögen Sie jetzt sagen. Offensichtlich gibt es eben wundersame Dinge, die sich mit Naturwissenschaft nicht erklären lassen. Der Erkenntnistheoretiker David Hume sagte dazu: „Die Annahme, etwas sei ein Wunder, ist nur dann gerechtfertigt, wenn alle alternativen Erklärungen noch unwahrscheinlicher sind.“ Dazu ein kleines Beispiel: Ein Mann behauptet, er hätte eine Topfpflanze, die sämtliche Arien aus Aida singen kann. Was ist unwahrscheinlicher: Dass es diese Topfpflanze wirklich gibt, oder dass der Mann ein zugekiffter Irrer ist? Jeder weiß doch, dass Topfpflanzen viel lieber Puccini singen!
Nun möchte ich damit keinesfalls sagen, dass jeder, der an Homöopathie glaubt, ein Drogenproblem hat. Es ist keine Schande, sich als Fliesenleger oder Fleischereifachverkäuferin nicht mit naturwissenschaftlichen Grundlagen auszukennen. Aber ein Mediziner, der die Globuli tatsächlich für reale Wirkstoffe hält, ist genauso ernst zu nehmen, wie ein Fluglotse, der glaubt, die Erde ist eine Scheibe.
Doch anscheinend können eine Menge Ärzte und Apotheker gut mit diesem Dilemma leben. Selbst diejenigen, die das Ganze für ausgemachten Blödsinn halten, geben ihren Patienten munter wirkungslose Zuckerkügelchen mit dem Argument, Homöopathie wäre doch okay, wenn sich die Leute doch dadurch besser fühlen. Anderseits: Auch durch Heroin fühlen sich viele Leute besser, aber ich würde Ihnen trotzdem nicht empfehlen, es auszuprobieren.
Darüber hinaus stören sich viele Vertreter der medizinischen Zunft nicht im Geringsten daran, dass sie mit der Homöopathie einen Aberglauben vertreten, der im Kern fundamentalistisch und antiliberal ist. Denn jedes System, das wissenschaftliche Methoden ignoriert, lehnt es ab, Dinge kritisch zu hinterfragen und ersetzt echte Erkenntnis durch sturen Dogmatismus.
Aber wie bemerkte schon Friedrich Hebbel: Die Menschheit lässt sich keinen Irrtum nehmen, der ihr nützt.

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